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Schwarz und Grün

Volker Wagener2. Mai 2016

Für Helmut Kohl waren sie die Schande des Parlaments - die frühen Grünen: links und langhaarig. Doch längst koalieren sie schon. Demnächst sogar unter Führung der einstigen Protestpartei. Geschichte einer Annäherung.

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Koalitionspizza schwarz grün Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa

Wolfgang Grupp, Deutschlands wohl populärster Mittelständler, hat einen Tabubruch begangen. Er hat grün gewählt. Am 13. März, bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Der Mann, der im Fernsehen mit einem Schimpansen für seine T-Shirts wirbt, war der Inbegriff des erfolgreichen südwestdeutschen Unternehmers: bürgerlich und konservativ. Und für solche wie ihn war stets die CDU politische Heimat. Doch die CDU ist nur noch die Nummer zwei im südwestdeutschen Parteienspektrum.

Den Ministerpräsidenten stellen die Grünen: Winfried Kretschmann. Er gilt als der wahre Konservative. Er hatte schon 1992 eine Annäherung an die CDU gefordert. Inzwischen erscheinen zumindest die Südwest-Grünen als die bessere CDU. Insofern ist sich Wolfgang Grupp treu geblieben.

Schwarz-Grün gibt es in Hessen und in zahlreichen Kommunen, doch Grün-Schwarz wie zukünftig in Baden-Württemberg, das ist neu in der deutschen Koalitionsarithmetik und fast schon eine kulturpolitische Revolution. Keine andere Regierungskonstellation elektrisiert die Medien so sehr wie Grün-Schwarz. Dabei haben beide Parteien schon eine etwas längere Kontaktanbahnung hinter sich.

Konspirieren im "Sassella"

Schon in den 1990er Jahren suchten sich Grüne und Schwarze, wenn auch klammheimlich. Damals noch in der beschaulichen Bonner Republik, trafen sie sich ohne große mediale Begleitmusik im "Sassella". Der Edel-Italiener brachte zwar nie Pizza auf den Tisch, doch als "Pizza-Connection" ging die informelle Runde in die Geschichtsbücher ein. Auf beiden Seiten mit dabei: junge Aufstrebende um die Mitte 30, von denen anschließend einige Karriere machten.

Karneval Verkleidung Politiker Winfried Kretschmann (Foto: Patrick Seeger/dpa (c) picture-alliance/dpa/P.) Seeger
Der Riese Winfried Kretschmann. Seine Popularität machte ihn zum ersten grünen Ministerpräsidenten.Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Cem Özdemir, einer der beiden aktuellen Parteivorsitzenden der Grünen, ist mittlerweile der letzte prominente Grüne aus der schwarz-grünen Schnupper-Ära. Auf CDU-Seite waren es die jungen Wilden, die die letzten Kohl-Kanzlerjahre als bleischwer empfanden. Sie wollten der gemütlichen CDU einen gesellschaftspolitischen Modernisierungsschub verpassen.

Klimaschutz und Integrationspolitik beschäftigte den jungen Ronald Poffala (später Kanzleramtschef unter Merkel), Norbert Röttgen (ehemals Minister im Kabinett Merkel) oder auch Armin Laschet (inzwischen Landeschef der Union in Nordrhein-Westfalen) schon damals.

Joschka Fischer und der grüne Test der Regierungsfähigkeit

Doch vor und nach dieser konspirativen Kontaktanbahnung standen die Zeichen zunächst auf rot-grün. 1985 wurde Hessen zum politischen Versuchslabor der Republik. Die erste rot-grüne Koalition stand. Die Annäherung war mühsam und konflikthaft.

Joschka Fischers Turnschuhe gehören zur deutschen Geschichte
Die Grünen werden koalitionsfähig. Joschka Fischer wird am 12.12.1985 in Wiesbaden als Minister vereidigt.Bild: dpa

Auch in Nordrhein-Westfalen war rot-grün in den 1990er Jahren keine Liebesheirat. SPD-Ministerpräsident Johannes Rau kalauerte gern vor Journalisten: "Lieber ein Haus im Grünen, als einen Grünen im Haus." Man hielt die Grünen aus SPD-Perspektive betrachtet für verlorene Söhne und Töchter der Sozialdemokratie, analysiert Oswalt Metzger, ein früher Grüner, in der Rückschau. Entsprechend groß war das Misstrauen der SPD gegenüber den "Abtrünnigen".

Friede von Wiesbaden

Wieder war es Hessen, das 2014 den ersten schwarz-grünen Versuch auf Länderebene wagte. Zum Start mit viel Medienaufmerksamkeit begleitet, präsentieren sich CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier und sein grüner Stellvertreter Tarek Al-Wazir schon zur Halbzeit als Harmonie-Weltmeister.

Ein erstaunlicher Befund, war doch die Hessen-CDU stets eine stramm-rechte Law-and-Order-Partei, während sich die Grünen des Landes am liebsten als Aufsässige gefielen. "Der Schlüssel ....war", sagte Al-Wazir vor kurzem in einem Interview, "dass Volker Bouffier gleich am Anfang gesagt hat, wir reden jetzt mal in der Grundannahme miteinander, dass der andere auch recht haben könnte." Mit den Roten habe man sich nur wechselseitig ideologisch überzeugen wollen.

In Hamburg und im Saarland scheiterten schwarz-grüne Politik-Experimente, in Hessen funktionierte die Farbenlehre. Auch weil die Grünen so manche Utopie beerdigt haben und Pragmatismus kein Schimpfwort mehr ist. Auch die CDU hat sich gewandelt. Sie ist einfach toleranter geworden. Ökonomie und Ökologie stehen nicht mehr in einem Gegensatz. Mit grüner Ökonomie schwarze Zahlen schreiben, heißt stattdessen die gemeinsame Devise.

Die Pizza-Connection 2.0

Nach der Bundestagswahl 2013 war Schwarz-Grün möglich. Getraut hat man sich damals noch nicht. Doch wenig später wurde die Pizza-Connection 2.0 aktiv. Ein Gesprächskreis von rund 30 meist jüngeren Abgeordneten beider Parteien trifft sich wieder regelmäßig - bei einem Italiener in Berlin-Mitte.

Unterzeichnung Koalitionsvertrag Hessen 23.12.2013 (Photo by Thomas Lohnes/Getty Images)
Der hessische Friede. Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne) besiegeln den Koalitionsvertrag 2014Bild: Getty Images

Schwarz-Grün wächst offensichtlich kontinuierlich von unten nach oben. Übrigens auch mit Billigung Angela Merkels. Die Beweggründe für die neue Unverkrampftheit der früheren politischen Gegner ist auch strategischer Natur. Der CDU ist der natürliche Partner FDP verloren gegangen, die Liberalen fehlen im Bundestag.

Grün- Schwarz, die Wiedervereinigung des deutschen Bürgertums

Diese Ausgangslage lässt Grün und Schwarz enger zusammenrücken. Auch deshalb, weil die Union seit Jahren ein Metropolen-Problem hat. Als Partei der Fläche, des Landes, trifft sie schon lange nicht mehr den libertären, studentischen, multikulturellen Mainstream der städtischen Bevölkerung. Hier punkten die Grünen schon seit langem zweistellig. Nicht wenige größere Städte sind inzwischen sogar fest in grüner Hand (Stuttgart, Freiburg, Tübingen). Die CDU hat ein Milieu-Problem in den Städten, das sie mithilfe der Grünen zu minimieren versucht.

Was Grün und Schwarz eint, ist vor allem die Fähigkeit und Einsicht, so der grüne Oberbürgermeister Stuttgarts, Fritz Kuhn, "dass beide bei sozialen Problemen zuerst an die Fähigkeit der Menschen zur Selbsthilfe denken". In Hessen und jetzt auch in Baden-Württemberg wächst wohl gerade zusammen, was zusammen gehört.