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Schweigen für die Opfer von Nizza

Bernd Riegert, Nizza19. Juli 2016

Präsident Hollande trauerte in Paris. Die Suche nach den Motiven des Attentäters geht weiter. War er Einzeltäter, Teil eines islamistischen Terrornetzes oder einfach verrückt? Bernd Riegert aus Nizza.

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Schweigeminute nach dem Anschlag in Nizza (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/E. Gaillard

Um zwölf Uhr mittags versammelten sich auf der Strandpromenade in Nizza mehrere Tausend Menschen, um zu schweigen. Überall in Frankreich ruhte für eine Minute das Leben, um der 84 Opfer des Massakers zu gedenken, darunter zwölf Kinder. Damit endete eine dreitägige Staatstrauer, die Präsident Francois Hollande angeordnet hatte. Ministerpräsident Manuel Valls nahm in Nizza an der Schweigeminute teil. Er wurde von der Menge ausgebuht. Nach der Schweigeminute sangen die Menschen spontan die französische Nationalhymne.

Auf der Promenade standen die Menschen an kleinen Gedenkstätten aus Kieselsteinen, Blumen und Teddybären. Jeder Steinhaufen bedeckte einen Blutflecken und stand für einen Toten. Hier war der Attentäter mit einem 19-Tonnen-LKW am Donnerstag durch die Menschenmenge gerast, die sich das Feuerwerk zum französischen Nationalfeiertag anschauen wollte. Kurz bevor der Attentäter durch Polizeischüsse gestoppt werden konnte, war er absichtlich in einen Verkaufsstand mit Süßigkeiten gefahren, an dem besonders viele Kinder und Familien warteten.

Viele Menschen, die Augenzeugen wurden, stehen auch heute noch unter Schock. Über 400 Personen haben sich von Psycholgen betreuen lassen, teilte das Krisenzentrum in Nizza mit. "Ich sage Ihnen, es tut mir leid und es schmerzt micht für diese schöne Stadt Nizza", sagte Nadia der DW. Sie wohnt seit 16 Jahren hier, stammt aus Algerien. "Wir haben immer blauen Himmel, sind normalerweise fröhlich und lächeln. Heute bin ich tief traurig für diese schöne Stadt und Frankreich, das Land, das mir so viele Möglichkeiten gegeben hat. Der Täter war ein Verrückter, möge er in der Hölle schmoren!"

Verneigung vor den Opfern: Trauernde an der Strandpromenade (Foto: DW)
Verneigung vor den Opfern: Trauernde an der StrandpromenadeBild: DW/B. Riegert

Die Angehörigen müssen jetzt helfen, nach und nach die Opfer zu identifizieren. Abgeschirmt von der Presse werden sie in Krankenhäuser und Leichenschauhäuser geführt. Offiziell sind, nach Angaben der Staatsanwaltschaft von Sonntag, erst 35 der 84 Todesopfer identifiziert worden. Am Sonntagabend kamen viele Angehörige zu einer Trauerfeier in einer der Moscheen von Nizza. Unter den Opfern waren Christen, Juden, Moslems und Nichtgläubige. "Der Terror macht keine Unterschiede nach der Religion", sagte Imam Mahmoud Benzamia.

Was trieb den Attentäter?

Die Ermittlungsbehörden in Nizza und Paris versuchen weiter, Klarheit über die Motive und Verbindungen des 31 Jahre alten Attentäters, Mohamed Lahouaiej Bouhlel, zu schaffen. Bislang hat die Staatsanwaltschaft nur bestätigt, das sechs Personen in Haft sind, die weiter befragt werden. Drei davon sind zur Vernehmung durch Terrorspezialisten nach Paris gebracht worden. Die getrennt lebende Ehefrau Bouhlels wurde wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Paar hat drei Kinder - sechs, vier und ein Jahr alt. In Haft ist weiter ein albanisches Paar, das dem Täter dabei geholfen haben könnte, sich Waffen zu verschaffen.

Quellen aus der Polizeibehörde berichten, dass sie nicht von einer "Amok-Fahrt" ausgehen. Der Anschlag war gut geplant. Der LKW wurde Tage vor dem Anschlag angeblich für einen Umzug gemietet. Der Attentäter soll die Strandpromenade zuvor ausgekundschaftet haben. Er besorgte sich eine Pistole, die in der Fahrerkabine gefunden wurde. Dort lagen auch mehrere Attrappen von Gewehren. Dem albanischen Paar soll Bouhlel kurz vor der Tat noch eine SMS geschickt haben, in der er fordert, Waffen zu C. zu bringen. Ob C. eine Person oder ein Ort ist, ist unbekannt. Von seinem Handy aus hatte Bouhlel weitere SMS an mögliche Komplizen geschrieben. Ein Selfie soll er kurz vor der Tat an seinen Bruder in Tunesien geschickt haben. Ob er an seine Verwandschaft in Tunsesien Geld überwiesen hat, ist bislang nicht bestätigt.

Mohamed Lahouaiej-Bouhlel Aufenthaltserlaubnis
Mohamed Lahouaiej-Bouhlels AufenthaltserlaubnisBild: Getty Images/AFP/French Police Source

Ermittler suchen nach einem möglichen Netzwerk

Bouhlel, der aus Tunesien stammt, war den Polizeibehörden in Nizza als Krimineller bekannt, der wegen Drogenhandels, Diebstahls und Körperverletzung vorbestraft war. Erst im Frühjahr war er wegen einer "bewaffneten Attacke" auf einen Autofahrer zu einer sechs Monate langen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Sein damaliger Anwalt sagte jetzt bedauernd in Interviews, hätte er seinen Job damals nicht gut gemacht und keine Bewährung rausgeschlagen, würde sein Mandat jetzt mutmaßlich hinter Gittern sitzen. "Er zeigte damals aber keinerlei Anzeichen eines radikalen Islamisten. Er war ein typischer kleiner Ganove", so der Anwalt. "Er war nicht besonders intelligent, kann sein, dass er sich von religiöser Ideologie beeinflussen ließ."

Der französische Inneminister Bernard Cazeneuve hatte angegenben, der Attentäter habe sich innerhalb kürzester Zeit radikalisiert und sei ein islamistischer Terrorist gewesen. Am Montag räumte Cazeneuve in einem Interview mit "Le Figaro" aber ein, dass es noch keinen Beweis für eine direkte Verbindung zwischen Mohamed Bouhlel und der Terrororganisation "IS" gebe. Auf dem Computer Bouhlels wurde nach Angaben aus Ermittlerkreisen auch islamistische Propaganda gefunden. Das Suchwort "Islam" wurde oft benutzt, aber auch eine Reihe von pornografischen Seiten sollen aufgerufen worden sein.

Hausdurchsuchung: Ermittler suchen Spuren in der Wohnung des Attentäters (Foto: DPA)
Hausdurchsuchung: Ermittler suchen Spuren in der Wohnung des AttentätersBild: picture-alliance/AP Photo/L. Bruno

Die Angaben aus der unmittelbaren Umgebung des Täters über seine religiösen Hintergrund sind widersprüchlich. Die Polizei hat über 100 Personen befragt. Einige sollen ausgesagt haben, der Täter habe in letzter Zeit "Sympathie" gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" geäußert. Nachbarn erzählten der Deutschen Welle, er sei verschlossen gewesen, habe Alkohol getrunken, habe mit Drogen zu tun gehabt und sich sehr für Bodybuilding interessiert.

Die lokale Zeitung "Nice Matin" zitiert den Drogendealer Ramzi, der dem Attentäter Hasch und Kokain verkauft haben soll, und gleichzeitig auch dem "Islamischen Staat" nahe gestanden haben soll. Ein Onkel des Attentäters sagte der Nachrichtenagentur AP, sein Neffe sei von algerischen IS-Werbern kontaktiert worden. "Er war leichte Beute", sagte der Onkel mit Blick auf die Scheidung, die kriminelle Karriere und den instabilen Charakter des Attentäters. Die Terrororganisation "IS" hatte erklärt, Bouhlel sei ein "Soldat" gewesen. Diese Behauptung können französische Ermittler derzeit nicht bestätigen.