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"Schweigen ist gefährlich"

Nicolas Martin23. Februar 2016

Nach Morddrohungen von rechten Gruppen legte Markus Nierth vor knapp zehn Monaten sein Amt als Bürgermeister nieder. Im Interview spricht er über die Folgen dieses Schritts, Bautzen, Clausnitz und die innere Obergrenze.

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Deutschland Geplantes Flüchtlingsheim in Flammen in Bautzen (Foto: dpa)
In Bautzen brannte am Wochenende ein geplantes FlüchtlingsheimBild: picture-alliance/dpa/R. Löb

Nach den fremdenfeindlichen Vorfällen in Sachsen stehen die Städte Bautzen und Clausnitz im Rampenlicht. Im vergangenen Jahr standen Heidenau und Tröglitz in Sachsen-Anhalt im Fokus der Öffentlichkeit. Markus Nierth war damals Bürgermeister der Stadt Tröglitz. Er setzte sich für die Unterbringung von Flüchtlingen ein und bekam daraufhin Morddrohungen von rechtsextremen Gruppen. Aus Angst um seine Familie trat er im März 2015 zurück. Einen Monat später brannte eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz.

DW: Mit Blick auf die neuesten Vorkommnisse in Sachsen - was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?

Markus Nierth: Das Schlimmste ist das Schweigen in vielen ländlichen Gebieten. Es steht niemand auf und sagt: 'Stopp - jetzt reicht es'. Wir haben gedacht, nach dem Brand in Tröglitz wird die Menge aufstehen. Wir haben gehofft, nach dem Schießbefehl von Frauke Petry ist es so weit, oder jetzt nach Clausnitz und Bautzen. Aber wo ist der Aufschrei der Menge, die ihr Recht auf ihre freie Gesellschaft verteidigt? Wo ist die Zivilgesellschaft, die sagt: So hat es auch 1933 angefangen?

Vor knapp einem Jahr Tröglitz in Sachsen-Anhalt, jetzt Bautzen und Clausnitz in Sachsen - warum immer Ostdeutschland?

Es passiert ja nicht nur dort. Auch in Westdeutschland gibt es Gebiete - beispielsweise in Bayern - wo die Situation ähnlich gefährlich ist. Aber natürlich ist da die Zivilgesellschaft geschulter. Die politische Bildung ist dort wesentlich ausgeprägter als hier. Hier hat es uns keiner beigebracht. Sicher, die Jugend, die jetzt heranwächst, die gibt mir Hoffnung. Aber bei den Älteren dauert das sicherlich noch.

Sie haben nach den Morddrohungen gesagt: Jetzt ist Schluss. Die Politik lässt mich allein. Ich muss meine Familie schützen. Wie hat dieser Schritt ihr Leben beeinflusst?

Es hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Meine Familie hat eine lange, sehr bange Zeit gehabt. Wir haben unter Polizeischutz gestanden - die Morddrohungen nahmen nach meinem Rücktritt erst mal zu.

Markus Nierth (Foto: picture-alliance/L. Schulze)
Markus Nierth in seiner Heimatstadt Tröglitz - aufgenommen im März 2015Bild: picture-alliance/L. Schulze

Wir fangen erst jetzt wieder neu an und gucken, was ist nach dieser gewaltigen Explosion übrig geblieben. Man hat alte Bekannte verloren, hat aber auch viele neue Freunde gewonnen. Und wir sehen auch, dass sich unser eigener Blickwinkel verändert hat: Wir betreuen nun selbst Flüchtlinge. Dafür musste ich auch eigene Ängste beiseiteschieben und konkret anpacken.

Hat sich durch Ihren Rücktritt auch strukturell etwas verändert?

Die Ehrenamtlichen sind besser geschützt worden. Es ist auch ein Umdenken passiert, was die Wahrnehmung der rechten Gewalt angeht. Nämlich, dass diese Gruppen nicht anhalten - und das sehen wir bis heute, dass sie vorwärts marschieren und keine Grenzen kennen. Sie schieben alles beiseite, was wir an demokratischem Gebäude auf dem Leid unserer Vorfahren aufgebaut haben - also unser Grundgesetz, das auf Menschenwürde und Menschlichkeit setzt. Das ist die große Gefahr und keiner stoppt das richtig.

Was mich wirklich traurig macht, ist, dass viele Politiker in der Routine verharren und dass ein mutiges Anpacken häufig einfach fehlt. Dadurch bleibt die Bevölkerung mit ihren Problemen im Dunkeln, dabei bräuchten sie eigentlich eine Vision.

Und die wäre?

Der Knackpunkt ist ja eigentlich, dass wir vor lauter Gerede von Obergrenzen nicht zu den eigentlichen Bedürfnissen kommen. Es sind schon genügend Menschen da, die ordentlich betreut werden müssen, damit nicht wieder Parallelgesellschaften entstehen. Wir bräuchten längst wesentlich mehr Integrationsstrategien. Aber von der höheren Politik kommt da leider sehr wenig und die Ehrenamtlichen fühlen sich teilweise alleine gelassen.

Tröglitz liegt nun mehr als zehn Monate zurück. Was geben Sie den Menschen in Clausnitz und Bautzen aus Ihren persönlichen Erfahrungen auf den Weg?

Es ist gefährlich zu schweigen. Ich möchte den Menschen, die sagen 'Hauptsache wir bekommen unsere Ruhe zurück', mitgeben: Das wird nicht eintreten. Und den Menschen, die genervt vom Medienauflauf in Clausnitz und Bautzen sind, möchte ich mitgeben: Es ist gut, dass die Medien darauf gucken, denn dadurch kommt Licht in die Sache.

Für mich bleibt nur eines: Jeder muss sich fragen: Was ist mir ein anderer Mensch wert? Halte ich mich an die humanistische oder gar christliche Devise - jeder Mensch ist gleich und ich soll meinen Nächsten lieben, wie mich selbst, oder hört das irgendwo auf? Jeder muss für sich entscheiden, wo seine innere Obergrenze ist.

Markus Nierth ist Theologe und als Trauerredner tätig. Er war fünfeinhalb Jahre ehrenamtlicher Ortsbürgermeister der 2800-Einwohner-Gemeinde Tröglitz. Nachdem er sich für die Unterbringung von 40 Flüchtlingen einsetzte, bekam er Morddrohungen von rechten Gruppen. Im März 2015 trat er zurück.

Das Interview führte Nicolas Martin.