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KatastropheTürkei

Schwere Erdbeben erschüttern die Türkei und Syrien

6. Februar 2023

Nach den schweren Erbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten auf mehr als 3000 gestiegen. Erste Hilfsmaßnahmen laufen zurzeit an - auch Deutschland kündigt Unterstützung an.

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Schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei
Helfer bergen ein Mädchen aus einem kollabierten Gebäude in DiyarbakirBild: SERTAC KAYAR/REUTERS

Nach den Erdstößen vom frühen Morgen hat zuletzt ein weiteres schweres Beben der Stärke 7,5 die Südosttürkei erschüttert. Das Epizentrum habe in der Provinz Kahramanmaras gelegen, meldete die Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul. Auch in Syrien und im Libanon bebte die Erde. Insgesamt liegt die Zahl der gemeldeten Toten inzwischen bei mehr als 3000. Allein in der Türkei kamen 1762 Menschen ums Leben und über 12.000 wurden verletzt, wie die Katastrophenschutzbehörde Afad meldete. Das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe ist noch nicht absehbar, immer noch werden zahlreiche Menschen unter Trümmern vermisst. 

Schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei
Zusammengebrochene Häuser im türkischen KahramanmarasBild: IHA/REUTERS

Bei den Erschütterungen stürzten in der Südosttürkei Tausende Gebäude ein. Auf Videos aus mehreren Städten in dem Gebiet waren teilweise völlig zerstörte Straßenzüge zu sehen. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, rund 2400 Menschen seien bislang aus den Trümmern gerettet worden. Die Wetterbedingungen erschwerten die Rettungsarbeiten. In den betroffenen Provinzen herrschen zurzeit Minusgrade, in einigen Gegenden schneit es.

Am Abend rief der Präsident eine einwöchige Staatstrauer aus. Flaggen aller Vertretungen im In- und Ausland sollen dafür bis Sonntag auf halbmast wehen, wie es auf dem Twitter-Account des Präsidenten heißt. Die Staatstrauer endet demnach am 12. Februar nach Sonnenuntergang. Erdogan hatte die Katastrophe als größte Erdbeben seit 1939 bezeichnet.

Eisige Kälte erschwert Rettungsarbeiten

In Syrien kamen nach jüngsten Angaben von Regierung und Rettungskräften fast 1300 Menschen ums Leben. In dem Bürgerkriegsland wurden bei der Katastrophe mehr als 2300 Menschen verletzt.

"Ganze Familien sind noch verschüttet und die Rettungskräfte von den Weißhelmen kommen derzeit nicht an die verschütteten Menschen heran", berichtet der Reporter Omar Albam für die Deutsche Welle. Alban hält sich zurzeit in Sarmada, 30 Kilometer nördlich der syrischen Stadt Idlib auf. Es fehlten technische Geräte, um zeitgleich an mehreren Orten noch lebende Menschen zu bergen und die Trümmer wegzuräumen. Das Beben hat laut Albam den kleinen Ort Sarmada fast dem Erdboden gleich gemacht. 

Syrien Erdbeben, Bergungsarbeiten in Sarmada
Bergungsarbeiten in dem kleinen Ort Sarmada in Syrien Bild: Omar Albam

Helfen mit bloßen Händen

Auch die syrische Stadt Aleppo, die unter Kontrolle des Regimes steht, wurden von den Erdstößen stark erschüttert. Mittlerweile gab es mehrere Nachbeben. Eine Augenzeugin sagte der Deutschen Welle in Aleppo: "Die Helfer, die hier beim Bergen der Menschen unter Trümmern helfen, sind größtenteils normale Zivilisten. Die meisten sind nicht dafür ausgebildet. Sie helfen mit bloßen Händen, weil es kaum Bergungsgeräte gibt. Das ist gefährlich, sie könnten jederzeit selbst verschüttet werden."

Schwere Erdbeben in Syrien und der Türkei
Schwere Verwüstungen in Aleppo Bild: LOUAI BESHARA/AFP/Getty Images

Die 30-Jährige, die ihren Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen wollte, ergänzte, man brauche dringend Blutspenden. "Wir wurden hier alle aufgefordert, Blut zu spenden, weil die Zahl der Verletzten ständig steigt." Die Augenzeugin sagte weiter, die Bewohner Aleppos seien aufgerufen worden, ihre Häuser zu verlassen. "Aber das hat kaum einer gemacht. Denn die Menschen wissen nicht, wohin, und haben auch kein Geld, um weiter weg in Hotels unterzukommen." 

Erste Massengräber

Im Norden Syriens heben Anwohner nach den schweren Beben offenbar bereits Massengräber aus. Menschen in Idlib wollten darin die Opfer beisetzen, berichtete ein Aktivist der Deutschen Presse-Agentur. Auch in den Sozialen Netzwerken verbreiteten sich Videos, die zeigen sollen, wie Dutzende Menschen Massengräber schaufeln.

Das erste Erdbeben mit Epizentrum ebenfalls in der Provinz Kahramanmaras hatte die Südosttürkei am Montagmorgen erschüttert. Der türkische Katastrophendienst Afad korrigierte am Mittag die Stärke von 7,4 auf 7,7.

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu sagte dem Sender CNN Türk, betroffen seien vor allem Provinzen im Südosten des Landes. Gebäude seien eingestürzt. Rettungsteams aus dem ganzen Land würden zusammengezogen. Soylu bat um internationale Hilfe.

Syrien Türkei Idlib Erdbeben
Zerstörte Gebäude im syrischen Asmarin in der Region IdlibBild: Ghaith Alsayed/AP Photo/picture alliance

Das erste Beben sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. 

Mehrere Flughäfen in besonders von dem Erdbeben betroffen Regionen der Türkei blieben vorerst für zivile Flüge geschlossen. Dabei gehe es um die Flughäfen in Hatay, Kahramanmaras und Gaziantep, so Oktay. In der Stadt Gaziantep wurde laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auch die Burg stark beschädigt. Sie ist ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Menschen in der Türkei wurden aufgerufen, wegen der Kommunikationsengpässe online zu telefonieren und nicht über das Handy-Netz, damit vorrangig Verschüttete erreicht werden können. 

Türkischer Halbmond ruft zu Blutspenden auf

Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden. Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden. Der türkische Halbmond rief die Bevölkerung zu Blutspenden auf. 

Erdbeben in der Türkei
Ein Bild der Zerstörung aus der Stadt MalatyaBild: Erkan Kama/AA/picture alliance

Auch in Syrien stürzten nach Angaben der Nachrichtenagentur Sana in zahlreichen Städten Gebäude ein. Fotos zeigten, wie Rettungsteams Menschen auf Tragbahren wegtrugen. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums Raed Ahmed sagte laut Sana, dies sei das stärkste Beben in Syrien seit 1995. 

Bundesregierung kündigt Hilfe an

Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock äußerten sich bestürzt. "Wir trauern mit den Angehörigen und bangen mit den Verschütteten", schrieb Scholz auf Twitter mit Blick auf die Erdbebenopfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet. "Deutschland wird selbstverständlich Hilfe schicken", fügte er hinzu.

"Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer dieser furchtbaren Erdbeben und allen, die um ihre Familie, Freunde, Nachbarn bangen", twitterte Baerbock. "Wir werden mit unseren Partnern rasch Hilfe auf den Weg bringen." Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erschüttert von dem Ausmaß der Zerstörungen.

Faeser: Enge Abstimmung mit türkischem Zivilschutz

Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte: "Wir werden alle Hilfen in Bewegung setzen, die wir aktivieren können." Das Technische Hilfswerk (THW) könne Lager mit Notunterkünften und Wasseraufbereitungs-Einheiten bereitstellen. Hilfslieferungen mit Notstromaggregaten, Zelten und Decken bereite das THW ebenfalls bereits vor. Es gebe hierzu eine enge Abstimmung mit dem türkischen Zivilschutz.

Sie habe mit dem türkischen Botschafter in Berlin telefoniert, "um unser tief empfundenes Beileid auch auszusprechen und vor allen Dingen Hilfe anzubieten". Auch die EU-Partner seien im Boot, betonte Faeser vor Journalisten in Berlin. Man stimme sich dabei eng miteinander ab, "um möglichst viel Hilfe sehr schnell an den Unglücksort zu bringen". Das sei "erstmal das Wichtigste, weil es jetzt noch um Suchen von Verletzten und Verschütteten geht".

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes leistet Deutschland über Organisationen auch Hilfe für die Erdbebenopfer in Nordwestsyrien. Dazu gehöre die Organisation Malteser International, sagte eine Ministeriumssprecherin. Kontakte mit der syrischen Regierung gebe es aber nicht. Deutschland sei schon jetzt der zweitgrößte humanitäre Geber in Nordsyrien. Ein Krisenstab im Auswärtigen Amt koordiniere die Hilfe der Bundesregierung für die Erdbebenopfer.

Türkei Diyarbakir Erdbeben
Zerstörte Gebäude im türkischen Diyarbakir - in der Türkei stürzten mindestens 1700 Gebäude einBild: Sertac Kayar/REUTERS

EU koordiniert Entsendung von Rettungskräften

Das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU koordiniert die Entsendung von europäischen Rettungskräften in die Türkei. Erste Teams aus den Niederlanden und Rumänien seien bereits unterwegs, sagte der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic in Brüssel.

Der Slowene bestätigte zudem, dass das EU-Katastrophenschutzverfahren gestartet worden sei. Es zielt laut Kommission unter anderem darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsländern und den anderen teilnehmenden Staaten zu stärken und die Reaktion auf Katastrophen zu verbessern. 

Erinnerungen an 1999 werden wach

Die Türkei liegt in einer der weltweit aktivsten Erdbebenregionen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. 1999 waren bei einem Beben der Stärke 7,4 im Nordwesten der Türkei mehr als 17.000 Menschen ums Leben gekommen. 

kle/uh/nob/gri (dpa, afp, rtr, ap)