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Amtsantritt mitten in der Bewährungsprobe

Christoph Hasselbach1. Oktober 2014

Als junger Politiker lehnte er die NATO ab, nun hat Jens Stoltenberg den höchsten Posten im Bündnis inne. Die Erfahrung des Norwegers im Umgang mit Russland könnte sich in der aktuell schwierigen Situation auszahlen.

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Jens Stoltenberg Foto: picture-alliance/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Stabwechsel bei der NATO: Auf dem Höhepunkt der wohl heftigsten Auseinandersetzungen des westlichen Bündnisses mit Russland seit Jahrzehnten folgt auf den Dänen Anders Fogh Rasmussen im Amt des Generalsekretärs ein weiterer Skandinavier, der 55-jährige Norweger Jens Stoltenberg. Dreimal war Stoltenberg Ministerpräsident seines Landes, das erste Mal von 2000 bis 2001 - damals wurde er mit 41 Jahren jüngster Ministerpräsident in der Geschichte des Landes - und dann von 2005 bis 2013.

Bei der Wahl im Herbst 2013 blieben Stoltenbergs Sozialdemokraten zwar stärkste Partei, die bis dahin regierende Koalition bekam aber nicht genügend Mandate. Die konservative Politikerin Erna Solberg übernahm die Regierung. Solberg würdigte bei der Übergabe der Regierungsgeschäfte besonders Stoltenbergs Rolle nach dem Attentat von Anders Behring Breivik im Juli 2011. "Du standest wie ein Fels in der Brandung", lobte sie.

Die richtigen Worte gefunden

Tatsächlich wurde Stoltenberg einer breiten Öffentlichkeit außerhalb Norwegens erst mit dem Massenmord Breiviks in einem Sommerlager der sozialdemokratischen Parteijugend auf der Insel Utöya mit über 70 Toten bekannt. Stoltenberg, früher selbst Vorstandsmitglied der Partei-Jugendorganisation, trat damals ganz als Landesvater auf: immer beruhigend, Trost spendend, ließ er sich nicht zu unüberlegten Reaktionen hinreißen. "Wir müssen unsere Werte standhaft verteidigen", sagte er damals unter Tränen. "Die norwegische Antwort auf Gewalt ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und eine größere politische Teilhabe." Die dramatischen Wochen kurz nach dem Massaker, als Norwegen im Fokus der Weltöffentlichkeit stand, wurden Stoltenbergs politische Feuerprobe, die er nach allgemeiner Auffassung glänzend bestand.

Kerzen und Blumen am See Foto: picture-alliance/dpa
Stoltenbergs Auftreten nach dem Attentat von Utöya brachte ihm viel Anerkennung.Bild: picture-alliance/dpa

Vom NATO-Gegner zum -Befürworter

Stoltenberg war zwar neben seinen drei Amtszeiten als Regierungschef mehrmals Minister und Staatssekretär in verschiedenen Regierungen, nicht aber im Verteidigungsressort. Außer als Mitglied im Verteidigungsausschuss Anfang der 90er Jahre wurde er lange nicht unbedingt mit der NATO in Verbindung gebracht, und wenn, dann eher in negativer Hinsicht. Denn der junge Stoltenberg war noch gegen eine Mitgliedschaft Norwegens in der NATO und die Politik der USA. Als jugendlicher Heißsporn warf er aus Protest gegen den Vietnamkrieg die Scheiben der amerikanischen Botschaft in Oslo ein, als junger Erwachsener schimpfte er auf das westliche Bündnis.

Doch er hat später seine Meinung geändert und dann mit dafür gesorgt, dass die sozialdemokratische Jugendorganisation die NATO-Mitgliedschaft offiziell akzeptierte. Als Ministerpräsident hat er internationale Militäreinsätze mitgetragen. Norwegen hat sich zum Beispiel sowohl an der Afghanistan-Mission als auch an der Intervention in Libyen beteiligt, was ihm und seinem Land den Respekt der USA einbrachte. Spätestens dann waren in Washington und anderen NATO-Hauptstädten seine "Jugendsünden" vergessen. Er kam langsam ins Gespräch für den höchsten politischen Posten des Bündnisses.

Herausforderung Russland

Als "Zusatzqualifikation" kommt diplomatisches Geschick im Umgang mit dem norwegischen Nachbarn Russland hinzu. Stoltenberg hat als Ministerpräsident den gemeinsamen Grenzverkehr für die Bevölkerung durch Visumsbefreiungen erleichtert und ein Grenzabkommen für die Barentssee geschlossen. "Seine Erfahrungen als Nachbar Russlands sind ein Trumpf", meinte die größte norwegische Tageszeitung "Aftenposten" bereits, als Stoltenberg noch im Rennen mit anderen Bewerbern lag. Der neue Mann an der Spitze wird ein eher politisch-ziviler als ein militärisch orientierter NATO-Chef sein, glaubt der "Aftenposten"-Redakteur Harald Stanghelle: "Mehr Sekretär als General", formuliert der Journalist.

Panzerkolonne vor Hammer und Sichel Foto: Reuters
Putins Expansionspolitik fordert die NATO neu heraus.Bild: Reuters

Der Konflikt mit Russland wird jedenfalls all sein diplomatisches Können nach außen und auch innerhalb der NATO fordern. Wie kann die NATO ihre östlichen Mitglieder gegen einen russischen Zugriff schützen, ohne die offene militärische Konfrontation mit Russland heraufzubeschwören? Das wird die entscheidende Frage zu Beginn seiner Amtszeit sein. Und dabei geht es auch ums Geld. Bereits vor dem Ausbruch des jüngsten Konflikts haben vor allem die Amerikaner die europäischen NATO-Verbündeten immer wieder ermahnt, mehr für Verteidigung auszugeben.

Diese Forderung ist jetzt noch lauter geworden. Doch gerade Stoltenberg hat in dieser Hinsicht eine gute Bilanz vorzuweisen: Während die große Mehrheit der Bündnismitglieder ihre Verteidigungsausgaben immer mehr heruntergefahren haben, hat Norwegen seine unter dem Ministerpräsidenten Stoltenberg gesteigert. Es hat eine Menge Ironie: Der Mann, der in jungen Jahren gegen die NATO war, will sie jetzt in einer ihrer schwersten Bewährungsproben führen.