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Schwächelnde Hoffnungsträger

Klaus Ulrich10. August 2015

Die Schwellenländer galten lange als Antreiber der Weltwirtschaft. Mittlerweile aber geht den "Emerging Markets" die Puste aus. Die anstehende Erhöhung der Zinsen in den USA ist nur eines ihrer Probleme.

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Indien Mumbai Skyline Wirtschaft Industrie Symbolbild
Bild: Getty Images/AFP/P. Paranjpe

Nächsten Monat könnte die US-amerikanische Notenbank Fed den Leitzins erhöhen. Für die Schwellenländer ein Horror-Szenario. Die bisherigen Garanten für das Wachstum der globalen Konjunktur müssten sich mit Reformen und Investitionen auf schwierige Zeiten vorbereiten, warnte die Weltbank mit Sitz in der US-Hauptstadt bereits vor Wochen.

"Die Entwicklungsländer waren ein Motor des globalen Wachstums nach der Finanzkrise, aber jetzt müssen sie mit einem schwierigeren Umfeld zurechtkommen", sagte Weltbank-Präsident Jim Yong Kim. Ihr Wachstum falle dieses Jahr mit 4,4 Prozent um 0,4 Prozentpunkte niedriger aus als zuletzt geschätzt.

Für Brasilien korrigierte die Weltbank ihre Prognose besonders stark nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde dort um 1,3 Prozent sinken. Deutlich schlechter sehe es auch in Mexiko, Algerien und der Türkei aus.

Weltbank warnt

Die erwartete Zinserhöhung durch die US-Notenbank "könnte den Kapitalfluss einschränken und die Kreditkosten erhöhen", sagte Weltbank-Chefökonom Kaushik Basu. Anders ausgedrückt: Investoren ziehen ihr Geld aus unsicheren Schwellenländern ab und legen es lieber in den USA an, wenn dort die Zinsen steigen und damit höhere Renditen zu erwarten sind.

Insgesamt könnten dieses Jahr rund 1,8 Prozent weniger Investitionen in betroffene Staaten fließen, prognostiziert die Weltbank. Vor allem Länder, die als Exporteure bereits unter den Niedrigpreisen für Rohstoffe wie Öl und Kohle litten, könnten weiter in Mitleidenschaft gezogen werden.

Rohstoff-Problematik

"Wenn man jetzt den Rohstoffexporteur Brasilien anschaut - da sind die Exporte im ersten Quartal dieses Jahres noch sehr, sehr gut gelaufen", sagt Lutz Karpowirtz, Analyst für Schwellenländer bei der Commerzbank im Gespräch mit der DW. Beim Ölexporteur Russland seien die wirtschaftlichen Schwierigkeiten dagegen sehr groß. China wiederum sei ein Paradebeispiel für ein Land, das Rohstoffe in großer Menge verbrauche. "Man kann das nicht über einen Kamm scheren", so der Experte.

Neben den gefallenen Rohstoffpreisen und der Zinspolitik der Fed belastet auch die ökonomische Schwächephase in China viele Schwellen- und Entwicklungsländer - "eine gefährliche Mixtur", wie das "Handelsblatt" schreibt. So ist der chinesische Außenhandel im Juli um fast neun Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen. Die Importe aus Indien und Brasilien schrumpften in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um rund 23 Prozent.

Da Chinas Hunger nach Rohstoffen zurückgeht, sinken die Preise für Kupfer und Eisenerz. Das spüren neben Chile und Peru auch wohlhabende Länder wie Australien und Kanada, so die Zeitung.

Unterschiedlich ausgeprägte Schwächen

Die Schwäche der Schwellenländer ist generell recht unterschiedlich ausgeprägt: "Ganz gut aufgestellt ist Indien, dort wurde das Leistungsbilanzdefizit, also der Überschuss der Importe gegenüber den Exporten, sehr stark reduziert", sagt Analyst Karpowitz. "Wenn die Inder nicht so viel Gold importieren würden, hätten sie sogar einen Überschuss in ihrer Leistungsbilanz." Indien ist nach Meinung des Commerzbank-Experten eines der Länder, die 2016 sogar stärker wachsen werden als 2015. Gut sehe es auch in Indonesien oder Malaysia aus - Länder, "die auch eine sich verbessernde wirtschaftliche Lage haben".

"Kritisch ist die Lage in Russland", sagt Karpowitz. Dort hänge viel davon ab, ob es der Notenbank gelingt, die stark gestiegene Inflation wieder einzudämmen. "Wenn dies nicht gelingt, wird der Devisenmarkt natürlich den Rubel abstrafen und das würde zu großen Problemen in Russland führen."

China spielt in einer anderen Liga

China spiele im Vergleich zu anderen Schwellenländern in einer anderen Liga, meint der Experte. Zwar bereiteten die schwächelnde Wirtschaft und eine drohende Immobilienblase gewisse Sorgen. Aber China könne - im Gegensatz zu anderen Ländern - aufgrund enormer Reserven gegensteuern und die Wirtschaft weiter stimulieren oder im Notfall sogar notleidende Kredite übernehmen.

"Es ist immer dann schwierig für ein Land, wenn es in Probleme gerät und aus eigener Kraft nichts dagegen machen kann. Das ist in China sicherlich nicht der Fall", so Karpowitz.

Faktor "Zeit"

Für andere Schwellen- und Entwicklungsländer spiele dagegen der Faktor "Zeit" eine entscheidende Rolle bei der Lösung ihrer Finanzierungsprobleme. "Wenn sie das Geld nicht mehr bekommen, das sie brauchen, um ihre zu üppigen Importe zu bezahlen, dann werden sie zwangsläufig weniger ausgeben", weiß der Analyst durch Erfahrungen beispielsweise nach der Asienkrise Ende des vergangenen Jahrtausends.

In den Leistungsbilanzen habe man damals recht bald eine deutliche Verbesserung gesehen. Die sei aber nicht deshalb eingetreten, weil sich die Lage verbessert habe, "sondern weil schlicht und ergreifend das Geld nicht da war, um noch mehr auszugeben".

Die dann unvermeidliche Wirtschaftsschwäche nennt Karpowitz "ein reinigendes Gewitter". Die meisten Länder hätten sich nach der Asienkrise relativ schnell wieder erholt. "Und einige von denen machen auch heute noch Überschüsse."