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Druck auf Deutsche Oper

28. September 2006

Nach der Absetzung von "Idomeneo" an der Deutschen Oper in Berlin wächst die Kritik an Intendantin Kirsten Harms. Die erste deutsche Islam-Konferenz sprach sich einmütig für die Wiederaufführung der Mozart-Oper aus.

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Die Rolle der trojanischen Prinzessin Ilia spielt Michaela Kaune, hier in einer Szene bei der Fotoprobe zur Oper Idomeneo an der Deutschen Oper Berlin
Der Druck wächst, die Oper Idomeneo doch wieder aufzuführenBild: picture-alliance/ dpa

Zuvor hatte es parteiübergreifend scharfe Kritik an Harms' Entscheidung gegeben, die Aufführung aus Furcht vor islamistischen Anschlägen abzusetzen. Bundeskanzlerin Merkel sagte, Selbstzensur aus Angst sei unerträglich. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagte nach der Konferenz von Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen mit Repräsentanten der rund 3,2 Millionen in Deutschland lebenden Muslime in Berlin: "Wir wünschen, dass möglichst bald diese Inszenierung aufgeführt wird."

Berlins Kultursenator will Wiederaufnahme der Mozart-Oper

Auch Berlins Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei/PDS) will sich für eine Wiederaufnahme der Mozart-Oper in den Spielplan der Deutschen Oper einsetzen. "Mein Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Oper wie geplant oder jedenfalls in absehbarer Zeit wieder gespielt werden kann", sagte Flierl dem Berliner "Tagesspiegel" (Donnerstagsausgabe).

Am Montag (25.9.) hatte der Senator über seinen Pressesprecher noch gesagt, die Entscheidung der Deutschen Oper Berlin zur Absetzung sei "völlig in Ordnung". Jetzt sagt Flierl, Innensenator Ehrhart Körting (SPD) müsse eine entsprechende Sicherheitseinschätzung geben, um eine Wiederaufnahme zu ermöglichen. Das Opernhaus erklärte sich unter diesen Voraussetzungen zwischenzeitlich zu einer Wiederaufnahme bereit.

Heftige Kritik nach der Absetzung

Kirsten Harms auf einer Pressekonferenz zu den Gründen ihrer Entscheidung, die Oper "Idomeneo" vorläufig aus dem Spielplan zu nehmen, in Berlin am Dienstag, 26. September 2006
Muss ihre Entscheidung verteidigen - Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper BerlinBild: AP

Die Deutsche Oper hatte sich massive Kritik zugezogen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein nannte die Absetzung einen traurigen Beleg dafür, dass die islamistische Agitation gegen die Meinungsfreiheit bereits Wirkung zeige. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, die Intendantin blamiere sich grenzenlos. Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einem "Signal von Feigheit". Integration basiere auch auf Toleranz, und Toleranz heiße auch Zumutungen. Man müsse eben auch eine Opernaufführung ertragen.

Auch Muslimische Verbände verurteilten die Entscheidung. Der Generalsekretär der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Oguz Ücüncü, sagte, jede Religion müsse Kritik auf Opernbühnen aushalten. Er halte zwar persönlich von der Inszenierung nicht viel, aber in die künstlerische Freiheit sei nicht hineinzureden. Der Generalsekretär des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte, die Absetzung verhindere die Auseinandersetzung mit dem Stück und sei ein "Kniefall vor Sicherheitsbehörden". Der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, sagte, nach der Entscheidung stünden Muslime in Deutschland wieder zu Unrecht als intolerant da.

Deutscher Bühnenverein wehrt sich gegen die Kritik

Der Deutsche Bühnenverein wies die Kritik dagegen als verlogen zurück. Der Vorsitzende der Intendantengruppe des Vereins, Holk Freytag erklärte in Dresden, Harms habe letztlich auf Anraten von Behörden wie dem Landeskriminalamt (LKA) gehandelt. Die Entscheidung sei in dem Sinne verantwortungsvoll, weil Muslime weltweit gedemütigt würden, erklärte Freytag.

Die Deutsche Oper Berlin erhob in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden. Harms sei von der Polizei allein gelassen worden, sagte Opernsprecher Alexander Busche. Das LKA habe in seiner Gefahrenanalyse keine Sicherheitsmaßnahmen vorgeschlagen. Sonst wäre die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen. Die Warnung, die zur Absetzung der Oper geführt hatte, war aber offenbar nur vage formuliert. In dem zweiseitigen Schreiben heiße es lediglich, eine Aufführung der Oper könne eine Gefährdungslage mit schwer abzuschätzenden Folgen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten, berichtete die "Süddeutsche Zeitung".

Auch der Osnabrücker Migrationsforscher Klaus J. Bade hat die Intendantin der Deutschen Oper gegen die Kritik verteidigt. Die Schuld an der umstrittenen Absetzung der Mozart-Oper treffe vor allem das LKA und Berlins Innensenator Körting, sagte Bade dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Behörden hätten die Intendantin mit schwer einschätzbaren sicherheitspolitischen Informationen allein gelassen. "Wäre tatsächlich einige Wochen später eine Bombe explodiert, dann hätten sich vielleicht die gleichen Besserwisser zu Wort gemeldet." Mit der Absetzung habe Harms zweifelsohne überreagiert, räumte Bade ein. Die Freiheit des kulturellen Lebens dürfe um keinen Preis zur Disposition gestellt werden. Von einer Theater-Intendantin könne man aber "im Krisenfall nicht die Kaltblütigkeit eines konflikterfahrenen Polizeioffiziers erwarten". (je)