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Heavy Metal im Krieg

17. April 2018

Krieg kennt keinen Alltag: Es gibt keinen Strom für die Gitarre. Keine Bandprobe. Musikfans im belagerten Sarajevo wollten das nicht hinnehmen. Ein Film erinnert an die Musikszene und ein besonderes Konzert.

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Konzert Iron Maiden Sängers Bruce Dickinson am 14.12.1994 in Sarajevo
Bild: Milomir Kovacevic- Strašni

Es ist ein kalter Dezembertag. Das Flugzeug aus Birmingham landet in Split, Kroatien. Nach Plan sollen die Weltstars mit UN-Helikoptern in das belagerte Sarajevo geflogen werden, ein Konzert spielen und wieder raus. Doch es läuft nicht nach Plan. Acht, neun Stunden vergehen: Zeit genug, um zu erfahren, wohin es überhaupt gehen soll. "Ein Mitarbeiter der Royal Air Force hat uns eine Karte von Bosnien und Herzegowina gezeigt und erklärt, was da wirklich los war. Das Ausmaß des Krieges war unvorstellbar", erinnert sich Bruce Dickinson, Sänger der legendären Heavy Metal Band Iron Maiden und damals auf Solotour. Umkehren? Auf keinen Fall. Aber wie geht es weiter?

Ein paar quietschgelbe Lastwagen mit der Zeichentrickfigur Road Runner parken vor dem Flughafen. Sie gehören der humanitären Organisation "Serious Road Trip". Die Musiker können auf der Ladefläche eines der LKW nach Sarajevo reisen - ohne Schutzwesten, ohne Helme, mitten durch das Kriegsgebiet. "Pinkeln durften wir nur in der Mitte der Straße, nicht an der Seite. Überall waren Minen", erinnert sich der Bassist Chris Dale. Nach mehreren Stunden Fahrt sind die Musiker in Sarajevo angekommen. Es ist Dezember 1994. Und es ist Krieg. 

Heavy Metal - der Rhythmus einer Generation

Farbaufnahme von Mirza Coric im Jahr 1994.
Mirza Coric im Jahr 1994Bild: Mirza Coric

"Die Musik bedeutete für mich im Krieg Erlösung, Flucht vor der Realität, Hoffnung, weil wir alle geträumt haben, wie wir einmal eigene Musik machen werden und vielleicht berühmt werden. Die Musik hat uns Mut gemacht. Wir haben während der Bombardierungen unsere Songs in den Kellern gespielt", sagt Mirza Coric im DW-Interview. Die Gitarre - damals wie heute der Rhythmus seines Lebens. Nur dass sie damals weniger zum Einsatz kam: "Stell dir vor, du hast eine E-Gitarre und das einzige, was du machen willst, ist spielen und es gibt keinen Strom. Aber wenn wir mal welchen hatten, hab ich nur gespielt, die ganze Zeit."

Über Mirza Coric und andere Musikfans in Sarajevo, über ihr Leben mit der Musik in Zeiten des Krieges, hat der bosnische Regisseur Tarik Hodzic nun einen Dokumentarfilm gedreht, der ab dem 17. April in deutschen Kinos zu sehen ist: "Scream for me, Sarajevo".

"Ungeachtet der Medienblockaden, die wir im Krieg hatten, haben einige Radiosender, wie Radio ZID, viel Aufwand betrieben, um aktuelle Musik zu besorgen. Die Fans haben die zwei Stunden Strom am Tag genutzt, um die berühmte MTV-Sendung "Headbangers Ball" auf VHS aufzunehmen. Man hat alle humanitären Wege genutzt, um CDs, Kassetten und neue Platten zu beschaffen. Sie wurden weiter durchgereicht, kopiert und gehört", sagt Hodzic.

Das legendäre Konzert von Bruce Dickinson im Krieg - ein Kraftakt für alle

18 Uhr, Bruce Dickinson von Iron Maiden im Bosnischen Kulturzentrum - so steht es auf den wenigen Plakaten, die anlässlich des Konzerts gedruckt wurden. Nur wenige wussten davon. Im Radio wurde das Konzert nicht angekündigt - zu gefährlich. Der Feind könnte davon erfahren. "Eine Granate, ein Scharfschütze und alles wäre vorbei gewesen", erinnert sich Martin Morris im Film, damals UN-Mitarbeiter in Sarajevo und Initiator des Konzerts. Die Lage sei sehr gefährlich gewesen, das Risiko hoch. Doch alle seien entschlossen gewesen, das Konzert stattfinden zu lassen, sagt Morris. Trotz der Ungewissheit."Keiner von uns hat damals wirklich daran geglaubt, dass er in Sarajevo spielen wird. Wie konnte der größte Heavy-Metal-Star ausgerechnet in diese Hölle kommen", fragt sich Mirza Coric. Doch er ist gekommen. 

Konzert des Iron Maiden Sängers Bruce Dickinson am 14.12.1994 in Sarajevo.
Bruce Dickinson von Iron Maiden in Sarajevo, 1994Bild: Milomir Kovacevic- Strašni

Eine kleine Bühne, Bruce Dickinson heizt das Publikum an, alle jubeln, singen, trinken, lachen. Jemand macht den einzigen Scheinwerfer an und aus, damit ein Lichteffekt wie auf normalen Konzerten entsteht. Vier Stunden Frieden. Vier Stunden keine Granaten. Vier Stunden pures Glück - und Strom. "Diese Nacht war wie im Traum", erinnert sich Mirza Coric im DW-Gespräch. Das Konzert habe den meisten Fans damals viel Kraft gegeben, sich weiter mit Musik zu beschäftigen. Corics Band hat im Krieg sogar ein Album aufgenommen. 

"Von diesem Konzert wissen bis heute nur ein paar Hundert Menschen: die, die dabei waren und ihre engsten Freunde", sagt Tarik Hodzic. Die Originalaufnahmen vom Konzert hat der UN-Mitarbeiter Martin Morris nach langem Suchen auf seinem Dachboden gefunden. Damit war die Idee für den Film geboren. "Scream for me, Sarajevo" zeigt auf der einen Seite die ganze Brutalität im Krieg und auf der anderen - die gelebte Normalität als Widerstand und Hoffnung. 

Ein schwieriges Arbeitsumfeld in Bosnien und Herzegowina

Dreharbeiten zum Film "Scream for me, Sarajevo".
Dreharbeiten zum Film "Scream for me, Sarajevo" - mit Bruce Dickinson (links)Bild: Tarik Hodzic

Nicht alle Regisseure in Bosnien und Herzegowina hätten so viel Glück wie er, sagt Tarik Hodzic. Die Arbeitsbedingungen machen ein kreatives Schaffen fast unmöglich: "'Scream for me, Sarajevo' ist der erste Film, den ich unter professionellen Bedingungen zustande bekam. Für Künstler, und in meinem Fall für Kinoregisseure, ist das jedes Mal ein Kraftakt. Meine Kollegen haben phänomenale Ideen, aber sie landen oft in der Schublade. Wir leben in einem komplizierten Staat - mit vielen Problemen. In der Föderation Bosnien und Herzegowina besteht ein Förderfond, der aber jedes Jahr weniger und weniger wird. Damit kann man noch nicht mal einen Film finanzieren, alle bewerben sich um dieses Geld", erklärt Tarik Hodzic.

Mit ausländischer Förderung haben er und der Produzent Adnan Cuhara es aber doch noch geschafft, ihren Film zu produzieren. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen - auch weil er sein musikalisches Idol, Bruce Dickinson, bei den Dreharbeiten persönlich kennenlernen durfte. 

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin