"Berlin ist eine Mieterstadt"
4. August 2017Deutsche Welle: Wie würden Sie einem internationalen Publikum die Entwicklung beschreiben, die Berlin genommen hat?
Sebastian Scheel: In den letzten fünf Jahren sind nach Berlin insgesamt 220.000 Menschen zugezogen. Das heißt, diese Stadt ist hochinteressant. Sie ist ein Sammelbecken für Menschen, die hier Potenziale sehen. Die Stadt ist spannend, und die Leute wollen hierher kommen.
Das heißt auch, wenn 220.000 Menschen zusätzlich in die Stadt kommen, dass sie natürlich auch Wohnraum brauchen. Wir haben mit der Situation zu kämpfen, dass wir nicht schnell genug neuen Wohnraum zur Verfügung stellen können. Das wirkt sich vor allem in rasant steigenden Mieten aus. Wir haben in den letzten zwei Jahren durchschnittlich eine Mieterhöhung von 9,4 Prozent. Das heißt, dass viele Menschen, die hier ihre Heimat haben, sich zu Hause fühlen, die ihren Kiez haben, die sich gemeinsam kennen, eine gute Nachbarschaft entwickelt haben, mittlerweile mit einer Situation zu kämpfen haben, dass sie das Gefühl haben, aus den Vierteln rausgedrängt zu werden und ersetzt zu werden durch Menschen, die sich höhere Mieten leisten können. Das ist natürlich eine Situation, die wir nicht gut finden.
Und wie steuern Sie dagegen?
Erstmal wird es ein ganzes Bündel an Maßnahmen brauchen, um nachsteuern zu können. Das erste ist natürlich: Wir forcieren den Neubau. Schon seit Jahren werden Wohnbaupotenzialflächen herausgefunden. Wir schauen also, wo es noch sinnvoll ist, nachzuverdichten, wo können wir auch noch Areale, die bisher unbebaut sind, für neuen Wohnraum erstellen. Das viel wichtigere dabei ist, dass wir sozial verträglichen und preiswerten Wohnraum schaffen. Hier sind vor allem unsere landeseigenen Gesellschaften in der Pflicht. Wir haben ja insgesamt sechs landeseigene Gesellschaften in Berlin, die einen ziemlich großen Bestand haben – 300.000 Wohnungen ungefähr. Wir wollen diesen Bestand weiter ausweiten, sodass wir weiterhin die Möglichkeit haben, auch steuernd auf den Markt Einfluss nehmen zu können. Deswegen haben wir mit denen eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. In dieser Kooperationsvereinbarung ist festgehalten, dass sie jedes Jahr 6.000 neue Wohnungen schaffen und davon 3.000 für Menschen mit Wohnberechtigungsschein.
Das reicht doch bei weitem nicht aus?
Das ist richtig. Darüber hinaus haben wir auch noch mit ihnen vereinbart, dass in Wohnungen, die im kommunalen Bestand freigezogen werden, 60 Prozent dieser Wohnungen auch Menschen mit Wohnberechtigungsschein zur Verfügung gestellt werden. Wir sind gerade dabei, eine neue Förderungsrichtlinie aufzulegen, sodass hier auch durch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Neubau Sozialwohnungen entstehen. Wir wollen ein neues Segment schaffen, das auch dem Polizisten und der Krankenschwester die Möglichkeit gibt, weiterhin in der Stadt wohnen zu können.
Berlin wird als Marke gehandelt auf dem internationalen Immobilienmarkt. Was unternehmen Sie da, damit die Stadt nicht komplett ausverkauft wird?
Berlin ist hochattraktiv. Auch der Kapitalmarkt findet offensichtlich, dass Berlin hochattraktiv ist. Deswegen tummeln sich hier eine ganze Menge Menschen, die nicht immer nur die Absicht haben, auch wirklich Wohnungen zu erstellen sondern auch zu spekulieren. Wir versuchen natürlich, diese Spekulation, die hier mit Wohnraum stattfindet, zurückzudrängen. Das heißt: Wir werden die Frage der Baugenehmigungen reduzieren von drei auf zwei Jahre. Wir werden zusehen, dass wir soziale Erhaltungsgebiete ausweisen. Das heißt, in diesen Gebieten soll die Mischung, die dort vorhanden ist an Einwohnern, erhalten bleiben. Wir werden massiv auch weiterhin prüfen, ob wir Vorkaufsrechte nutzen. Dass das Land also sagt, wir wollen ein Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen zu Gunsten der landeseigenen Gesellschaften. Das haben wir auch schon mehrfach praktiziert.
Es ist ja auch eine Tatsache, dass immer mehr junge Menschen und Familien in Deutschland kaum dazu kommen, Eigenkapital aufzubringen, um sich eine Wohnung zu kaufen. Da sagen auch Immobilienfirmen, die Politik müsste nachsteuern. Wie sind da Ihre Reaktionen?
Erstmal ist Berlin eine Mieterstadt. Wir beobachten hier mit Sorge, dass immer mehr Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Wir wollen die Mietwohnungen erhalten, sodass die Mieter auch Wohnraum finden. Im Moment nehmen wir wahr, dass sich die Kaufpreise für Eigentumswohnungen oder ganze Häuser noch schneller entwickeln als die Mietpreise. Das heißt, die Lösung, die Leute sollen sich einfach Eigentum zulegen, wird auch immer schwieriger realisierbar. Was haben die Leute davon, wenn sie am Ende zwar nicht die hohe Miete aber einen vollkommen überzogenen Verkaufspreis zahlen müssen und dementsprechend auch Kreditschulden am Hals haben? Das wird glaube ich niemanden weiterbringen.
Einige sagen, das ist eine normale Entwicklung. Berlin ist eine europäische Hauptstadt, die einfach irgendwann ein anderes Niveau erreichen musste. Wie reagieren Sie darauf?
Erstmal ist es ja positiv zu bewerten, dass Berlin so attraktiv ist. Es ist ja nicht nur so, dass Menschen zu uns kommen, sondern auch Unternehmen wollen sich ansiedeln. Es ist richtig, dass Berlin nicht die Normalität hat, die vielleicht andere Hauptstädte wie London oder Paris haben. Es ist auch nicht Ziel des Senates, diesen Städten nachzueifern. Das, was den Charme und das spannende dieser Stadt ausmacht, liegt natürlich auch daran, dass diese Mischung vorhanden ist. Dass es eben nicht leere Zentren gibt, in denen nur noch Superreiche wohnen können, sondern dass wir hier immer noch eine gesunde Mischung in allen Stadtquartieren haben. Die gilt es zu erhalten.
Kritiker werfen der Politik vor, den Zuzug von Menschen nach Berlin verschlafen zu haben – das passiert ja nicht seit Jahren, sondern seit zehn oder 15 Jahren. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
Ich glaube, dass wir die Zeichen, die da waren, dass wir einen Trend hin zur Urbanisierung haben, den Zuzug in die Metropolen, dass das lange Zeit verschlafen wurde. Es ist eine Frage des Umsteuerns in der Stadtpolitik, was die Liegenschaften angeht: Was mach ich mit meinem Grund und Boden? Verkauf ich jetzt einfach meistbietend an irgendein Unternehmen? Oder versuch ich damit irgendwas selbst zu gestalten? Oder aber versuche ich, mit Initiativen wie Baugruppen dort Stadtentwicklung auch behutsam vorzunehmen? Der "Switch" hat zu spät stattgefunden. Es hat dazu massiven Protest aus der Bevölkerung gegeben. Insofern hat die Politik das zu lange laufen lassen. Es brauchte den Druck auch aus der Stadtgesellschaft, um das Umdenken zu provozieren. Aber das Umdenken ist jetzt da. Insofern werden wir mit aller Kraft auch in den nächsten Jahren daran arbeiten, die Probleme zusammen mit der Stadtgesellschaft zu bewältigen.
Sebastian Scheel (Die Linke) ist Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen.
Das Gespräch führten Nina Haase und Sumi Somaskanda.