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Selbstkritische Töne statt "göttlicher Rache"

Hans Spross/Shora Azarnoush 4. Januar 2016

Irans Zorn über die Hinrichtung des prominentesten schiitischen Aktivisten in Saudi-Arabien war zu erwarten. Aber die Stürmung der saudischen Botschaft und ihre Folgen gaben auch Anlass zu selbstkritischen Stimmen.

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Protest in Teheran gegen Hinrichtung in Saudi-Arabien (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/A. Kenare

Teheran reagierte auf die Nachricht von der Hinrichtung Nimr Baker al-Nimrs mit ungewohnten Hinweisen auf die Meinungsfreiheit: "Die saudische Regierung unterstützt terroristische Bewegungen und Extremisten, aber begegnet gleichzeitig Kritikern im Inneren mit Unterdrückung und Exekutionen", so der iranische Außenamtssprecher Jaber Ansari laut AFP kurz vor dem Angriff einer aufgebrachten Menge auf die saudische Botschaft in Teheran. Riad werde "einen hohen Preis für diese Politik bezahlen", so Ansari weiter.

Irans geistlicher Führer Ajatollah Ali Chamenei sagte seinerseits "göttliche Rache" für die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen und Aktivisten voraus. Präsident Hassan Ruhani kritisierte die "inhumane Hinrichtung" al-Nimrs, aber sagte auch, der Angriff auf die Botschaft mit Steinen und Benzinbomben sei "durch nichts zu rechtfertigen" und forderte die Bestrafung der "extremistischen Täter".

Trauerfeier für den hingerichteten schiitischen Kleriker al-Nimr in seinem Heimatort Awamiya im Osten Saudi-Arabiens. (Foto: AP)
Trauerfeier für den hingerichteten schiitischen Kleriker al-Nimr in seinem Heimatort Awamiya im Osten Saudi-ArabiensBild: picture alliance/AP Photo

Riad weist iranische Diplomaten aus

Nachdem Riad am Tag nach dem Sturm auf seine Botschaft die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen hatte, weil der Iran "terroristische Zellen" in Saudi-Arabien unterstütze, folgte am Montag die von Riad militärisch abhängige (sunnitische) Regierung des Königreichs Bahrain mit demselben Schritt. Die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum stuften ihre diplomatischen Beziehungen zum Iran herunter.

Die Verschärfung der Spannungen zwischen den beiden Rivalen im Nahen und Mittleren Osten, die um die regionale Vorherrschaft Stellvertreterkriege in Syrien und Jemen führen, hat die internationale Gemeinschaft auf den Plan gerufen. USA und EU äußerten ihre Besorgnis über eine Zuspitzung der saudisch-iranischen Konfrontation, Russland bot sich als Vermittler an, und sogar China zeigte sich "sehr besorgt".

Schiiten im Golf-Königreich Bahrein protestieren nach der Hinrichtung al-Nimrs. Die dortige sunnitische Führung brach nach Saudi Arabien ebenfalls die Beziehungen zum Iran ab. (Foto: dpa)
Schiiten im Golf-Königreich Bahrein protestieren nach der Hinrichtung al-Nimrs. Die dortige sunnitische Führung brach nach Saudi- Arabien ebenfalls die Beziehungen zum Iran abBild: picture-alliance/dpa/A.Fardan

Iran und die Sunniten

Auch in den iranischen Netzwerken kursieren - neben den zu erwartenden Tiraden über "unzivilisierte Araber" - besonnene und besorgte Kommentare. Im persischsprachigen Online-Angebot der DW sieht ein User die diplomatische Eiszeit zwischen Riad und Teheran mit Sorge und befürchtet "ernsthafte Folgen" für den Iran. "Zum einen könnten die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen arabischen Staaten darunter leiden. Zum anderen könnten verschlechterte Beziehungen Irans zu Saudi-Arabien als der sunnitischen Schutzmacht es so aussehen lassen, als hätte der Iran generell Probleme mit Sunniten."

Ein anderer iranischer User betont allerdings, dass der Iran durchaus "Probleme mit Sunniten" habe, und zwar mit seinen eigenen: "Offenbar haben unsere Aktivisten vergessen, dass bei uns zehn Millionen Sunniten leben. Wieso machen wir einen Unterschied, ob Sunniten im Iran oder Schiiten in Saudi Arabien getötet werden? Es gibt nicht genug Straßen in Saudi-Arabien, um an die im Iran getöteten Sunniten zu erinnern", so der Autor.

Im Bericht von Amnesty International über fast 700 Hinrichtungen im Iran in der ersten Jahreshälfte 2015 heißt es unter anderem: "Unter den Hingerichteten sind auch Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten, die der 'Feindschaft gegen Gott' und der 'Korruption auf der Erde' für schuldig befunden wurden, darunter Kurden und Sunniten."

Unter Saudi-Arabiens König Salman (Amtsantritt Januar 2015) habe sich die Menschenrechtslage kontinuierlich verschlechtert, berichtet Amnesty International. (Foto: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency)
Unter Saudi-Arabiens König Salman (Amtsantritt Januar 2015) habe sich die Menschenrechtslage kontinuierlich verschlechtert, berichtet Amnesty InternationalBild: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency

"Nichts dazugelernt"

Ein anderer User erinnert in seinem Kommentar an die Stürmung der US-Botschaft 1979 und ihre Folgen: "Die Handlung einer kleinen Gruppe von Dummköpfen, die ausländische Vertretungen stürmen, haben 37 Jahre später erneut die nationalen Interessen Irans und seiner 70 Millionen Einwohner aufs Spiel gesetzt."

Und wieder ein anderer User des persischen DW-Angebots beklagt, dass die durch das Atomabkommen neu gewonnene Bewegungsfreiheit für den Iran leichtfertig riskiert werde: "Die Außenpolitik gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten einer jeden Regierung. Wenn die Erstürmung von Botschaften, egal aus welchem Grund, toleriert wird, dann ist das das Ergebnis. So erleben wir Krise nach Krise. Kaum haben wir die Atomkrise hinter uns, sind wir in der nächsten gefangen, vielleicht mit Krieg oder erneuter Isolation. Die Iraner wollen offenbar nicht in Frieden leben."

Die Abkühlung im Verhältnis zu Riad könne sich aber als zweitrangig erweisen, wenn es um die Ernte der Früchte des Atomdeals geht. Denn der Ausbau des iranischen Raketenprogramms, das von Teheran ganz offen vorangetrieben wird, droht bereits neue Handelssanktionen der USA gegen den Iran hervorzurufen.