Selbstzensur im Karneval
29. Januar 2015Die blutigen und brutalen Anschläge von Paris auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" hatten die Kölner Karnevalsgesellschaft erschüttert. "Das Attentat traf Menschen, die ihre freie Meinung äußerten. Meinungsfreiheit ist für uns ein unverzichtbarer Wert", sagte Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach noch vor wenigen Tagen, als er den Entwurf eines Rosenmontagswagens präsentierte, der den Anschlag auf "Charlie Hebdo" thematisierte. Wagen des Rosenmontagszugs nähmen kritische Themen auf, argumentierte er. "Das Attentat in Paris trifft uns somit genau ins Herz. Der Kölner Karneval ist Charlie." Ritterbach beschwor die "Meinungs- und Narrenfreiheit". Doch dann kam die Kehrtwende: Das Festkomitee hat den Bau des fast fertiggestellten Wagens gestoppt. Die Fans werden im Rosenmontagszug doch nicht sehen, wie ein schwarz gekleideter Terrorist mit Sprengstoffgürtel mit einem Maschinengewehr auf einen Clown zielt, der mit einem Stift aus seinem Gürtel den Gewehrlauf bersten lässt.
Fahrverbot auf dem Rosenmontagszug
Eine Erklärung liefert das Festkomitee auf seiner Website: "Einen Persiflage-Wagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht. Aus diesem Grund haben wir entschieden, den Bau des geplanten 'Charlie Hebdo'-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Rosenmontagszug mitfahren zu lassen." In der Stellungnahme heißt es: "Die Meinungsfreiheit aller ist ein hohes Gut der Demokratie. Der Kölner Rosenmontagszug lebt mit seinen aktuellen Persiflagen diese Meinungsfreiheit jedes Jahr." Aber offenbar nicht in der Karnevalssession 2014/2015. Denn es waren wohl nicht alle Bürger von der Idee des "Charlie-Hebdo"-Wagens begeistert. Das Kölner Festkomitee nehme die Sorgen und Ängste von Bürgern sehr ernst. Der Karneval solle nicht zu Sorgen führen, vielmehr wolle man gemeinsam unbeschwert feiern und einen fröhlichen Karneval erleben.
Kein erhöhtes Sicherheitsrisiko
Zuvor haben Festkomitee und die Polizei betont, es liege keinerlei Gefährdung der Besucher des Rosenmontagszuges durch den Wagen vor. "Wir überprüfen fortlaufend die grundsätzliche Gefährdungslage auch in enger Abstimmung mit den anderen Sicherheitsbehörden des Landes und des Bundes. Uns liegen keinerlei konkrete Gefährdungserkenntnisse vor mit Bezug auf den geplanten Wagen und auch nicht auf den Kölner Rosenmontagszug", sagt Polizeisprecher Christoph Gilles. Die Gefahrenlage habe sich bisher auch nicht verändert. "Wenn ein Sicherheitsrisiko bestanden hätte, dann wären wir ja nicht auf den Wagen gestiegen", sagt auch der Sprecher der Kölnischen Karnevalsgesellschaft Wolfgang Baldes.
Er und andere nennen Argumente für den Wagen: Es gehe vor allem darum, dass der Karnevalszug neben der zentralen Botschaft von Meinungs- und Narrenfreiheit auch die ernste Seite beleuchte. Der Sprecher des Kölner Oberbürgermeisters Jürgen Roters betonte gegenüber der lokalen Presse, es sei für den Karneval wichtig, dass er sich "solidarisch zeigt mit denen, die Witz und Karikatur pflegen". Deshalb habe der Entwurf seinen berechtigten Platz im Zug, zumal der Witz nicht so überzogen sei, dass er andere Menschen provoziere und für neue Auseinandersetzungen sorge.
Kein Vorschlag mit Mohammed-Karikatur
Weltweit war der Entwurf ausgeschrieben gewesen: Aus 14 Entwürfen von lokalen Künstlern konnten Jecken auf der Facebook-Seite des Festkomitees über einen möglichen Persiflage-Wagen abstimmen. Die "Kölnische Karnevalsgesellschaft 1945" wurde gefragt, ob sie auf diesem Wagen mitfahren möchte. Das Votum der Mitglieder war klar, schildert ihr Präsident Johannes Kaussen: "Als ich den Wagen gesehen habe, war mir klar, das ist ein eindeutiges Zeichen gegen Gewalt, für Meinungs- und Narrenfreiheit. In meinen Augen ist er sehr gut gelungen, weil er keine religiösen Gefühle verletzt." Kein einziger der eingereichten Vorschläge enthielt eine Mohammed-Karikatur. Zahlreiche Reaktionen und Diskussionen gab es auf der Facebook-Seite des Festkomitees zu dem geplanten Wagen. Viele Menschen stimmen ihrer Entscheidung zu und bekräftigen das Vorhaben, ein Zeichen für Meinungs- und Narrenfreiheit zu setzen. Noch am Abend der Abstimmung begannen die Wagenbauer mit ihrer Arbeit, denn die Zeit drängte bis zum Rosenmontagszug am 16. Februar.
Scharfe Kritik im Netz
Die Absage des Motto-Wagens durch die Kölner Karnevalisten hat in Internetforen heftige Diskussionen ausgelöst und polarisiert. Dort bezeichnen Nutzer das Fahrverbot des Wagens als "Kapitulation und Verrat an der Grundidee des Karnevals". "Wo bleibt die Freiheit der Gedanken? Wo die Originalität? Wo bleiben Persiflage und Satire?" fragt eine Userin. Denn in den drei Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz thematisieren die Rosenmontagszüge mit sogenannten Persiflage-Wagen die große und kleine Politik in unterschiedlicher Ausprägung. Die Jecken in Mainz und Düsseldorf sind bekannt für die drastische Darstellung ihrer Kritik, die Themen der Kölner Karnevalisten hingegen sind auf dem Rosenmontagszug eher verhalten. Kirchenkritik hat Dauerkonjunktur: Züge ohne Klerus-Persiflage sind in der Domstadt eher die Ausnahme.