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PolitikUkraine

Selenskyj will deutsche Flüchtlingshilfe in Kiew verwalten

7. Februar 2024

Sozialleistungen, die der deutsche Staat an Flüchtlinge aus der Ukraine zahlt, sollten in Kiew verwaltet werden. Diese Idee des ukrainischen Präsidenten Selenskyj wird in Deutschland heftig diskutiert. Wäre das möglich?

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Ukrainische Flüchtlinge mit einem Plakat mit der Aufschrift "Danke Deutschland für die Hilfe" bei einer Kundgebung in München im Sommer 2023
Ukrainische Flüchtlinge bei einer Kundgebung in München im Sommer 2023Bild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meint, das Geld der deutschen Steuerzahler, das für die Unterbringung ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland ausgegeben wird, könnte von der Regierung in Kiew verwaltet werden. "Es wäre besser, Deutschland würde Ukrainer unterstützen, indem es dieses Geld in unseren Haushalt einfließen ließe und die Ukraine würde das Geld verteilen, je nachdem, wo die Person sich aufhält", sagte Selenskyj in einem Interview in der ARD am 28. Januar. 

Zur Erläuterung fügte Selenskyj hinzu, dass manche Ukrainer, die in Deutschland leben, zeitweise sowohl in ihrer Heimat als auch vor Ort finanzielle Hilfe ausgezahlt bekämen. Ferner hätten Flüchtlinge ihre Ersparnisse aus der Ukraine mitgenommen. So würden der Ukraine nicht nur die Bürger, sondern auch deren Geld für die Wirtschaft des vom Krieg gebeutelten Landes fehlen.

Bürgergeld und Jobcenter

Im deutschen Bundeshaushalt für 2024 sind allein für den Lebensunterhalt arbeitsfähiger ukrainischer Flüchtlinge bis zu sechs Milliarden Euro vorgesehen. Dieses wird als sogenanntes Bürgergeld ausgezahlt. Es beträgt monatlich 563 Euro für jeden Erwachsenen, der beim Jobcenter gemeldet ist. Das sind derzeit etwa 700.000 von rund 1,1 Millionen offiziell in Deutschland registrierten ukrainischen Flüchtlingen. Die anderen sind Kinder und Menschen im Rentenalter, die Unterstützung aus anderen Quellen erhalten.

Präsident Wolodymyr Selenskyj steht vor den Fahnen der Europäischen Union und der Ukraine und spricht in ein Mikrofon
Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt an, den doppelten Bezug von Sozialleistungen verhindern zu wollenBild: PIC ONE/picture alliance

Laut der Bundesagentur für Arbeit gehen etwa 20 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland einer Arbeit nach, der Rest erhält Sozialleistungen. Neben den Lebenshaltungskosten werden auch die Mieten einschließlich der Nebenkosten aus dem Bundeshaushalt gedeckt. Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge leben nicht in Unterkünften, sondern in Wohnungen. Allein die Ausgaben des Staates für das Bürgergeld und die Finanzierung der Unterbringung belaufen sich pro Person auf 750 bis 850 Euro im Monat. Sozialleistungen für Rentner und Kindergeld sowie die Kosten für die Krankenversicherung und Integrationskurse sind darin nicht enthalten und werden gesondert vergütet.

Kein systematischer Missbrauch

Eine Umsetzung von Wolodymyr Selenskyjs Idee ist nach deutschem Recht unmöglich, erklärt Margret Böwe vom Sozialverband VdK Deutschland im Gespräch mit der DW: "Diese Hilfe wird nur in Deutschland ausgezahlt. Auch Deutsche, die im Ausland leben, bekommen diese Leistungen nicht", sagt sie. Ihr zufolge widerspricht Selenskyjs Idee komplett dem System der sozialen Sicherungsleistung in Deutschland, das sich danach richtet, was die Menschen für ihr Existenzminimum brauchen, beispielsweise bei der Versorgung und Ausbildung ihrer Kinder oder bei der Anschaffung von Möbeln.

Die Expertin widersprach Selenskyjs Behauptung, dass einige Ukrainer Leistungen sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland bezögen. "Wenn hier Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter beantragt wird, wird auch geprüft, ob sie eine Rente oder andere Zahlungen aus der Ukraine haben. Das wird dann abgezogen", so Böwe. Sollte aber das, was Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten, nicht ausreichen, um das Existenzminimum zu erreichen, bekommen sie in Deutschland zusätzliches Geld.

Die Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit erklärte auf eine DW-Anfrage, die noch vor Selenskyjs ARD-Interview an die Behörde geschickt worden war, dass es keinerlei Informationen über einen systematischen Missbrauch von Leistungen durch Ukrainer gebe. Sie wüssten allerdings oft nicht, dass sie es dem Jobcenter melden müssen, wenn sie für eine Weile nach Hause in die Ukraine fahren und auch, wenn sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.

Milliarden für Staatsetat und Flüchtlinge

Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat Berlin in den beiden vergangenen Kriegsjahren finanzielle Verpflichtungen zur Unterstützung Kiews in Höhe von insgesamt 21 Milliarden Euro auf sich genommen. Die jährlichen Ausgaben jener Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge von bis zu sechs Milliarden Euro sind da nicht eingerechnet.

Eine Jobmesse für ukrainische Geflüchtete in Berlin
Eine Jobmesse für ukrainische Geflüchtete in BerlinBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Gleichzeitig wird für Zahlungen an Flüchtlinge ein Vielfaches mehr ausgegeben als beispielsweise für humanitäre Hilfe, die in die Ukraine fließt. Sie betrug in den vergangenen zwei Jahren 2,4 Milliarden Euro. Der größte Teil der deutschen Hilfe geht jedoch an das Militär - in den vergangenen zwei Jahren waren das 17 Milliarden Euro. Neben direkten Hilfen aus dem Bundeshaushalt zahlt Deutschland auch am meisten in den Haushalt der Europäischen Union ein, aus dem die Ukraine laut ihrer Regierung im Jahr 2023 umgerechnet 19,5 Milliarden US-Dollar erhielt.

Insgesamt entsprachen die Finanzhilfen westlicher Geber, die direkt dem ukrainischen Staatshaushalt zugewiesen wurden, im Jahr 2023 etwa 80 Prozent der Ausgaben der Ukraine für Sozialleistungen wie Renten und Zahlungen an Binnenflüchtlinge.

"Menschen brauchen eine Perspektive"

Die Stimmung in Deutschland, was die finanzielle Unterstützung der Ukraine angeht, verschlechtert sich allerdings. Laut einer Anfang Januar veröffentlichten Umfrage, dem ARD-Deutschlandtrend, glauben 41 Prozent, dass Berlin der Ukraine zu viel finanzielle Hilfe gewährt - fast doppelt so viele wie noch im April 2022.

Für die laufenden Zahlungen gibt es nach Ansicht von Margret Böwe aber keine Alternative. Sie betont, den Ukrainern müsse Zeit zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Erwerb der notwendigen beruflichen Zusatzqualifikationen gegeben werden, um sich entsprechend ihrem Bildungsstand in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. "Menschen brauchen eine Perspektive, man kann sie nicht über Jahre in einer Warteschleife lassen. Das macht die Menschen nur fertig und bringt gar nichts", so Böwe.

Laut einer im vergangenen Sommer veröffentlichten Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung will fast die Hälfte der ukrainischen Flüchtlinge (44 Prozent) in Deutschland bleiben, unabhängig davon, wie und wann der Krieg endet.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk