Selfie oder Porträt? Eine Kunstform präsentiert sich
Das Porträt spiegelt die Gesellschaft in der Kunst wieder wie kaum ein anderes Genre. Jetzt steht es im Mittelpunkt einer neuen Doppelausstellung. Der Titel ist Programm: "Mit anderen Augen".
Wieviele Wörter ist ein Porträt wert?
"Der Maler konstruiert, der Fotograf offenbart", schrieb Susan Sontag 1977 in ihrem Wälzer "Über Fotografie". Während das Porträt seit Jahrtausenden einer der einflussreichsten Genres der Kunst ist, hat sich seine Machart stark verändert. Die Bonner Ausstellung "Mit anderen Augen" zeigt einen Entwicklung auf - bis zum Porträt, wie wir es heute kennen.
Die Betreuerin
Joerg Lipskoch fotografierte 2015 eine Krankenpflegerin als Teil seiner Serie "Menschen des 21. Jahrhunderts". Es ist eine Hommage an den Kölner Fotografen August Sander und dessen "Menschen des 20. Jahrhunderts". Lipskoch sortiert seine Porträts - ähnlich wie Sander - unter Überschriften wie "Schule und Bildung" oder "Freizeit und Erholung".
Die langhaarige Sachbearbeiterin
Die Porträts aus Hiroh Kikais Reihe "Asakusa" wurden alle im gleichnamigen Tokyo Bezirk aufgenommen, in der Nähe des ältesten buddhistischen Tempels der Stadt. Eine Tempelmauer diente häufig als Kulisse, um eine neutralen Hintergrund zu haben. Diese Aufnahme aus dem Jahr 1987 trägt den Titel "Eine Sachbearbeiterin lässt ihre Haare lang wachsen."
Die Männer der Arktis
Die norwegische Fotografin Mette Tronvoll verbrachte mehrere Monate in der Arktis, in einer ehemaligen Bergbaustadt, in der heute Klimaforscher leben. Die Porträts erschienen in Tronvolls Serie "Svalbard". Die raue, karge Landschaft bietet eine interessante Kulisse, um das Gefühl der Isolation in den Gesichtsaudrücken noch zu verstärken. Dieses Foto entstand 2014.
Aus der Heimatstadt des Künstlers
Was aussieht wie ein einfaches Porträt eines Mannes auf einer Landstraße, ist eigentlich eine Geschichte über Dalliendorf, die Heimatstadt des Künstlers. In der Serie aus dem Jahr 1966 hat Albrecht Tübke Menschen bei der Arbeit festgehalten. Dieses Bild zeigt einen stolzen Steinmetz, der auf die Verarbeitung von Carrara-Marmor spezialisiert ist.
Ehepaar mit Hund
Die Formenvielfalt der Ausstellung sagt über die zeitgenössische Fotografie ähnlich viel aus wie die Fotos selbst. Jan Paul Elvers 2012 entstandener Sibergelatine-Abzug von einem Paar mit seinem Hund steht im Kontrast zu den schärferen Bildern und den filmischen Installationen, an deren Seite es hängt – und verweist damit sowohl auf Grenzen als auch Möglichkeiten der neuen Fototechnik.
Porträt eines Amerikaners
"Cheese!" Viele Menschen sind damit aufgewachsen, für ein Foto zum Lächeln aufgefordert zu werden. Vom ersten Familienfoto gleich nach der Geburt bis zum Klassenfoto in der Schule – das lächelnde Porträt vor einem neutralen Hintergrund mag oft nicht authentisch wirken, es sagt dennoch etwas über unsere Gesellschaft aus. Das Foto "American Portrait" von Annette Kelm entstand im Jahr 2007.
Diplomaten im Fokus
Gruppenporträts entfalten ihre ganz eigene Dynamik. Dieses Foto von Clegg & Guttmann aus dem Jahr 2000 trägt den Titel "Group Portrait of Bundesministers". Es ist weniger spontan entstanden als andere Fotos in der Ausstellung und veranschaulicht die Schwierigkeiten, denen ein Fotograf begegnet, wenn er mehrere übergroße Persönlichkeiten auf nur einer kleinen Leinwand einfangen will.
Mit den Augen eines Soldaten
Der Fotograf Mark Neville verbrachte mehrere Monate bei den in der afghanischen Provinz Helmand stationierten britischen Soldaten. Lebensbedrohliche Situationen gehörten dort zum Alltag. Seine Bücher handeln ebenso von den Erfahrungen vor Ort wie von den Nachwirkungen und enthalten unter anderem Aufnahmen von traumatisiert heimgekehrten Soldaten– beispielsweise das Foto "Firing Range" von 2011.
Porträt eines Porträts
Was erzählt ein Porträt über die Kultur und die Gesellschaft, in der es aufgenommen wurde? Das hängt von den Entscheidungen des Fotografen ab. So schrieb Susan Sontag: "Jedes Bild wurde von jemandem ausgewählt. Fotografieren heißt Gestalten, und Gestalten heißt auch, etwas wegzulassen." Dieses Foto von Wolfgang Tillmans wurde 1991 aufgenommen und trägt den Titel "Domestic Scene, Remscheid".
Apokalyptisches Porträt
Eine der weltgrößten Müllhalden in der ghanaischen Hauptstadt Accra bildet den Rahmen für dieses Porträt eines Mannes, der zwischen Computern, Kühlschränken und anderem Elektroschrott auf der Suche nach wertvollen Teilen ist. Das Porträt "Permanent Error" (2009 - 10) ist die Arbeit des Südafrikaners Pieter Hugo, dessen Gesamtwerk viele politische und sozialkritische Elemente enthält.
Von der Vergangenheit inspiriert
Für seine Serie "Bretonnes" (2011 – 2014) hat der französische Künstler Charles Fréger Menschen in unterschiedlichsten Trachten und Uniformen fotografiert. Bei dieser Aufnahme eines Bretonischen Mädchens in ihrer traditionellen Tracht des 19. Jahrhunderts wählte der Fotokünstler Gazegewebe als Hintergrund, um dem Foto den Anschein eines Ölgemäldes zu verleihen.
Die Familie geht über die Liebe
"Ich war fasziniert, wie sehr ihr Äußeres zu ihrem Inneren passt", sagt Pepa Hristova über ihre Fotoreihe "Sworn Virgins" . In Albanien gibt es das einzigartige Phänomen der "Schwur-Jungfrauen": Frauen schwören, nicht zu heiraten, sondern ab dem Moment, in dem der Patriarch stirbt, die Familie zu versorgen. Das Foto "Qamile 1" ist zwischen 2008 und 2010 entstanden.
Die Doppelausstellung "Mit anderen Augen: Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie" wirft einen umfassenden Blick auf das Porträt in der Fotografie des 21. Jahrhunderts. Ein Teil der Ausstellung eröffnet am 25. Februar im Kunstmuseum in Bonn und läuft bis zum 8. Mai. In Köln wird die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur weitere Aufnahmen in einer Ausstellung vom 26. Februar - 29. Mai zeigen.