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Serbien: Chinas Lieblingspartner

Linda Vierecke | Nemanja Rujevic
21. Februar 2021

Serbien impft schneller als die EU - mithilfe Chinas. Die Volksrepublik investiert in Zugstrecken, Stahlwerke und Überwachungstechnik. Nicht allen gefällt das.

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Mann mit Mundschutz, Brille und Kittel zeigt auf ein leuchtendes Eisenbahnmodell.
Schnellstrecke Belgrad - Budapest? "Kein Problem", meint Ingenieur Yu Hui, derzeit für China Railway in SerbienBild: DW

Der Mann im einfachen weißen Kittel, freundlich und geduldig, passt nicht in das pompöse Bild der "eisernen Freundschaft" zwischen Serbien und China. Yu Hui zeigt in der Belgrader Zentrale von China Railway unaufgeregt eine Modelleisenbahn, die den halben Raum füllt. 

So wie im Modell soll bald die Schnellstrecke zwischen Belgrad und Budapest aussehen - von chinesischen und russischen Firmen gebaut. Dafür nimmt Serbien Milliardenkredite aus beiden Ländern auf.

"Das ist keine besondere Herausforderung für mich", sagt der chinesische Ingenieur. "Ich war nicht nur in Pakistan, sondern auch in Ägypten, im Iran, in Argentinien."

Was für Peking business as usual auf der Neuen Seidenstraße ist, bedeutet für das kleine Balkanland viel. Hier fahren Züge im Schnitt kaum schneller als fünfzig Kilometer pro Stunde. Und jetzt soll es gleich viermal so schnell werden? Für China geht es um die Verbindung vom griechischen Hafen Piräus nach Westeuropa.

"Wir liegen direkt auf dem Weg zu einem der größten Märkte: der Europäischen Union - mit 500 Millionen Menschen", sagt Marko Čadež, Präsident der serbischen Handelskammer.

"Chinesen sind Geschenk des Himmels"

Serbien ist ein dankbares Ziel für chinesisches Geld. Das Land hat umfangreiche Handelsabkommen mit Brüssel, ist aber kein EU-Mitglied und unterliegt somit nicht den strengen Standardregeln.

In Belgrad thront mit dem Präsidenten Aleksandar Vučić ein pragmatischer Autokrat, der Medien an der kurzen Leine hält und seine Hexenjagd auf die Opposition vorantreibt. Seine Fortschrittspartei regiert bis in das winzigste Dorf hinein. Ob die Eröffnung einer von Chinesen gebaute Brücke in Belgrad oder die eines Autobahnabschnitts, Vučić und die Fernsehkameras sind da.

"Die Chinesen haben uns Brücken und Straßen gebaut, an denen Europa nicht interessiert war", meint Milomir Marić, der bekannteste Moderator des Landes. Im Studio des regimenahen Privatsenders "TV Happy" gibt es Tapeten, die Bücherregale simulieren. Was es nicht gibt, sind kritische Stimmen. Oft ist der Präsident selbst Gast, Marić duzt ihn.

Mann sitzt im Sakko und Hemd an einem Schreibtisch, vor ihm ein Glas Wasser und Zeitungen
EU zögert, China investiert - Fernsehstar Milomir Marić schätzt die chinesischen Bauvorhaben in SerbienBild: DW

Als junger Mann habe Marić den "amerikanischen Traum" geträumt, wie er es nennt: der EU beizutreten, Teil des Westens zu sein. Jetzt glaubt er, das nicht mehr zu erleben. Auch weil Berlin und Brüssel politische Konditionen stellen - Serbien solle sich mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Südprovinz Kosovo abfinden. Peking wie Moskau hingegen stellen sich im UN-Sicherheitsrat gegen die Abspaltung des Kosovo.

"Für uns sind die Chinesen wie ein Geschenk des Himmels - sie haben uns Kredite gegeben, aber auch einen Hauptteil der Arbeit übernommen", so der Fernsehstar.

Das Geld fließt zurück nach China

Was Marić meint, ist an einem sonnigen Oktobertag in dem Belgrader Stadtteil Zemun zu beobachten. Dort wird ein Bahnhof der schnellen Zugstrecke fertig gebaut. Serbische Arbeiter sieht man kaum. Die meisten kommen aus China, Journalistinnen und Journalisten wollen sie kein Wort sagen, nicht mal wie es ihnen so in Serbien geht.

Frau hat ihren Mundschutz unterm Kinn, lächelt, hält Stift in der Hand.
"Keinen Einblick, wie das Geld ausgegeben wird" - Marinika Tepić, serbische OppositionspolitikerinBild: DW

Auch die Anfragen bei chinesischen Firmen und serbischen Ministerien laufen ins Leere. Chinesen betreiben mittlerweile ein riesiges Stahlwerk in Zentralserbien, eine Schmelzanlage samt Kupfermine im Osten des Landes, dazu eine Reifenfabrik im Norden.

Dass sie es mit Umweltstandards nicht so genau nehmen, macht nichts - die Machthabenden in Serbien ziehen Arbeitsplätze vor. Eine verheißungsvolle Geschichte in einem Land, wo die meisten Menschen mit weniger als 500 Euro in Monat auskommen müssen und viele Jobs von der Gnade der Partei abhängen.

Laut Regierung belaufen sich die chinesischen "Investitionen" auf zehn Milliarden Euro in den vergangenen Jahren. Doch in offiziellen Daten der Zentralbank finden sich bis 2019 nur 1,6 Milliarden davon - ein Bruchteil im Vergleich zu Investitionen aus der EU.

Kritikerinnen und Kritiker meinen, Chinesen investierten gar nicht - sie verleihen lediglich das Geld für die Bauvorhaben. Den Auftrag erhält dann eine chinesische Firma und es sind chinesische Arbeiter, die auf den Baustellen werkeln, bald auch unter der Erde. Denn neben französischen Firmen sollen auch chinesische ab kommendem Herbst die U-Bahn in Belgrad bauen.

Chinesischer Arbeiter mit Käppi, Schutzweste und Mundschutz zieht sich einen Handschuh an.
Serbischen Arbeitsmarkt ankurbeln? Auf der Baustelle der neuen Bahnstrecke arbeiten vor allem ChinesenBild: DW

"Was uns aufgerüttelt hat, war der drastische Preisunterschied für den Bau", sagt Marinika Tepić von der oppositionellen Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Nach dem chinesischen Einstieg in das Projekt rechnet man mit 4,4 Milliarden Euro - doppelt so viel wie zuvor angedacht, damals noch ohne die Beteiligung der Chinesen. Ein Kraftakt für Serbien mit einem staatlichen Etat von rund elf Milliarden Euro jährlich.

Investitionen wären gut, meint Tepić. Aber nicht das Geldverbrennen und die Korruption, die sie vermutet. "Wir haben keinen Einblick, wie das Geld ausgegeben wird. Denn chinesische Unternehmen werden wie Eisbären geschützt durch ein bilaterales zwischenstaatliches Abkommen", sagt Tepić. Wegen ihrer Kritik wird sie als "Verräterin" in Boulevardblättern beschimpft, sogar Morddrohungen gab es.

Geopolitik mit Impfstoffen

Doch selbst schärfste Kritiker des Präsidenten Vučić und seiner Chinavorliebe wurden vor ein paar Wochen still. Durch die Lieferung einer Million Dosen des chinesischen Impfstoffherstellers Sinopharm  impft Serbien deutlich schneller als die EU-Länder. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sogar auswählen, ob sie chinesische, russische oder westliche Vakzine wollen.

Zwei Hände halten je zwei Glasfläschen mit durchsichtiger Flüssigkeit in die Kamera.
Welcher Impfstoff darf es sein? Sputnik aus Russland (l.) oder Sinopharm aus China (r.)?Bild: Oliver Bunic/AFP/Getty Images

Geopolitik pur bei der Bekämpfung der Pandemie. Der nördliche Nachbarn Ungarn folgt dem Beispiel und bestellt in China. Selbst Bundeskanzlerin Merkel sagt, sie habe nichts gegen Impfstoff aus dem Fernen Osten, sobald dieser von europäischen Behörden zugelassen würde.

Serbien als Pilotprojekt der Chinesen auf dem Weg nach Europa? Nevena Ružić befürchtet das. Am Platz der Republik, dem Zentrum von Belgrad, zwischen Nationalmuseum, Volkstheater und Fußgängerzone, zeigt die Anwältin auf weiße Sicherheitskameras.

Huawei erkennt dich

"Sehen Sie die Kamera, die runde, die wie ein Ball aussieht? Sie kann sich komplett drehen. und sie hat natürlich auch Gesichtserkennung. Alle haben Gesichtserkennungssoftware", sagt sie.

Frau spricht. Sie steht auf einem Platz.
Wofür braucht es überhaupt "Safe City"? Anwältin und Aktivistin Nevena RužićBild: DW

Über Tausend solcher Kameras von Huawei sind schon in der serbischen Hauptstadt. Wo genau, darüber schweigt die Polizei, und so mussten die Aktivistinnen und Aktivisten sie suchen und auf einer Karte markieren. Es ist unklar, ob die serbische Polizei die Gesichtserkennungsfunktion bereits nutzt.

Was feststeht: Belgrad ist die erste europäische Stadt, in der flächendeckend "smarte" Kameras zu finden sind. Unter dem Namen "Safe City" soll das auch eine Werbung für chinesische Überwachungstechnik sein.

"Es gab keine Beratung im Parlament oder unter Expertinnen und Experten. Es gab keinerlei Infos, die öffentlich zugänglich waren, um zu verstehen, warum wir das brauchen", meint Ružić, die für die Open Society Foundation in Belgrad tätig ist.

Anders als in Europa sei in China die Privatsphäre kein zentrales Menschenrecht. "Deswegen sollten wir uns schon fragen, ob wir so sensible Informationen mit solchen Firmen über Grenzen hinweg teilen sollten."

Werbung auf einem Gebäude für die chinesische Firma Huawei, davor eine Ampel
Der chinesische Konzern Huawei versorgte Belgrad flächendeckend mit smarten KamerasBild: DW

Die Propaganda wirkt

Serbien und seine Nachbarländer werden oft abwertend als "Hinterhof" Europas beschrieben, wo auch Russland, die Türkei oder Golfländer um Einfluss ringen. Doch der wachsende Einfluss Chinas auf dem Balkan wird mittlerweile in der EU kritisch beobachtet. Denn es scheint klar, dass mit den Krediten auch Abhängigkeiten geschaffen werden, die für politische Einflussnahme genutzt werden könnten.

"Ach was!", meint der Journalist Marić, die Westeuropäer würden so was nur erzählen, weil sie ihre eigene Wirtschaft schützen wollten. "China investiert in viele andere europäische Länder oder in Mitgliedsländer der NATO weit mehr als in Serbien. Chinesische Waren kommen in die nördlichen Häfen von Duisburg, Hamburg und Rotterdam. Sie alle leben von chinesischen Waren", sagt er. Jetzt habe man im Westen Angst, dass von Piräus über Serbien oder Italien eine südliche Route der Seidenstraße entstehe, die Konkurrenz schaffe.

Präsident Vučićs Kuschelkurs mit China kommt beim Volk an. Laut einer Umfrage aus dem November 2020 halten 16 Prozent der Bürgerinnen und Bürger China für den "größten Freund" Serbiens. Nur Russland hat mit 40 Prozent noch deutlich mehr Zustimmung.

Zwei Männer schütteln sich vor mannshohen serbischen und chinesischen Flaggen die Hände.
"Danke, Bruder Xi!" Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Chinas Präsident Xi JinpingBild: Getty Images/D. Sagolj

Besonders Chinas schnelle Hilfe in der Anfangsphase der Pandemie hat sich bei vielen Serbinnen und Serben eingebrannt. Chinesische Schutzmasken und medizinische Ausrüstung wurden von Vučić persönlich in Empfang genommen, zu welchem Preis blieb ein Geheimnis. Dass die EU während der Pandemie mit über einhundert Millionen Euro hilft, wird in den Medien kaum erwähnt.

Sogar einige Reklametafeln, bezahlt von einer regierungsnahen Zeitung, halfen Chinas Hilfen zu überhöhen: "Danke, Bruder Xi!" konnten die Belgraderinnen und Belgrader darauf lesen. Kein Wunder, dass in Umfragen 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Meinung waren, dass China Serbien während der Pandemie am meisten geholfen hat. Die EU wird nur von drei Prozent der Menschen als Helferin erwähnt.

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Chinas Griff nach Europa - Die Neue Seidenstraße, Teil 2

Teil 1 der DW Dokumentation bei YouTube:
Chinas Griff nach Europa - Die Neue Seidenstraße, Teil 1