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Politik

Serbien: Die Djokovic-Saga geht weiter

12. Januar 2022

Der Tennisstar hat einen Prozess in Australien gewonnen, nun drängen sich weitere Fragen zu seinem Corona-Test auf. Aber kaum in Serbien. Dort ist die Unterstützung für Djokovic überschwänglich.

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Serbien Belgrad | Plakat mit Bild des Tennisspielers Novak Djokovic
Plakat des Tennisspielers Novak Djokovic in der serbischen Hauptstadt BelgradBild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Novak Djokovic tut es leid, seinem Agenten sowieso. Auf Instagram schreibt der Tennisstar, er habe am 18. Dezember 2021 bewusst ein Interview und einen Fototermin für die französische Sportzeitung L'Équipe absolviert, obwohl er mit Corona infiziert gewesen sei. Er habe die Journalisten nicht enttäuschen wollen.

"Wenn ich darüber nachdenke, war das eine Fehleinschätzung, und ich akzeptiere, dass ich diese Verpflichtung hätte verschieben sollen", schreibt Djokovic.

Auch sein Einreiseformular nach Australien, gibt er zu, sei fehlerhaft ausgefüllt gewesen. Seine Mitarbeiter hätten versäumt zu erwähnen, dass er zwischenzeitlich in Spanien gewesen sei. Djokovic selbst hatte von seinem Aufenthalt in Marbella um Silvester keinen Hehl gemacht. Er hatte dort trainiert und auch Fotos ins Netz gestellt.

Australien | Novak Djokovic in Melbourne
Screenshot eines Social-Media-Posts von Novak Djokovic am 10.01.2022 in MelbourneBild: Social Media Screenshot/Avalon/Photoshot/picture alliance

So geht das Drama um Djokovics angeblichen positiven Corona-Test vom 16. Dezember 2021 nun also weiter. Es gibt Hinweise, dass der Test manipuliert worden sein könnte. Wird das dem besten Tennisspieler der Welt nun zum Verhängnis?

Zwei schlechte Möglichkeiten

Der erfahrene serbische Epidemiologe Zoran Radovanovic kann nur den Kopf schütteln. Seit zwei Jahren kritisiert er unermüdlich die lockere Corona-Politik in Serbien, die beschönigten Zahlen der an oder mit COVID-19 Verstorbenen und die niedrige Impfquote. "Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, und beide sind schlecht: Djokovic ist entweder infiziert herumspaziert oder er hat den Australiern einen gefälschten Test vorgelegt", sagt Radovanovic der DW.

Die Saga um Djokovic, den in Serbien alle nur "Nole" nennen, ist eine Zitterpartie für die ganze Nation geworden. Und die wenigsten wagen es, sich kritisch zu äußern, etwa über die Ungereimtheiten des inzwischen weltberühmten Corona-Tests des Tennisstars. Dieser war für die Einreise nach Australien entscheidend und ist mittlerweile wie ganze Gerichtsakten öffentlich zugänglich.

Serbien Belgrad | Proteste wegen Novak Djokovic
Unterstützer von Novak Djokovic in der serbischen Hauptstadt Belgrad am 8.01.2022, vorn im Bild Djokovics ElternBild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Die Unterlagen belegen, dass die Ergebnisse aus dem Labor, denen zufolge Djokovic positiv getestet worden war, am 16. Dezember 2021 um 20:19 Uhr übermittelt wurden. Am nächsten Tag aber verteilte Djokovic Pokale an junge Tennisspieler, am übernächsten gab er das Interview für L'Équipe.

Gefälschter Test?

In Serbien werden Ergebnisse von Corona-Tests den Betroffenen in der Regel sofort mitgeteilt. Ob das bei Djokovic der Fall war, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Der Tennisstar behauptet, er habe die Ergebnisse erst nach dem Termin mit den Nachwuchstennisspielern erfahren. Daher stellt sich die Frage: Gab es diesen Test überhaupt?

Jetzt hat das deutsche IT-Kollektiv "Zerforschung" Indizien dafür geliefert, dass es sich bei Djokovics Test um eine Fälschung handeln könnte. Der Bestätigungskode auf dem Zertifikat - eigentlich die Nummer eines Befunds - entspräche dem 26. Dezember 2021 und nicht, wie angegeben, dem 16. Dezember. Hat also jemand im serbischen Corona-Zentralregister den Test rückwirkend angelegt? Und wenn ja - wusste Djokovic davon?

Falls ja, könnte das Folgen haben: Verstöße gegen die Isolationspflicht für Infizierte sowie die Fälschung von Testergebnissen wurden in Serbien fallweise bereits mit Bußgeldern oder sogar gar dreijährigen Freiheitsstrafen geahndet.

Erst Euphorie, jetzt getrübte Stimmung

Die Angelegenheit müsse geklärt werden, so die serbische Regierungschefin Ana Brnabic gegenüber Reuters. "Ich weiß nicht, wann Djokovic die Testergebnisse bekommen und gesehen hat", sagte sie nur wenige Stunden vor dem Instagram-Posting des Tennisstars. Wenn er von seinem positiven Befund gewusst habe, so Brnabic, dann habe er "klar die Regeln gebrochen".

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Dijana und Srdjan Djokovic, die Eltern des TennisstarsBild: Pedja Milosavljevic/AFP/Getty Images

Die neuesten Nachrichten im Fall Djokovic trüben die Stimmung in dem Balkanland, die am Montag früh noch euphorisch gewesen war. Der serbische Tennisstar hatte ja, so sahen es viele, vor Gericht den Commonwealth of Australia bezwungen. Zuvor hatte gefühlt ganz Serbien dem Prozess in Melbourne zugeschaut - wegen der Zeitverschiebung mitten in der Nacht, das serbische Fernsehen hatte live übertragen. "Recht und Gerechtigkeit haben gesiegt", sagte anschließend Djokovics Vater Srdjan, der seinen Sohn einige Tage zuvor mit dem gekreuzigten Jesus verglichen hatte.

Abwehrreflex einer Nation

"Serbien genießt ja seit den 1990er Jahren kein gutes Image in der Welt", sagt Aleksandar Milosevic, Redakteur der liberalen Belgrader Zeitung Danas. "Deswegen projiziert die Mehrheit der Serben ihre Hoffnungen auf Djokovic. Die ganze Sache mit Australien wurde als Unrecht verstanden, als Angriff auf den Besten von uns."

Serbien Präsident Aleksandar Vucic
Serbiens Staatspräsident Aleksandar VucicBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic schaltete sich sofort ein, ihm treu ergebene Boulevardblätter schwadronierten von einem "Angriff auf das ganze serbische Volk". Jetzt hofft man in Serbien, dass Djokovic seinen Titel beim Australien Open verteidigen kann.

Noch ist nicht endgültig entschieden, ob Djokovic in Australien bleiben darf, der australische Einwanderungsminister könnte das Visum des Tennisspielers erneut annullieren. Eines scheint indessen klar: Der Tennisstar wird in Belgrad als Held empfangen werden, egal, ob er aus Australien abgeschoben wird oder mit einem Pokal in der Hand zurückkehrt. Es wirkt wie Trotz und Abwehrreflex einer ganzen Nation.

Wohl auch auf die Darstellung Djokovics in vielen westlichen Medien, meint der Journalist Milosevic. Sie sprächen über ihn als Impfgegner, seltsamen Esoteriker oder egoistischen Millionär. Dass er beispielsweise in Serbien, Spanien und Italien Millionensummen für den Kampf gegen die Pandemie spendete, bliebe unerwähnt. "Auch westliche Journalisten haben eine vorgefertigte Meinung und wollen Novak ausschließlich als Bösewicht porträtieren", sagt Milosevic. "Jetzt wird seine Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen und dennoch nach Australien zu reisen, als Forderung nach einer Sonderbehandlung stilisiert. Und das stimmt so nicht - er hat nur Gebrauch von einem legalen Recht auf eine Ausnahme gemacht."

Kein Agitator gegen Corona-Impfungen

Zwar beschaffte Serbien als einer der ersten Staaten weltweit genügend Corona-Impfdosen. Dennoch sind im Land derzeit erst rund 47 Prozent der Bewohner doppelt geimpft. Eigentlich befürwortet die Staatsführung um Präsident Vucic das Impfen. Aber TV-Sender laden zur besten Sendezeit immer wieder Impfgegner ein, die in Debatten wildeste Theorien präsentieren. Deswegen hätte sich der Epidemiologe Radovanovic gewünscht, dass Novak Djokovic mit gutem Beispiel vorangehe. Dieser aber blieb ungeimpft.

"Djokovic ist Vorbild für viele und hätte etwas bewegen können, gerade bei der jungen Generation", sagt Radovanovic. "Doch man muss ehrlicherweise auch sagen, dass er nie gegen Corona-Impfungen agitiert hat. Er wollte das Thema eher meiden und hat sich neutral verhalten."

Mit seinen stolzen 82 Jahren ist Radovanovic, wie er sagt, nachts "wie Vampir" vor dem Fernseher wach, wenn Djokovic in den USA oder Australien spielt. "Denn er ist einer der wenigen, der uns Freude bringt in diesem Elend. Deswegen tut es mir unendlich leid, dass das alles jetzt so passiert."