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PolitikEuropa

Serbien: Reformblocker Medien

Thomas Brey
22. Oktober 2022

Brüssel verhandelt mit Serbien seit vielen Jahren über einen EU-Beitritt. Doch die staatlich gesteuerten Medien im Land verteufeln die Europäische Union und verhindern die vom Westen verlangten Reformen.

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Schlagzeilen serbische Boulevardzeitungen in Belgrad (August)
Serbische Boulevardzeitungen an einem Kiosk in Belgrad (im August): "Serbien wird siegen"Bild: Rüdiger Rossig/DW

Wenn man den von der Regierung gesteuerten Medien in Serbien Glauben schenken will, stellt sich die Lage des Balkanlandes heute so dar: Der Westen will Serbien immer wieder demütigen und klein machen. Das einzig wirksame Mittel dagegen sind die brüderliche Freundschaft mit Russland und die engen Kontakte zu China. Mehr noch: Die EU und die USA wollen mit ihren Geheimdiensten den alles beherrschenden serbischen Spitzenpolitiker Aleksandar Vucic ermorden.

Und weiter: Die verweichlichten Länder Westeuropas seien durch die Auflösung christlicher Werte, an deren Stelle die LGBTQ-Community getreten sei, dem Untergang geweiht. Demgegenüber seien die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland beispielhaft. Das gelte vor allem für den Präsidenten Wladimir Putin, der sich wie ein Familienvater um die russische Nation kümmere.

Wladimir Putin und Aleksandar Vucic in Belgrad (17.01.2019)
Präsidenten Putin und Vucic in Belgrad (2019)Bild: picture-alliance/TASS/M. Metzel

Serbiens Präsident Vucic rühmt sich enger Kontakte zu Putin, die von den Regierungsmedien bejubelt werden. Zuletzt bemühte er sich mit breiter Unterstützung fast aller Medien um die Schaffung eines "serbischen Blocks" nach dem Muster der Putin-Partei Einiges Russland.

Monologe an die Nation, in jedem Sender

Diese "Informationen" prasseln Tag für Tag auf die Bürger Serbiens ein. Denn alle fünf Fernsehsender mit landesweiter Reichweite, die mit Abstand wichtigste Informationsquelle der Bürger, stehen unter direktem Einfluss der politischen Elite. Sie werden - bis auf den Staatssender RTS - von stets zu Diensten stehenden Oligarchen geführt, die zum ganz engen Kreis der regierenden Serbischen Fortschritsspartei (SNS) und von Vucic selbst gehören.

Der kann nach Belieben in jedem Sender und jederzeit eine seiner vielen Monologe an die Nation richten. Selbst die beliebten Soaps und Trash-Formate werden dafür unterbrochen oder verschoben.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic auf verschiedenen Monitoren
Präsident Vucic in staatsnahen Fernsehprogrammen: Monologe an die Nation, jederzeit, überallBild: N. Rujevic/DW

Ähnlich ist die Lage im Printsektor. Zeitungen wie "Politika" und "Novosti", aus denen sich der Staat auf Druck der Europäischen Union als Eigentümer zurückziehen musste, wurden von Vucic-Vertrauten übernommen. Die auflagenstarke Neugründung "Informer" wird von Dragan Vucicevic geführt, den Vucic wiederholt als seinen Lieblingsjournalisten bezeichnet hatte.

Vucicevic versteht seine Zeitung als Sprachrohr und Kampfblatt der Regierung und tritt beinahe täglich als Scharfmacher im Fernsehen auf. "Informer" bringt Schlagzeilen auf der Titelseite wie "Die Ukraine hat Russland angegriffen!", "Der schmutzige EU-Krieg gegen Serbien" oder "Vucic zerschmettert die (kroatischen) Faschisten".

Die EU schaut nicht hin

Die EU ignoriert jedoch alle Verwerfungen der Medienlandschaft in Serbien, weil sie nach wie vor allein in Vucic den geeigneten Verhandlungspartner sieht. Im neuesten Fortschrittsbericht der EU-Kommission für Serbien, veröffentlicht vergangene Woche (12.10.2022), kommen die Themen Medien und Pressefreiheit erst ganz hinten zur Sprache. Erstellt wurde der Bericht unter der Koordination des ungarischen EU-Erweiterungskommissars Oliver Varhelyi, der als Mann Orbans in Brüssel und als Vucic-freundlich gilt. Und selbst hier wird die Instrumentalisierung fast aller Medien zur Herrschaftssicherung und Diffamierung jeder abweichenden Stimme nicht einmal erwähnt. Es bleibt bei allgemeinen Feststellungen, die niemandem weh tun.

EU-Parlament | EU-Kommissar Oliver Varhelyi
EU-Erweiterungskommissar Varhelyi: Orbans Mann in Brüssel?Bild: Dwi Anoraganingrum/Geisler-Fotopress/picture alliance

Dabei hat Vucic wiederholt erklärt, Reformen müssten warten, bis die angeblichen Bedrohungen seines Landes zum Beispiel durch Kosovo, Kroatien oder die muslimischen Bosniaken beseitigt worden seien. Die kontrollierten Medien erklären der Bevölkerung regelmäßig diese "Begründung" für den Reformaufschub.

Die ebenfalls viel gelesene Boulevardzeitung "Kurir" musste ihr Eigentümer Aleksandar Rodic nach jahrelangen behördlichen Schikanen an den Vucic-Vertrauten Igor Zezelj verkaufen. Der besorgte sich das Geld dafür in zwielichtigen Transaktionen größtenteils von der staatlichen Telekom. Rodic hatte in zwei Aufsehen erregenden offenen Briefen angeprangert, dass alle wichtigen Medien von der SNS und Vucic direkt gesteuert werden.

Staatliche Werbung für staatstreue Medien

Die Politik hält ihre chronisch an Geldmangel leidenden Medien wirtschaftlich bei Laune. Nach Berechnungen der Universität Belgrad gibt es in dem kleinen Land sage und schreibe 2500 Medien. Der Umsatz der gesamten Branche wurde vor der Corona-Pandemie auf lediglich 210 Millionen Euro geschätzt.

Praktisch alle Medien sind auf Werbeerlöse durch Anzeigen und Spots angewiesen. Die mit Abstand größten Auftraggeber sind der Staat und Staatsbetriebe. Da ist es logisch, dass nur die Medien berücksichtigt werden, die sich politisch willfährig zeigen. Die Steuerbehörden stunden genehmen TV-Sendern wie zum Beispiel Pink, dem größten im Lande, enorme Steuerschulden.

Serbien Pro-Russland-Demonstranten in Belgrad
Prorussische Demonstration in der serbischen Hauptstadt Belgrad (im März)Bild: Stefan Stojanovic/REUTERS

Die Unterfinanzierung nutzt die russische Staatsagentur Sputnik, die seit acht Jahren eine große Redaktion in Belgrad unterhält. Sie stellt allen Medien kostenlos umfangreiches Material in serbischer Sprache zur Verfügung, das tagtäglich von Dutzenden Medien dankbar eins zu eins übernommen wird.

Selbstredend wird hier die russische Sicht der Welt verbreitet - die eines maroden Westens und eines blühenden Russlands. In allen Berichten wird "bewiesen", dass eine Partnerschaft mit Moskau für Serbien vorteilhafter sei als die mit Brüssel und Washington.

Ablenkung von Affären

Die stromlinienförmige Medienlandschaft Serbiens hilft nach Kräften, von den vielen Skandalen und Korruptionsaffären der zehnjährigen Vucic-Herrschaft abzulenken, die nur von den wenigen unabhängigen Medien thematisiert werden. Dazu gehören Waffengeschäfte, Drogenanbau, gefälschte Dissertationen von Spitzenpolitikern, Morde, Geldwäsche, Stimmenkauf, Veruntreuungen.

Umfragen außerhalb der beiden wichtigsten Städte Belgrad und Novi Sad ergeben folgerichtig, dass die Menschen in der Provinz in der Regel keine Ahnung von den vielen haarsträubenden Unregelmäßigkeiten der politischen Klasse haben, obwohl sie sich selbst für informiert halten.

Die Medien servieren ihren Nutzern in ihren Schlagzeilen entweder Sex and Crime oder verteufeln die machtlose Opposition und glorifizieren Vucic als den unangefochtenen Spitzenpolitiker, der in allen strittigen Fragen das letzte Entscheidungsrecht hat. Der Opposition werden völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen angedichtet. Sie wolle Serbien zerstören oder erreichen, dass die NATO das Balkanland wie 1999 erneut bombardiere.

Verfälschte Realität

Die Medien bilden eine erfundene Welt ab, die mit der Realität nichts zu tun hat. Vucic spricht vom Anbruch eines "goldenen Zeitalters", aber immer breitere Schichten verarmen. Als Resultat der Medienpropaganda sieht die Mehrheit der Bevölkerung heute Russland und China als die wichtigsten Geldgeber und Handelspartner und ist gegen einen EU-Beitritt. Tatsächlich aber wickelt Serbien seit Jahrzehnten zwei Drittel oder sogar mehr seines Außenhandels mit dem Westen ab. Und aus dem Westen kommen auch die mit Abstand meisten Investitionen und Finanzspritzen.

Laut neueren Umfragen unter Jugendlichen vom Juni 2022 unterstützt die Mehrheit Vucic als nationalen Führer, ist gegen den Westen und für eine stärkere Anlehnung an Moskau. Aber: Rund 50 Prozent der Befragten wollen auswandern, weil sie mit der Lage in ihrer Heimat unzufrieden sind. Praktisch niemand will jedoch nach Russland. Das Ziel fast aller: Deutschland.