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Sex, Drogen und Waffen blasen das BIP auf

Rolf Wenkel14. August 2014

Auch wenn die deutsche Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal geschrumpft ist: Trotzdem ist Deutschland quasi über Nacht um Milliarden reicher geworden. Der Grund ist allerdings ein rein statistischer.

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Prostitution. Foto: VRD
Bild: Fotolia/VRD

Frage: Was haben Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Prostitution, Drogenschmuggel und Waffenhandel gemeinsam? Es sind alles wirtschaftliche Aktivitäten. Und die werden ab dem 1. September europaweit einheitlich in die Berechnung der jeweiligen jährlichen Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt, mit einbezogen. Bei seinen aktuellen Zahlen, die das Statisitische Bundesamt am Donnerstag (14.08.2014) vorgelegt hat, wurden die neuen Posten schon mal mit eingerechent.

Zum BIP kommen also neue Posten hinzu, es wird größer. Dahinter könnte man die Absicht vermuten, die Staatsverschuldung in Europa schönzurechnen. Denn selbst wenn man überhaupt keine Schulden abbaut, sinkt die Schuldenquote, wenn das BIP steigt. "Das müssen wir ganz entschieden dementieren: Der gesamte Prozess ist nicht politisch motiviert, war er auch von Anfang an nicht", sagt Norbert Räth, beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden zuständig für die Berechnung des Inlandsprodukts.

Ihm und allen anderen Statistikern in der Welt geht es einzig und allein um die internationale Vergleichbarkeit von Daten. "Politische Impulse hat es, auch im Vorfeld, überhaupt nicht gegeben", so Norbert Räth zur DW. Tatsächlich werden die neuen Berechnungsmethoden bei den Vereinten Nationen seit 2003 diskutiert, 2008 wurde dort das neue System of National Accounts (SNA) verabschiedet. Australien hat es als erstes angewendet, die USA rechnen nach den neuen Regeln bereits seit Juli 2013, in der Europäischen Union rechnen bereits Frankreich und die Niederlande nach den neuen Standards, und ab dem 1. September sind sie in allen Ländern der EU rechtsverbindlich. Einen Namen gibt es dafür auch: Das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 2010).

Schönrechnen lohnt sich kaum

Die neuen Regeln sind übrigens kaum dazu angetan, Europas Schuldenstand schönzurechnen. Wolfgang Nierhaus vom Münchener Ifo-Institut hat das anhand von Zahlen aus dem Jahr 2011 einmal durchgerechnet."Was die öffentlichen Schuldenstandsquoten betrifft, so würde sich diese im EU-Durchschnitt um 1,9 Prozentpunkte ermäßigen", schreibt Nierhaus im "ifo Schnelldienst". In Deutschland sänke die Quote um 2,3 Prozentpunkte von 80 auf 77,7 Prozent des BIP. Und das sei eher als "marginal" zu bezeichnen, schreibt Nierhaus.

Waffenexport Deutschland Panzer Leopard 2 A6
Kein Konsum, sondern eine Investition: Deutscher Panzer LeopardBild: picture-alliance/dpa

Klar ist jedoch, worauf sich die Boulevardpresse stürzen wird. Denn auch die Einnahmen aus Prostitution und Drogenhandel und -schmuggel werden dem BIP hinzugerechnet. Für Norbert Räth vom Statistischen Bundesamt ist das ein alter Hut. "Eigentlich haben wir hier überhaupt keine Konzeptänderung. Das war schon immer so. Es sollen alle wirtschaftlich relevanten Leistungen einbezogen werden ohne jede moralische Wertung, egal was das ist."

Infografik Veränderung Bruttoinlandsprodukt Deutschland 2009 bis 2. Quartal 2014

Schon immer erfasst

Neu ist lediglich, dass man sich europaweit auf eine einheitliche Berechnung geeinigt hat. So gibt es in Deutschland nach amtlichen Schätzungen etwa 400.000 Prostituierte, davon rund 20.000 Männer, die pro Jahr 14,6 Milliarden Euro einnehmen. Abzüglich diverser Vorleistungen wie Miete in Bordellen, Berufskleidung und Kondome kommen die Statistiker auf eine "Bruttowertschöpfung" von rund 7,3 Milliarden Euro.

Ähnlich bei den Drogen: Aus Umfragen im Auftrag des Bundesgesundheitsministers kennt man das ungefähre Ausmaß des illegalen Drogenkonsums in Deutschland. Das wird multipliziert mit den jeweiligen Schwarzmarktpreisen. Und die kennt das Bundeskriminalamt sehr gut. Auch das, was der Staat für die Rüstung ausgibt, unterliegt jetzt neuen Berechnungsregeln. "Erfasst war die Produktion von Waffen natürlich schon immer", sagt Norbert Räth vom Statistischen Bundesamt. Nur sei sie früher als Konsum des Staates verbucht worden, und jetzt werde daraus eine Investition. "Letztlich braucht man immer eine Konvention. Die muss nicht jeder teilen, aber aus Gründen der Vergleichbarkeit muss man zu einer einheitlichen Lösung kommen."

Von der Vorleistung zur Investition

Das gilt auch für die Berechnung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Die wurden bislang als "Vorleistungen" behandelt, die im Produktionsprozess sozusagen verschwinden. Nun aber werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Bruttoanlageinvestitionen gebucht - was Fachleute schon seit langem fordern. Denn Forschung und Entwicklung sind ja Investitionen in die Zukunft - und das ist auch der größte Brocken bei der Neuberechnung des BIP.

"Eine konkrete Zahl kann ich noch nicht nennen. Das werden wir demnächst veröffentlichen", sagt Norbert Räth. "Aber insgesamt könnte das Niveau des Inlandsproduktes um rund drei Prozent höher ausfallen, das sind rund 80 Milliarden Euro. Und davon kommen drei Viertel aus der Neubehandlung von Forschung und Entwicklung."