Sextourismus: Wenn das Gewissen Urlaub macht
8. August 2022Wenn es Nacht wird an der Playa de Palma, dann erwacht der Straßenstrich in Mallorcas wichtigster Urlaubszone zum Leben. Frauen, die überwiegend aus Nigeria stammen, bieten dann nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt in aller Öffentlichkeit ihre Dienste an. Ihre Kunden: praktisch ausschließlich Urlauber. "Touristen treiben die Nachfrage nach käuflichem Sex auf Mallorca ganz klar in die Höhe", sagt Rocío López von der Hilfsorganisation Médicos del Mundo, die sich seit vielen Jahren für die Belange der Prostituierten auf der Insel einsetzt. So steige deren Zahl in den Sommermonaten regelmäßig um fast 50 Prozent.
Rotlichtbezirke werden zur Touristen-Attraktion
Experten betonen, dass Sextourismus ein sehr vielfältiges Phänomen ist, das es praktisch in allen Ländern der Welt gibt - ob es sich nun um Mallorca-Urlauber handelt, um Fernfahrer in den USA, um Geschäftsreisende in Berlin, Manila und Rio de Janeiro oder um Kreuzfahrttouristen in der Dominikanischen Republik. Selbst Europäerinnen, die am Strand von Mombasa nach einem Liebhaber suchen, umfasst das Phänomen. "Erotik und sexuelle Abenteuer sind ein echtes Reisemotiv", sagt Antje Monshausen von der Fachstelle Tourism Watch der Hilfsorganisation Brot für die Welt. "Nicht umsonst sind Rotlichtbezirke wie etwa in Amsterdam geradezu eine touristische Attraktion."
Allein in Spanien ist die Prostitution ein Milliardengeschäft, zehntausende Frauen arbeiten landesweit als Prostituierte. Genau weiß es niemand, da es sich um eine nicht gesetzlich geregelte Aktivität handelt. Der Hilfsorganisation APRAMP zufolge werden nirgendwo in Europa mehr Dienstleistungen von Prostituierten in Anspruch genommen als in Spanien - weltweit liege das Land hinter Thailand und Puerto Rico auf Rang drei. Der Tourismus dürfte dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielen, wie Mallorca zeigt.
"Abhängigkeitsverhältnisse auszunutzen ist unethisch"
"Auf Reisen gelten ethische Normen häufig weniger", sagt Monshausen. "Die soziale Kontrolle ist geringer, es wird Alkohol getrunken, man lässt mal Fünfe gerade sein." Viele wollten ja gerade das im Urlaub: Raus aus den Zwängen des Alltags, ein Stück weit frei sein von Konventionen. "Gerade im Tourismus haben wir es mit einem starken wirtschaftlichen Gefälle zwischen den Reisenden und der lokalen Bevölkerung zu tun. Die dadurch entstehenden Abhängigkeitsverhältnisse auszunutzen ist unethisch."
Welche Formen diese annehmen können, zeigte sich, als die Polizei auf Mallorca vor einiger Zeit die Machenschaften von Menschenhändlern aufdeckte, die den Straßenstrich an der Playa de Palma kontrollierten. Unter falschen Versprechungen hatten Schleuser die Frauen ins Land gebracht, die nun zur Prostitution gezwungen wurden, um ihre Schulden in Höhe von mehreren zehntausend Euro zu begleichen. Laut Médicos del Mundo sind etwa 95 Prozent aller Prostituierten in Spanien Immigrantinnen, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben - und somit auch keine reguläre Arbeit aufnehmen können. "Dass sich diese Frauen aus freien Stücken für die Prostitution entscheiden, ist ein Mythos", sagt Rocío López. "Denn dafür müssten sie eine Wahlmöglichkeit haben."
Die Corona-Pandemie vergrößert Risiken für Kinder
Ein besonders großes Problem ist der Sextourimus, wenn dabei Minderjährige ausgebeutet werden, wie es in vielen Ländern der Welt geschieht. Laut Josephine Hamann von der Kinderhilfsorganisation ECPAT geht es hier bei weitem nicht nur um pädophile Straftäter. "Es gibt auch einen sehr, sehr großen Teil von Reisenden ohne diese Neigung, die in der Anonymität im Ausland zu Gelegenheitstätern werden", sagt sie. Aufgrund der Corona-Pandemie rechnet Hamann mit einer Zunahme des Phänomens. Die wirtschaftliche Situation in vielen Familien habe sich in den zurückliegenden Jahren drastisch verschlechtert. Der Druck, ein Einkommen zu generieren, wachse. "Die Risiken für Kinder werden dadurch größer", sagt sie.
In der Tourismusbranche selbst sei die Sensibilisierung für das Thema mittlerweile zwar groß. "Sexuelle Ausbeutung ist aber noch immer ein Thema, wo viele nicht hinschauen wollen", sagt Hamann. "Wenn es dann auch noch um Minderjährige geht, wollen sich viele damit lieber gar nicht beschäftigen." Auch Antje Monshausen von Tourism Watch sieht hier viel Nachholbedarf. "Kaum ein Land, kaum eine touristische Destination möchte das Thema offensiv angehen", sagt sie. Niemand wolle sich der Gefahr aussetzen, als Sextourismus-Destination stigmatisiert zu werden.
Auf Mallorca drohen Freiern künftig womöglich Geldstrafen
Auf Mallorca wird das Thema nicht öffentlich debattiert. Oben-ohne-Bars und andere einschlägige Lokale werben an der Playa de Palma ganz offensiv und unbehelligt um Kundschaft. Die Polizei beschränkt sich darauf, hin und wieder die Prostituierten auf dem Straßenstrich zu kontrollieren. "Es fehlt noch ganz, ganz viel Aufklärungsarbeit", sagt Rocío López von Médicos del Mundo. "Vor allem den Urlaubern gegenüber." Demnächst aber könnte sich doch etwas Grundlegendes verändern: Die spanische Zentralregierung plant eine Verschärfung des Strafrechts, sodass künftig mit hohen Geldbußen rechnen muss, wer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt.