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Politik

Mit Pragmatismus zum Erfolg

20. September 2018

Sechs Jahre hat Shinzo Abe Japan bisher in seiner zweiten Amtszeit regiert. Er belebt die Konjunktur und zügelt seine nationalistischen Instinkte. Nun will ihn seine Partei weiter regieren lassen. Martin Fritz aus Tokio.

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Shinzo Abe
Bild: picture-alliance/dpa/AP Images/E. Hoshiko

Vor gerade einmal fünf Monaten hatte Japans Ex-Regierungschef Junichiro Koizumi den baldigen Rücktritt seines früheren Ziehsohns Shinzo Abe vorhergesagt, nachdem der Regierungschef wegen angeblicher Vetternwirtschaft in zwei Fällen ins Zwielicht geraten war. Doch Abes einstiger Mentor hat sich geirrt. Am Donnerstag (20.09.) wird Japans regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) Abe zum zweiten Mal als Vorsitzenden wiederwählen. Dafür hatte die LDP extra ihr Statut geändert.

Seine Wiederwahl gilt als sicher, da eine klare Mehrheit des Parteitags hinter ihm steht. Mitten im längsten Konjunkturaufschwung der Nachkriegszeit gibt es für Japans dominierende LDP keinen Grund, ihr bestes Pferd zu wechseln. Damit erhält der fast 64-jährige Politiker die Chance, Japan bis 2021 weiter zu regieren. Dadurch könnte Abe der am längsten amtierende Premier Japans seit dem Zweiten Weltkrieg werden, wenn man seine erste Amtszeit (2006 bis 2007) mitrechnet.

Japan, ein Containerschiff kommt in einem Hafen in Tokio an
Containerhafen in TokioBild: picture-alliance/A.Di Ciommo

Gute wirtschaftliche Bilanz

Der Politiker Abe hat seine Partei zwar nie begeistert. Aber die Bilanz seiner fast sechs Amtsjahre fällt einfach zu positiv aus, als dass man seinen Machtanspruch ignorieren könnte. Das japanische Bruttoinlandsprodukt wuchs seit 2012 im Schnitt um solide 1,3 Prozent jährlich. Die Unternehmensgewinne stiegen auf Rekordhöhe, ebenso die staatlichen Steuereinnahmen. Die Zahl der Beschäftigten wuchs um 2,5 Millionen, obwohl die Zahl der Japaner im Erwerbsalter wegen des demografischen Wandels um 4,5 Millionen sank. Unterdessen kaufte die Notenbank fast die Hälfte der Staatsanleihen auf und neutralisierte damit die hohe Staatsverschuldung.

Man kann darüber streiten, wieviel Abes wachstumsorientierte "Abenomics-Politik" zu diesem Boom beigetragen hat. Denn Japans Wirtschaft war nach langer Deflation und heftiger Finanzkrise reif für einen längeren zyklischen Aufschwung. Die größte Unterstützung kam auch von der Erholung der Weltwirtschaft durch die global lockere Geldpolitik. Die Bank of Japan, die Zentralbank von Japan, schwächte dabei den Yen, was Japans Exporteure beflügelte. Im Vergleich dazu wirkten sich Abes wenige Reformen kaum aus, etwa die Verbesserung der Corporate Governance, die Steuersenkung für Unternehmen und die Zähmung der Agrarlobby. Die von Abe geschlossenen Handelsverträge mit den Pazifikanrainerstaaten und der Europäischen Union sind noch nicht in Kraft.

Japans Premierminister Shinzo Abe
"Erfahrene Berater und strategische Kommunikation politischer Inhalte"Bild: AFP/Getty Images/K. Nogi

Nikkei: "Stille soziale Revolution"

Der deutsche Politikwissenschaftler Sebastian Maslow, der an der Universität Tokio forscht, sieht das Geheimnis von Abes Langlebigkeit als Premierminister in der zersplitterten Opposition sowie einer Liberaldemokratischen Partei, die ihre Reihen fest geschlossen hat. "Seine stabile Regierungsführung durch erfahrene Berater und die strategische Kommunikation politischer Inhalte sind die wesentlichen Gründe für den Erfolg seiner Regierung", meinte Maslow. Die japanische Wirtschaftszeitung Nikkei machte eine "stille soziale Revolution" durch die Öffnung Japans zum Ausland dafür verantwortlich, dass Abe sich so lange an der Regierungsspitze halten konnte.

Damit meint Nikkei zum einen die Vervierfachung der ausländischen Besucher in Japan auf rund 30 Millionen jährlich, weil die Visavergabe erleichtert wurde. Die Olympischen Spiele 2020, die Abe nach Tokio holte, tragen zur neuen Weltoffenheit bei. Zum anderen verdoppelte sich die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte auf 1,3 Millionen. Ab 2019 will Japan seine Tore für Hunderttausende Gastarbeiter jährlich öffnen. Damit reagiert der erzkonservative Politiker pragmatisch auf die Klage vieler Unternehmen über fehlende Fachkräfte. Nur das Wort "Einwanderung" vermeidet Abe, um konservative Wähler nicht unnötig in Aufregung zu versetzen.

Russland Eastern Economic Forum Shinzo Abe und Xi Jinping
Abe mit Chinas Präsident Xi Jinping im September 2018Bild: Getty Images/AFP/Jiji Press

Vorrang für Pragmatismus

Diesen Pragmatismus hat Abe auch bei seinen rechtsnationalen Projekten an den Tag gelegt. Das dürfte ebenfalls zu seinem Machterhalt beigetragen haben. Anders als sein Mentor Koizumi hat er die Gedenkstätte für Japans Kriegsopfer, den Yasukuni-Schrein, nur ein einziges Mal besucht, um die Annäherung an China nicht zu gefährden. Die umstrittenen Gesetze zu Sicherheit und Geheimnisverrat peitschte die Abe-Regierung zwar durchs Parlament, aber sie wurden bisher nicht angewandt.

Auch bei der Verfassungsreform kontrollierte Abe bislang seinen Drang, den Pazifismus von Artikel 9, der Japan das Kriegführen und eine Armee verbietet, zu ändern. Darin sieht er seine Lebensaufgabe, weil damit eine nationale Fessel beseitigt wäre, die Japan als Ergebnis der Weltkriegsniederlage angelegt wurde. Dennoch hat Abe seine nationalen Instinkte unterdrückt und sich auf die Wirtschaft konzentriert. Zwar hat der Politiker nun angekündigt, die Verfassungsänderung im Herbst endlich anzupacken. Aber die Hürden für eine Umsetzung bleiben hoch.

Angesichts von Lokal- und Oberhauswahlen sowie einem Wechsel auf dem Kaiserthron im nächsten Jahr könnten die Regierungsparteien LDP und Komeito (Gerechtigkeitspartei) dazu neigen, das heiße Eisen, das Japans Gesellschaft spaltet, liegen zu lassen. Auch Abes Vorschlag, die Existenz der Streitkräfte in die Verfassung aufzunehmen, ist umstritten. Der deutsche Analyst Maslow rechnet nicht mit einem vorschnellen Handeln von Abe. "Sollte die rasche Umsetzung der Reform nicht gelingen, würde dies nämlich das vorzeitige Aus für ihn bedeuten."