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Netanjahus Machtpoker

Kersten Knipp11. Oktober 2012

Nach dem Streit um den Staatshaushalt hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Neuwahlen angekündigt. In den Wahlkampf zieht er mit einer Agenda, die auf ihn zugeschnitten ist.

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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Beroin, 7.4. 2011 (Foto: dapd)
Bild: dapd

Von einer angespannten zu einer überschuldeten Haushaltslage ist es nur ein kleiner Schritt. Was passiert, wenn dieser Schritt getan wird, haben in den letzten Jahren einige EU-Staaten eindrücklich vorgeführt. Und weil er eine solche Entwicklung für sein eigenes Land verhindern wollte, hatte sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zu einem straffen Konsolidierungsplan entschlossen. Mindestens 13 Milliarden Neue Israelische Schekel (rund 2,6 Milliarden Euro) wollte er in Rücksprache mit der israelischen Zentralbank einsparen. Diese betrafen vor allem drei Haushaltsposten: die Verteidigung, bei der Einsparungen von 6 Milliarden Schekeln vorgesehen waren; das Infrastruktur- und Transportwesen, das seine Ausgaben um 4,5 Milliarden Schekel kürzen sollte - und schließlich die Sozialausgaben, die Netanjahu um 2,5 Milliarden Schekel kürzen wollte.

Nach erheblichen Protesten seiner politischen Partner - Netanjahu regiert auf Grundlage einer Fünf-Parteien-Koalition - entschloss sich der Premier, die Kürzungen beim Verteidigungs- und dem Sozialbudget in Teilen wieder zurückzunehmen. Weil die Kürzungen im Sozialbereich einem seiner Bündnispartner, der konservativen religiösen Shas-Partei, immer noch zu hoch waren, entschloss sich Netanjahu, zum Beginn des kommenden Jahres Neuwahlen auszurufen.

Terrorismus und iranische Bedrohung

Bereits im vergangenen Jahren wiesen überwiegend säkular orientierte Israelis in Massendemonstrationen auf die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Bürger hin. Vor allem die hohen Wohnkosten bereiten viele Israelis Probleme. In diesem Punkt treffen sich die säkularen mit den ultraorthodoxen Teilen der Bevölkerung, die aus religiösen Gründen kaum am Arbeitsleben teilnehmen. 

epa03280550 Ultraorthodoxe Juden protestieren gegen ihre einberufung zur Wehrpflicht, Jerusalem, 25. 6. 2012. (Foto: EPA/ABIR)
Gemeinschaft am Rande der Gesellschaft: Ultraorthodoxe in IsraelBild: picture-alliance/dpa

Zwar dürfte das Thema Sozialausgaben auch in Netanjahus Wahlkampf eine Rolle spielen, erwartet der an der Universität Haifa lehrende Politikwissenschaftler Gabriel Weimann. Doch dürfte der Premierminister andere Themen in den Vordergrund stellen. "Netanjahu wird sich wohl auf Fragen der Sicherheit, also den Bau der iranischen Atombombe und Terrorismus, konzentrieren." Netanjahu wisse, dass er mit diesen Fragen punkten könne. "Hingegen dürfte ihm wenig daran gelegen sein, dass sich die Wähler mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen, wie etwa der der sozialen Spaltung innerhalb des Landes, beschäftigen", so Weimann. Dieses Thema, erwartet er, dürften vor allem die linken Parteien aufgreifen. "Das Ergebnis der Wahlen wird ganz wesentlich davon abhängen, wer seine Themen durchsetzt, und wie die Wähler sie aufnehmen."

Neue Politik nicht ausgeschlossen

Welchen Kurs Netanjahu, der in Meinungsumfragen hohe Zustimmung erhält, nach der Wahl einschlagen wird, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Der an der Universität Mainz lehrende Israel-Experte Alfred Wittstock hält es für durchaus denkbar, dass der Premierminister seine bisherige Linie korrigieren wird. Angesichts der sozialen und ökonomischen Probleme könne Netanjahu daran denken, seinen bisherigen Rechtskurs aufzugeben. "Das hat auch damit zu tun, dass Ehud Olmert, der ehemalige Vorsitzende der Kadima-Partei, von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen frei gesprochen worden ist." Olmert, von 2006 bis 2009 israelischer Premier, war der Untreue beschuldigt, von einem Gericht von den Vorwürfen in Teilen aber freigesprochen worden. Würde der in sozialen Fragen als gemäßigt geltende Politiker von seiner Partei ins Rennen um das Amt des Premiers geschickt, müsste Netanjahu darauf reagieren. "Das böte ihm die Möglichkeit, sich hin zur Mitte zu entwickeln."

Israelis demonstrieren in Tel Aviv gegen Netanjahus Sozialpolitk, 14.7. 2012. (Foto: REUTERS)
Proteste aus der Mitte der Gesellschaft: Demonstration gegen Netanjahus SozialpolitikBild: Reuters

Dass Netanjahu einen solchen Schritt tun könnte, hält Wittstock für durchaus möglich. Der Premier gelte als abgebrühter Pragmatiker. "Wenn es der Machterhalt fordert, hat er keine Hemmungen, mit den Gegnern von gestern zusammenzugehen und eine neue Regierung zu bilden."

US-Wahl hat großen Einfluss

Es könnte allerdings auch anders kommen, meint Gabriel Weimann. Der Experte für politische Kommunikation stellt den israelischen Urnengang in engen Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in den USA. "In der gesamten Geschichte Israels war dieser Zusammenhang noch nie so stark wie in diesem Jahr." Das liege zunächst natürlich an der zeitlichen Nähe der beiden Wahlen. "Doch davon unabhängig ist die Frage, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird, für Netanjahu von größter Bedeutung. Gewinnt Romney, würde Netanjahu davon für seinen eigenen Wahlkampf profitieren. Denn Romney gilt als entschiedener Israel-Unterstützer." Gewänne Obama, müsste Netanjahu sich auf ein weiterhin schwieriges Verhältnis zur amerikanischen Administration einstellen: "Ein Sieg Obamas wäre zwar kein Hindernis für Netanjahu - aber gewiss auch kein Vorteil."

Einen engen Zusammenhang zwischen den Wahlen stellt auch Alfred Wittstock her. Sollte Obama gewinnen, wäre es für Netanjahu doppelt wichtig, sich von den israelischen Wählern bestätigen zu lassen. "Denn wird er erneut gewählt, kann er sich für eine erneute Auseinandersetzung mit Obama gestärkt fühlen." Würde hingegen Romney im Weißen Haus regieren, dürfte Netanjahu außenpolitisch ein erheblich schwächerer Wind entgegenwehen. Das dürfte vor allem Auswirkungen auf die Politik gegenüber dem iranischen Atomprogramm haben. "Denn von Romney kann man annehmen, dass er dem Iran gegenüber auf die gleiche Politik wie Netanjahu setzt", meint Wittstock.

Benjamin Netanyahu erläutert vor der UN-Versammlung die ihm vorliegenden Erkenntnisse zum Entwicklungsstand des iranischen Atombombenoprogramms, 27.9. 2012 (Foto: Getty Images)
Auch ein Wahlkampfthema: Die iranische AtombombeBild: Getty Images

Israel wieder im Fokus

Die Wahlen rücken Israel nun wieder ins politische Zentrum des Nahen Ostens. Die letzten anderthalb Jahre hatten die Bürger der arabischen Staaten Akzente gesetzt. Sie hatten gezeigt, wie entschlossen sie die Politik ihrer Länder gestalten, ja von Grund auf reformieren können. In den kommenden Monaten dürfte sich ihre Aufmerksamkeit auch auf Israel richten, zudem auch auf die USA. Denn die politische Entwicklung der Region wird zu großen Teilen auch davon abhängen, wen die israelischen und nordamerikanischen Wähler auf den Regierungssitz in der Knesset und im Weißen Haus setzen.