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Politik

Sierens China: Dünne Luft im Himalaya

Frank Sieren
4. April 2018

Nepal entfremdet sich immer mehr vom bisher übermächtigen Nachbar Indien und wendet sich stattdessen China zu. Eine größere Abhängigkeit von Peking birgt aber auch Risiken für das arme Volk, meint Frank Sieren.

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Kathmandu - The kingdom of diversity
Die buddhistischen Tempel in Nepal wurden beim Erdbeben 2015 schwer zerstörtBild: DW/S. Bandopadhyay

Sein voller Name lautet eigentlich Khadga Prasad Sharma Oli. Wegen seiner linken Gesinnung nennt man Nepals vor einem Monat vereidigten Ministerpräsident aber auch einfach nur K.P. Oli. Der 66-jährige Chef der marxistisch-leninistischen Partei UML war schon einmal in Kathmandu am Ruder. Im Juli 2016 führten Machtkämpfe zwischen seiner Partei und dem Maoistischen Zentrum MC unter Pushpa Kamal Dahal jedoch nach nur einem Jahr Amtszeit zu seinem Rücktritt. Diese Zwistigkeiten sind vergessen. Ende Februar haben sich die beiden Kommunistischen Parteien des Himalaya-Staates entschieden, als Links-Allianz gemeinsame Sache zu machen. Es ist ein historisches Ereignis, das dem gebeutelten Land endlich etwas Stabilität bringen könnte. Und es ist eine gute Nachricht für Peking.

Zwei turbulente Jahrzehnte

Das zwischen Indien und China eingeklemmte Nepal hat zwei äußerst turbulente Jahrzehnte hinter sich: Ein Bürgerkrieg forderte zwischen 1996 und 2006 über 16.000 Todesopfer. Erst zwei Jahre später wurde die Monarchie abgeschafft. Zuvor war Nepal 240 Jahre lang ein hinduistisches Königreich. Der Demokratisierungsprozess gestaltet sich jedoch zäh: Ganze neun Jahre dauerte es, bis eine neue Verfassung beschlossen wurde. Instabile Koalitionsregierungen kamen und gingen und elf Premiers gaben sich seit 2006 die Klinke in die Hand. Das verheerende Erdbeben von 2015 destabilisierte das aus zahlreichen ethnischen Gruppen bestehende 30 Millionen-Einwohner-Land zusätzlich. Aufgrund von Arbeitslosigkeit, schlechter Infrastruktur und Korruption ist Nepal noch immer eines der ärmsten Länder der Welt - ärmer noch als die Nachbarstaaten Bhutan, Pakistan und Bangladesch.

Nepal Erdbeben
Der Durbar Square in Kathmandu nach dem ErdbebenBild: DW/A.Singh Choudary

Der größte Nachbar Indien spielt durch die geographische und kulturelle Nähe für Nepal traditionell eine große Rolle. Neu-Delhi unterstützte das Land auf dem Weg zur Mehrparteien-Demokratie und sendete 2015 als erstes große Mengen Hilfsgüter in die Erdbebenregion. Die Hilfe ist nicht ganz selbstlos: Delhi erwartet, über alles in Nepal genau und unverzüglich informiert zu werden. Als sei Nepal ein Protektorat Indiens in dessen Hinterhof. "Deren Diplomaten benehmen sich wie Vizekönige. Sind wir etwa keine souveräne Nation?" bringt ein Journalist der größten nepalesischen Wochenzeitung "Astha National Weekly" das Machtgefälle auf den Punkt.

Ende einer einseitigen Partnerschaft

Die Inder haben es überzogen. Die einseitige strategische Partnerschaft erodiert. Nepal emanzipiert sich von Indien. Eine klare Haltung zu diesem Thema ist eine der Säulen des Erfolges von Premier K.P. Oli. Das Schlüsselereignis war eine Verkehrs- und Wirtschaftsblockade zwischen den beiden Ländern. Sie wurde von der indischen Regierung zwar nur inoffiziell unterstützt und war eine Reaktion auf die Anfang September 2015 in Kraft getretene Verfassung Nepals. In Delhi ist man verstimmt, dass indischstämmige Minderheiten in den südlichen Ebenen Nepals durch die neue Verfassung diskriminiert werden.

Die Blockade hatte schwere Folgen. Wichtige Importgüter wie Nahrung, Heizgas und Treibstoff konnten nicht mehr in das von Bergen eingeschlossene Land geliefert werden - und dies kurz vor dem brutalen Gebirgswinter und nur wenige Monate nach dem Erdbeben. Kathmandu wertete die indische Einmischung als aggressiven Akt und Erpressungsversuch. Weil K.P. Oli sich offen gegen Delhi stellte, wurde er für viele zum Symbol eines stolzen Nepals im ungleichen Kampf zwischen David und Goliath.

China Besuch Khadga Prasad Sharma Oli
Seit dem Besuch in Peking im März 2016 werden die Bande immer enger: K.P. Oli (re.) mit Chinas Premier Le KeqiangBild: Getty Images/L. Zhang

Um nicht mehr nach der Pfeife des großen Nachbarn tanzen zu müssen, intensivierte das kleine Land im Himalaya seine Kontakte zu China. Von KP zu KP sozusagen. Nur einen Monat nach der Blockade besuchte Oli Peking und traf dort mit Chinas Premier Li Keqiang eine Reihe von Wirtschaftsvereinbarungen. Darunter einen Vertrag, der Nepal Zugang zu Chinas Häfen und Handelswegen öffnet und damit Indiens Bedeutung als Ressourcen-Abnehmer und Hauptimportweg deutlich verringert. China bewilligte Nepal zudem einen Kredit in Höhe von 216 Millionen US-Dollar für einen internationalen Flughafen in der bei Touristen beliebten Stadt Pokhara.

China bringt Investitionen

Zuvor hatten die Chinesen schon mal auf Verdacht in Nepal investiert: Bereits 2014 stieg die Volksrepublik zum größten ausländischen Investor des Gebirgsstaates auf. Chinesische Geschäftsleute sind heute in den unterschiedlichsten Branchen in Nepal aktiv, von Telekommunikationsanbietern wie Huawei und ZTE über Medienunternehmen wie China Radio International bis hin zu staatlich finanzierten Sprachschulen und Experten auf dem Gebiet der Wasserkraft. Allein in der zweiten Jahreshälfte 2017 investierten die Chinesen knapp 80 Millionen Dollar in dem Kleinstaat - 60 Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen. Indien kam im gleichen Zeitraum nicht mal auf die Hälfte. Und Peking schickt Touristen: Über 100.000 waren es im vergangenen Jahr. Dieses Jahr sollen es auf jeden Fall 150.000 werden. Und die meisten nepalesischen Studenten gehen inzwischen nicht mehr nach Indien, sondern nach China.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Seit Mai 2017 unterstützt Nepal offiziell Pekings gigantisches Infrastrukturprojekt der "Neuen Seidenstraße" - gegen den Willen Indiens, das sich von dem Jahrhundertprojekt eingekreist fühlt. Dabei ist Peking nicht nur an einer engeren Zusammenarbeit mit Nepal interessiert. Gerne will Peking auch Indien in die Seidenstraße integrieren, allerdings nur auf Basis der eigenen strategischen Spielregeln. Peking lockt zum Beispiel mit einer Verlängerung der Qinghai-Tibet-Eisenbahn über Kathmandu bis nach Lumbini an der Grenze zu Indien. Sollte das gelingen, könnte Indien es sich nicht lange leisten, dem Handel auf der Neuen Seidenstraße vor seiner Haustür die kalte Schulter zu zeigen. Die Menschen in der Region würden auf die Barrikaden gehen. Ein kluger Schachzug aus Peking, zumal auch chinesische Soldaten durch die Bahnverbindung schnell an die indische Grenze gelangen könnten, sollte dies nötig werden.

Nepal in gueter Verhandlungsposition

Die Hinwendung nach Peking bringt Kathmandu in eine gute Verhandlungsposition. Delhi ist nun gewillt über Verträge zu sprechen, die in Kathmandu als einseitig empfunden werden. Sogar Waffenimporte aus Drittländern will Delhi jetzt erlauben, nur um Nepal nicht an Peking zu verlieren. Die Grenze soll zudem nach beiden Seiten hin offener werden. Doch wahrscheinlich ist es schon zu spät. Unter der linken Regierung in Kathmandu werden die chinesisch-nepalischen Bindungen noch enger werden. Neu-Delhi wird akzeptieren müssen, dass China gekommen ist, um zu bleiben. Indien bleibt nur noch die Rolle, dafür zu sorgen, dass China nicht übermütig wird. Peking hat das erkannt und schlägt eine trilaterale Zusammenarbeit in der Region vor. Doch davon will man in Indien bisher nichts wissen.

Nepalesische Rupie
500 nepalesische Rupien entsprechen ungefähr 7,80 US-DollarBild: Getty Images/AFP/P. Mathema

Das Wichtigste für Nepal bleibt vorerst, dass es mit dem neuen Partner nicht vom Regen in die Traufe kommt. Nepal darf ähnlich wie Sri Lanka vor allem finanziell nicht zu abhängig von China werden. Weil sich der arme Inselstaat Sri Lanka zu tief verschuldet hat, konnte Peking seine strategische Präsenz im indischen Ozean mit der Übernahme eines Hafens im Süden Sri Lankas ausbauen. Dieser war Teil eines Entschuldungsabkommens. Geschickt zu balancieren in der dünnen Luft des Himalaya ist nun die Herausforderung - nicht nur für Nepal, sondern auch für Indien und China.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.