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Sierens China: In Ufa zu neuen Ufern

Frank Sieren9. Juli 2015

Der Doppelgipfel der BRICS-Staaten und der Shanghai Cooperation Organization im Ural kündet von einer neuen Weltordnung. Zur bisherigen Dominanz des Westens entsteht nun ein Gegengewicht, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Chinesischer Präsident Xi Jinping und russischer Präsident Wladimir Putin (Foto: Reuters/A. Nemenov)
Bild: Reuters/A. Nemenov

Am Mittwoch begann das siebte Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Russland, ohne dass die westlichen Medien ausführlich darüber berichten. Dafür gibt es gute Gründe. Im Mittleren Osten tobt der "Islamische Staat". Seine Terrorakte erschüttern Chinesen ebenso wie Europäer, Afrikaner flüchten massenhaft nach Europa. Die Afrika-Fluchtwelle lässt sich nicht ohne einen der wichtigsten Spieler in der Afrikanischen Union lösen. Die EU kämpft gegen oder um Griechenland. Ihr Verhandlungsspielraum wird entscheidend von der Frage bestimmt, wie sehr Russland und vor allem China Griechenland unterstützen.

Die Stadt, in der der Gipfel stattfindet, hat Gastgeber Wladimir Putin klug gewählt. Die Millionenmetropole Ufa liegt am Ural, der geographischen Trennlinie zwischen Europa und Asien. Es ist eine multiethnische Stadt, in der Russen, Tataren und Baschkiren wohnen. Und Ufa ist zudem der Sitz der Zentrale der hohen Geistlichkeit der Muslime des europäischen Teils Russlands, außerdem Sibiriens und Kasachstans. Seit den 80er Jahren ist das der Großmufti Talgar Tadschuddin. In der Provinz Baschkortostan, deren Hauptstadt Ufa ist, glaubt die Mehrheit der Menschen an den sunnitischen Islam. Die Stadt lebt zudem von der Ölproduktion.

Noch nie hat ein globaler Gipfel in dieser Region stattgefunden. Wir im Westen werden uns daran gewöhnen müssen, dass für die BRICS-Länder andere Regionen wichtig sind als für uns. Die BRICS-Staaten werden immer wichtiger. Schon jetzt machen sie über 40 Prozent der Weltbevölkerung aus. Und bereits zu Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird ihre Wirtschaftskraft die der G8-Länder überflügeln. Europa täte gut daran, sich mehr mit den Zielen dieser Staaten zu beschäftigen als mit Griechenland.

Unterschiedlich, aber passend

Gleichwohl sind die Länder sehr unterschiedlich und deshalb schwer unter einen Hut zu bringen. China und Indien, die beiden großen Rivalen, sind Hochwachstumsländer mit 7,4 und 7,2 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr. Chinas Wirtschaft ist allerdings fast fünf Mal größer als die Indiens. Die Inder sind die Software-Spezialisten und die weltweit größten Hersteller von Generika, also von lizenzfreien Medikamenten. China ist die Fabrik der Welt und der am weitesten entwickelte Wachstumsmarkt. Die russische Wirtschaft wächst zwar derzeit kaum, ist jedoch als Waffenhersteller sowie als Öl- und Gaslieferant und wegen seiner großen Landmasse wichtig. Brasilien, in noch größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ist jedoch ebenfalls ein Rohstofflieferant von globaler Bedeutung und der Landwirtschaftsspezialist in BRICS. Und schließlich die Südafrikaner: Sie sind das Tor zum boomenden Afrika und ebenfalls ein wichtiger Rohstofflieferant.

In ihrer Mischung passen die Länder also gut zusammen. Gleichzeitig ist ihre Unterschiedlichkeit aber eben auch ihr größtes Problem. Obwohl sie alle Schwellenländer sind, laufen ihre Interesse gegeneinander. China und Russland sind engere Alliierte denn je, aber keine guten Freunde. China und Indien sind Rivalen, die sich zusammenreißen. Brasilien und Südafrika buhlen auf dem afrikanischen Kontinent um die gleichen Aufträge.

DW-Kolumnist Frank Sieren (Foto: Frank Sieren)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Schon beim Vorbereitungstreffen für den BRICS-Gipfel in Ufa wurde deutlich, dass es auch sehr große Unterschiede in der Frage gibt, wie man mit dem Westen umgehen soll. China und Russland wollen eine unbeugsame Haltung, Brasilien und Südafrika sind den westlichen Ländern gegenüber aufgeschlossener. Indien ist für "freie Liebe" mit allen, wie ein Delegationsmitglied es formulierte.

Westen als gemeinsamer Gegner

Die erste Bewährungsprobe haben die BRICS-Länder indes bestanden, und zwar ohne zu zaudern. Niemand hat sich den Sanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen. Im Gegenteil: Nicht nur China und Russland sind in dieser Krise enger zusammengerückt, sondern auch alle anderen Staaten des Clubs der Aufsteiger. Taktisch klug versuchen sie nun, ihre Macht auszubauen: Der gemeinsame Gegner eint.

Die Abstimmung untereinander bleibt dennoch schwierig. Die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Unterschiede sind ja noch viel größer als in der EU. Dennoch wächst der Zusammenhalt, und die Chancen, dass während des Gipfels nun endlich die BRICS-Bank aktiviert wird, sind hoch. Sie soll die wichtigste nichtwestliche multilaterale Bank werden, im Unterschied zu der von China initiierten Asian Infrastruktur Investment Bank (AIIB) mit über 50 auch westlichen Mitgliedern.

Und natürlich ist es eine politische Bank, mit der die BRICS-Staaten ihre Macht ausbauen. So hat der stellvertretende russische Finanzminister Sergej Storchak dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras kürzlich angeboten, Mitglied der BRICS-Bank zu werden. Sicher nicht in der Hoffnung, von Griechenland Geld zu bekommen.

Sehnsucht nach eigenen Clubs

Der zweite Gipfel ist nicht weniger wichtig, wenn auch auf andere Art. Die 2001 gegründete Shanghai Cooperation Organization (SCO) tagt parallel zum BRICS-Gipfel in Ufa. Ihr gehören China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an. Neben China sind es also vor allem die Verbindungsstaaten zwischen Europa und Asien.

Das klingt auf den ersten Blick nicht so wichtig, ändert sich jedoch wenn man die Liste der Länder betrachtet, die Beobachterstatus haben: Afghanistan, die Mongolei, der Iran, Indien und Pakistan. Die beiden letzteren werden wahrscheinlich während des Ufa-Gipfels in den Club aufgenommen. Zusammen mit den Beobachterländern sitzen Vertreter der Hälfte der Weltbevölkerung an einem Tisch. Damit rückt auch die SCO ins Zentrum des Weltgeschehens - wieder ohne dass ein westliches Land beteiligt wäre.

Nach jahrhundertelanger westlicher Dominanz ist die Sehnsucht nach eigenen Clubs durchaus verständlich. Sie werden die westlich dominierten Institutionen noch lange nicht ersetzen. Doch schon heute ergänzen sie diese.

Stabilisierung der multipolaren Weltordnung

Und auch bei ihnen geht es um internationale Glaubwürdigkeit. Die entscheidende Frage für die beiden Gipfel wird sein, ob der russische Präsident Putin es mit seiner antiwestlichen Position als Gastgeber nicht überzieht. Am überzeugendsten sind die Institutionen, wenn sie sich als Alternativen zu den bestehenden anbieten und nicht etwa als neue Orte des globalen Klassenkampfes zwischen Ost und West beziehungsweise Aufsteigern und Etablierten.

Denn es ist ein Wettbewerb gleichberechtigter Institutionen, die die noch labile multipolare Weltordnung stabilisieren. Wichtig ist aber auch, wieviel Bescheidenheit und Rücksichtnahme sich China auferlegt, das mit großem Abstand das mächtigste Land in den beiden Clubs ist.

Eine Entscheidung lässt hoffen: Der Vorstandschef der BRICS-Bank wird der indische Bankier Kundapur Vaman Kamath. Die Zentrale der Bank sitzt jedoch in Schanghai. Die wahren Machtverhältnisse stehen jedoch auch bei dieser Bank im Kleingedruckten. Zunächst stellen alle fünf BRICS-Staaten je zehn Milliarden Dollar zur Verfügung. Später sollen sich die Rücklagen insgesamt auf 100 Milliarden Dollar belaufen. China will zusätzlich 41 Milliarden US-Dollar in die neue BRICS-Entwicklungsbank einbringen. Dafür bekäme Peking dann 39.5 Prozent der Anteile und hätte damit die einfache Mehrheit. Um etwas gegen Peking durchzusetzen, müsste der indische Vorstandsvorvorsitzende alle anderen gegen China in Stellung bringen. Das ist schon ein sehr unwahrscheinlicher Fall.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.