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Siesta und Kirchenbesuche gegen Hitze

Ralf Bosen mit Agenturen
18. Juli 2023

Deutschland stöhnt unter hohen Temperaturen. Mediziner plädieren deshalb Mittags für eine Siesta nach südeuropäischen Vorbild. Und Gesundheitsminister Lauterbach schlägt Kirchen als Kälteräume vor.

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Musterbeispiel aus Mecklenburg-Vorpommern: Die Kirche in Wieck erzeugt ihren eigenen Strom mit Sonnenkollektoren. Schutz im kühlen Innenraum könnte sie auch bieten
Musterbeispiel aus Mecklenburg-Vorpommern: Die Kirche in Wieck erzeugt ihren eigenen Strom mit Sonnenkollektoren. Schutz im kühlen Innenraum könnte sie auch bietenBild: imageBROKER/picture alliance

Wie überall in Europa ächzen auch in Deutschland immer mehr Menschen unter den Rekordtemperaturen. Besonders kleine Kinder, alte und kranke Menschen leiden.

Mit wahrscheinlich dramatischen Folgen: Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle hat es nach einer neuen Berechnung bereits im Sommer 2022 in Europa gegeben, dem bisher heißesten Sommer auf dem Kontinent seit Beginn der Aufzeichnungen.

Deutschland hatte mit 8173 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen. An der Spitze stand Italien (18.010 Tote) vor Spanien (11.324 Tote), wie ein Forschungsteam vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal) im Fachmagazin "Nature Medicine" berichtete.

Ohne angemessene Schutzmaßnahmen werde es von 2030 an im Schnitt jedes Jahr 68.000 Hitzetote geben, befürchten die Experten. Die Welttemperaturen werden laut den Vereinten Nationen bis 2027 wahrscheinlich auf ein Rekordniveau ansteigen.

An Südeuropa orientieren

Kein Wunder, dass deutsche Gesundheitsexperten unter Hochdruck nach Rezepten gegen die Rekord-Temperaturen suchen. Zumal viele Großstädte bei den Hitzeschutzplänen noch hinterherhinken. Die für Deutschland bislang höchsten Temperaturen dieses Jahres registrierte der Deutsche Wetterdienst (DWD) am vergangenen Samstag mit 38,8 Grad Celsius in Bayern.

Nun sorgen die Amtsärzte mit einem überraschenden Vorschlag für Diskussionsstoff. "Wir sollten uns bei Hitze an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren", sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Johannes Nießen, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Mediziner Dr. Johannes Nießen vom Bundesärzteverband des öffentlichen Gesundheitsdienstes
Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesärzteverbands des öffentlichen Gesundheitsdienstes Bild: Horst Galuschka/IMAGO

"Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen, ist ein Konzept, das wir in den Sommermonaten übernehmen sollten." Bei starker Hitze seien Menschen nicht so leistungsfähig wie sonst. Komplexe Arbeitsanforderungen sollte man lieber in die frühen Morgenstunden verschieben.

"Zudem braucht es ausreichend Ventilatoren und leichtere Kleidung, auch wenn die Kleiderordnung im Büro das nicht erlaubt." Wichtig sei auch, grundsätzlich viel mehr zu trinken und leichtes Essen in mehreren kleineren Portionen zu sich zu nehmen. "Ein kaltes Fußbad unter dem Schreibtisch wäre eine weitere Möglichkeit, um im Homeoffice für Abkühlung zu sorgen", schlägt Nießen vor.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unterstützt den Vorschlag der Amtsärzte: "Siesta in der Hitze ist sicherlich kein schlechter Vorschlag", schrieb er auf Twitter. "Das sollten aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst aushandeln." Medizinisch sei eine solche Maßnahme "sicher für viele Berufe sinnvoll".

Gewerkschaft fordert Hitzeschutz

Inwieweit die in Teilen Südeuropas verbreitete, traditionelle Mittagspause Anklang bei deutschen Arbeitgebern findet, die für die nötige Flexibilität bei den Arbeitszeiten sorgen müssten, ist noch offen. Unterstützung könnte von den Arbeitnehmerverbänden kommen, die Unternehmen in die Pflicht nehmen wollen, mehr für den Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter zu tun.

So forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB die Arbeitgeber auf, während der Sommermonate regelmäßig Hitze-Gefährdungsbeurteilungen zu erstellen, um Arbeitsschutz während hoher Temperaturen zu gewährleisten.

Ein kleines Kind läuft durch die Wasserfontänen eines Brunnen in der Duisburger Innenstadt.
Ein kleines Kind kühlt sich mit Wasserfontänen in der Duisburger Innenstadt abBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

"Arbeitgeber müssen ihre Beschäftigten vor Hitze schützen - Arbeit bei Hitze ist für Beschäftigte belastend und gefährdet im schlimmsten Fall ihre Gesundheit", sagte Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Gefährdungsbeurteilungen sind Grundlage für passgenauen Schutz."

Piel sprach von einem "Versäumnis der Arbeitgeber, das angesichts des Klimawandels und der extrem heißen Sommer vollkommen inakzeptabel ist". Sie forderte zudem, Büroräume mit Temperaturen von mehr als 35 Grad zu schließen.

Zuflucht in kühlen Kirchen 

Mit einem Vorschlag ganz anderer Art meldete sich Lauterbach aus seinem Urlaub in Italien. Als weitere Maßnahme gegen die Sommerhitze empfahl der Bundesgesundheitsminister die Öffnung von Kirchen. Diese sollten "in Hitzewellen als Kälteräume tagsüber offen sein und Schutz bieten", twitterte der Politiker der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands während seines Italien-Urlaubs aus einer Basilika in Siena in der Toskana.

"Wunderschöne mittelalterliche Bauweise, aber auch ein Kälteraum", lobte Lauterbach das Gebäude. In seinem kürzlich vorgestellten Hitzeschutzplan war von Kirchen noch nicht die Rede gewesen.

Bei der Deutschen Bischofskonferenz rennt der Gesundheitsminister mit seiner Idee sprichwörtlich offene Türen ein. Die meisten Kirchen seien tagsüber ohnehin geöffnet, erklärte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp.

Allerdings habe zunehmender Vandalismus an Kirchengebäuden in jüngster Zeit auch dazu geführt, dass immer öfter Pfarrkirchen außerhalb der Messzeiten geschlossen blieben. Das sei schade, denn die Kirchen seien mit ihren dicken, ehrwürdigen Mauern bei großer Hitze kühle und ruhige Orte.

Der Eintritt ist frei, aber nicht umsonst: "Religionssensibilität und Pietät werden im Kirchenraum auch von Nichtkatholiken oder Areligiösen erwartet", schränkt Kopp ein.

Kirchen also auch als Orte der Abkühlung? Dafür gibt es Beifall von der Wissenschaft. "Sicher sind die meisten Kirchen geeignet, als Räume mit kühleren Temperaturen einen Beitrag zum Hitzeschutz zu leisten. Ich könnte mir vorstellen, dass auch schon ein zeitweiser Aufenthalt in kühleren Räumen aus gesundheitlicher Sicht nützlich ist", erklärte Uwe Ulbrich, Professor für Meteorologie an der Freien Universität Berlin.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur