US-Senat will Rückgewinnung von NS-Beutekunst erleichtern
12. Juni 2016Eine ungewöhnliche Allianz hat sich im US-Senat gebildet, um rechtmäßigen Eigentümern von NS-Raubkunst bei der Wiedererlangung ihrer Kunstwerke zu helfen. Sie besteht aus dem erzkonservativen Senator Ted Cruz und dem linksliberalen Senator Chuck Schumer. Bisher verhinderten bestehende Gesetze, ihre Fälle vor Gericht zu bringen und Ansprüche geltend zu machen. Schuld war die verwirrende Vielfalt von Verjährungsfristen im US-Rechtssystem. Der jetzt von einer Gruppe um die Senatoren Cruz und Schumer eingebrachte "Holocaust Expropriated Art Revorey Act" (HEAR) will das ändern. HEAR vereinheitlicht die Rechtslage und führt eine sechsjährige Verjährungsfrist ein. Sie beginnt mit der Entdeckung des Kunstwerkes durch den Anspruchsteller. Vergangene Woche hielt der Justizausschuss des US-Senats eine Anhörung zu HEAR ab. Eingeladen waren unter anderem die Schauspielerin Helen Mirren, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, und Simon Goodman. Letzterer ist der Enkel von Friedrich Gutman, der seine Kunstsammlung unter Druck des NS-Regimes veräußern musste.
DW: Herr Goodman, Republikaner und Demokraten ziehen im US-Senat beim HEAR Act an einem Strang. Beide Parteien unterstützen damit die Holocaustopfer bei der Wiedererlangung von NS-Raubkunst. Hat Sie das überrascht?
Dass beide Parteien hinter dem HEAR Act stehen, ist für sich genommen schon ermutigend. Es besteht somit eine gute Chance, dass der HEAR Act verabschiedet wird. Das alleine wäre schon ziemlich gut. Denn nur wenig geht in diesen Tagen durch den Kongress.
Warum gibt es diese Einigkeit?
Nun, wir haben Wahljahr und keine Partei will nach außen so dastehen, dass sie die Nachkommen von Holocaust-Opfern blockieren will.
Die gesetzlichen Defizite in den USA waren aber doch schon lange bekannt. Warum kommt es erst jetzt zu dieser Initiative?
Das hat jahrelangen Drucks bedurft. Und um ehrlich zu sein: Der Präsident des jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, hatte alle Hände voll zu tun, um für uns endlich Gehör bei den Senatoren zu finden. Das ist alles Politik.
Sie sind vor dem Justizausschuss des US-Senates zum HEAR Act befragt worden. Was war Ihre Botschaft?
Ich habe klar gesagt, dass ich das Gesetz unterstütze. Meine Familie hat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Museen, Galerien, Auktionshäusern und ausländischen Regierungen gekämpft. Alles, was es uns etwas einfacher macht, unsere Interessen wahrzunehmen und vor Gericht ziehen zu können, ist ein großer Fortschritt. Abgesehen davon ist es fast noch wichtiger, dass der Senat durch dieses Gesetz eine Botschaft in die Museumswelt und das Kunst-Business aussendet. Eine Botschaft, die klarmacht, in welche Richtung es gehen soll. Das schafft ein neues moralisches Klima. Das macht es für eine Familie wie meine einfacher, eine Einigung zu erzielen, ohne dass wir vor Gericht ziehen müssen.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Vor fast 20 Jahren fand ich einen Edgar Degas in Chicago. Die erste Reaktion des Anwalts der Gegenseite war, dass wir die Fristen überschritten hatten. Damit wollten sie uns damals stoppen. Aber es gibt noch viele andere Kunstwerke aus unserem Familienbesitz in den USA. Ich kann Ihnen nicht sagen, wann ich wieder vor Gericht ziehen werde. Und ich habe beispielsweise auch noch eine Restitutionsforderung in Bayern ausstehen. Keine Ahnung, wie das jetzt ausgeht.
Es gibt zahlreiche Museen in Deutschland, in deren Sammlungen sich vielleicht NS-Raubkunstwerke befinden. Erhalten Sie aus Deutschland und von der deutschen Bundesregierung genug Unterstützung?
Auf gesetzlicher Ebene nicht. Vor drei bis vier Jahren erhielt ich eine signifikante Restitution vom Landesmuseum in Stuttgart. Aber das geschah nur, weil die Verwaltung des Museums dachte, es wäre richtig, das zu tun. Es handelte sich um zwei goldene Renaissance-Uhren. Ich habe darüber auch ein Buch geschrieben: "The Orpheus Clock". Hätte ich vor Gericht gehen müssen, hätte ich schlechte Karten gehabt. Unter anderem auch wegen ausgelaufener Fristen.
Die Senatoren Cruz und Schumer sagen, dass es wichtig sei, die moralische Verantwortung zu übernehmen. Machen das die Deutschen aus Ihrer Sicht ausreichend?
Ja und nein. Schauen Sie sich beispielsweise die Limbach-Kommission an, die in Streitfällen entscheidet, ohne allerdings rechtlich bindend zu sein. Das geht nur im Schneckentempo. Und viel kommt dabei auch nicht raus. Es ist langsam und übervorsichtig. Mehr könnte immer gemacht werden. Und klar ist: Wenn der US-Senat den HEAR Act verabschiedet, sendet das eine starke Botschaft – auch nach Deutschland.
Wissen Sie, in meiner Familie ist meine Tante bald 97. Sie mag nicht mehr lange leben. Sie musste sich in Italien während des Krieges verstecken. Es wäre wichtig, wenn sie die Rückgabe weiterer Kunstwerke noch erleben würde. Aber sehr viel Zeit ist bereits verstrichen. Mein Vater fing bereits 1945 an, geraubte Kunstwerke zurückzufordern. Er kam nicht sehr weit damit. Ich übernahm das nach seinem Tod. Das geht jetzt schon seit mehr als 70 Jahren so. Und von der Gutmann-Sammlung sind immer noch mehr als 30 Prozent verschollen.
Sie sind gemeinsam mit der Schauspielerin Hellen Mirren vor dem US-Senat aufgetreten. Mirren betonte, dass die Rückgabe von Kunstwerken wenig mit Geld zu tun habe. Es gehe für die jüdische Community vielmehr um die Chance, die Geschichte, die Kultur und die eigene Familie für sich zurückzugewinnen. Sehen Sie das auch so?
Da ist etwas Wahres dran. Ich mache das nicht aus finanziellen Gründen, die Suche alleine ist extrem teuer. Von unserer Familie ist nicht viel übrig geblieben. Kunst ist alles, was von unserer Familienkultur überlebt hat.
Das Interview führte Gero Schliess