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Verhoeven: "Machtmissbrauch ist ein Problem"

Dagmar Michel
24. Februar 2018

Im DW-Interview bezieht der Regisseur Simon Verhoeven Stellung in der #MeToo-Debatte. Er glaubt, dass sie zu mehr Zivilcourage führe. Ein Filmset sei aber auch kein Kuschelzoo. Gelegentliche Wutausbrüche gehörten dazu.

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Regisseur Simon Verhoeven
Bild: Alan Ovaska

Mit einer turbulenten Integrationskomödie hat der Schauspieler und Regisseur Simon Verhoeven einen seiner größten Erfolge eingefahren: "Willkommen bei den Hartmanns" lockte vier Millionen Zuschauer ins Kino. Der Film handelt von einer deutschen Familie, die einen Flüchtling aufnimmt. Verhoevens Spezialität sind zwar Kinokomödien ("Männerherzen"), doch international erlangte er Aufmerksamkeit mit dem Horrorfilm "Unfriend".

Deutsche Welle: Sie haben das größte deutsche Filmfestival in den USA "Berlin & Beyond" in San Francisco mit Ihrem Film "Willkommen bei den Hartmanns" eröffnet. Wie stolz sind Sie darauf?

Simon Verhoeven: Das ist schon etwas sehr Besonderes für mich. Zunächst einmal war ich noch nie in San Francisco. Und ich habe ja auch eine amerikanische Prägung, was meine Filme angeht, da ich in New York Film studiert habe. Es ist besonders schön, mit einem Film wieder nach Amerika zurückzukehren.

Sie haben bereits internationale Filme gedreht. Wäre es eine Option für Sie, einmal in Hollywood zu produzieren?

Ich bin ja ein Filmemacher, der seine ganz eigenen Geschichten erzählt - und selbst schreibt. Das wäre in Hollywood viel schwieriger, glaube ich. Da müsste ich außerdem auf Englisch schreiben. Das kann ich sicher ganz gut, aber nicht so authentisch, wie ich es auf Deutsch kann.

Lachende Familie in einem Garten
Simon Verhoevens Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" sorgte Ende 2016 für klingende KinokassenBild: Warner Bros Entertainment

Ihre Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" hat einen Humor, der in Deutschland schnell rüber kommt. Wird der Witz auch von den Amerikanern verstanden?

Mein Film ist durchaus angelsächsisch und vom englischen und amerikanischen Humor- und Filmhandwerk geprägt. Das war bei meinen Filmen immer so, dass sie einen leichten amerikanischen Touch haben und trotzdem inhaltlich sehr europäisch - und sehr deutsch - sind. Ich denke schon, dass die Amerikaner offen dafür sind, über so ein schwieriges Thema wie die Flüchtlingskrise zu lachen.  

Die USA sind ja ebenfalls ein Einwanderungsland. 

Es gibt schon einen Unterschied zur Immigration in den USA. In Amerika ist es ja wirklich so, dass Menschen, die hierher kommen, sich sehr schnell als Amerikaner fühlen. Sie nehmen sehr schnell die amerikanische Mentalität an und sind stolz darauf, Amerikaner zu sein.

Das ist natürlich in Deutschland wesentlich zwiespältiger, weil wir selbst ein gebrochenes Verhältnis zu unserem Land haben. Es wird zwar weniger, aber es ist immer noch der Fall. Ich glaube, dass das auch der Integration im Weg steht. Die Amerikaner hätten überhaupt kein Problem damit, eine amerikanische Leitkultur zu formulieren. Die ist ganz selbstverständlich. Jeder kann hier seine Kultur ausleben und ist trotzdem stolz darauf, Amerikaner zu sein. Das ist in Deutschland anders.

Haben Sie über eine Fortsetzung der "Hartmanns" nachgedacht?

Ja. Wir haben uns überlegt, die Hartmanns vielleicht nach Afrika zu schicken. Die umgekehrte Geschichte. Die Hartmanns kommen nach Afrika und machen dort Entwicklungshilfe und richten Chaos an. Es wäre eigentlich auch ein sehr brisantes und interessantes Thema. Aber ich weiß es nicht, ich bin auch ein bisschen skeptisch, dass man zu einem Film, der so ein Phänomen geworden ist, dann auch noch unbedingt einen zweiten Teil machen muss. Muss eigentlich nicht sein.

Die #MeToo-Debatte ist aus Hollywood zu uns geschwappt. Ausgerechnet Hollywood hat sie angestoßen. Oder gerade Hollywood?

Die #MeToo-Debatte hat sich an dem Fall Weinstein entzündet. Das ist ein sehr individueller Fall, der das ausgelöst hat. Aber der Fall hat doch eine Menge zu Tage gebracht. Dadurch haben sich viele Frauen ermutigt gefühlt, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Das finde ich sehr gut. 

#MeToo Protest von Frauen
Filmproduzent Harvey Weinstein löste Ende 2017 eine Debatte um sexuelle Belästigung aus, die unter dem Hashtag #MeToo weltweit Verbreitung fandBild: Imago/Pacific Press/L. Radin

Wichtig ist, zu verstehen, dass es hier nicht nur um die Filmbranche geht, sondern dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. In der Filmbranche gibt es vielleicht ein paar Situationen, die besonders dazu einladen, Machtmissbrauch zu betreiben. Das kann die Nähe zwischen Regisseur und Schauspieler sein, die Castingsituation an sich, auch der Wille, dass man Künstler, Regisseure eher als Tyrannen akzeptiert, die sozusagen eine Macke haben dürfen. Aber ich denke, es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.

Haben Sie selbst Fälle von Machtmissbrauch erlebt?

Nein. Ich muss sagen, dass ich niemals, oder wenn, in sehr, sehr harmloser Weise, so eine Art von Machtmissbrauch erlebt habe. Ich wurde als junger Schauspieler natürlich auch mal von Regisseuren zusammen geschrien und fertig gemacht. Da hätte ich mir dann gewünscht, dass das Team etwas gesagt hätte oder jemand von den erfahreneren Leuten mir zur Seite gesprungen wäre. Das passierte zwar meistens, aber erst danach, ganz leise.

Die #MeToo-Debatte hat in Deutschland zum Fall Wedel geführt. Er steht am Pranger, auch wenn weiter die Unschuldsvermutung gilt. Wie sollte man mit seinen Filmen umgehen, wenn sich der Verdacht weiter erhärten würde?

Das muss sich jeder selber überlegen, ob er Lust hat, sich die Wedel-Filme oder Wedel-Serien noch anzuschauen. Ich persönlich verspüre da jetzt nicht so große Lust darauf. Aber es kann ja sein, dass jemand, der sich unkorrekt oder verbrecherisch benommen hat, trotzdem ein Künstler ist, der tolle Serien gemacht hat. Insofern sollte man die Kunstwerke nicht wegsperren, bloß weil jemand vielleicht ein fragwürdiger Mensch war. Ich glaube nicht, dass man Wedel-Filme nicht mehr zeigen sollte. Es wird nur relativ schwierig sein, sie unbelastet zu genießen.

Ich glaube, dass die ganze Debatte zu mehr Zivilcourage am Set und in der Gesellschaft führt. Wenn jemand andere demütigt oder belästigt, werden sich jetzt mehr Menschen dagegen wehren und aufstehen.

Simon Verhoeven (Barak Shrama)
Simon Verhoeven beim Filmfestival "Berlin & Beyond" in San FranciscoBild: Flickr/Barak Shrama

Gleichzeitig muss man aber aufpassen, dass nicht jeder Flirtversuch, ein ungeschicktes Kompliment oder ein Streit in diese Debatte mit reingezogen werden. Ein Filmset ist kein Kuschelzoo. Da wird mal geschrien, da darf auch mal ein Wutausbruch stattfinden. Das ist ein emotionales, kreatives und manchmal auch ein sehr angespanntes Arbeitsklima, weil man in einer gewissen Zeit etwas abliefern muss. Und das ist auch okay.

Weinstein, Spacey und vielleicht Wedel - sind das die letzten Dinosaurier? Wird sich das Thema sexuelle Belästigung mit den nächsten Generationen erledigen?

Ich glaube schon, dass das früher mehr ein Männerclub war. Dass es einfacher war, etwas unter den Tisch fallen zu lassen. Und es gab noch keine sozialen Medien et cetera. Es ist schon eine Generationenfrage. Aber es wird auch jetzt noch Leute geben, Männer und Frauen, die sich daneben benehmen, die Machtmissbrauch betreiben. So ganz würde ich nicht ausschließen, dass es jetzt noch Problemfälle gibt.

Das Interview führte Dagmar Michel beim größten deutschen Filmfestval in den USA: "Berlin & Beyond". Das Festival wird vom Goethe-Institut in San Francisco veranstaltet. Die DW ist in diesem Jahr Medienpartner.