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Singendes Weltgewissen

Mathias Bölinger22. Mai 2015

Der chinesische Künstler Ai Weiwei und die amerikanische Sängerin Joan Baez wurden in Berlin mit dem Titel "Botschafter des Gewissens" ausgezeichnet. Ein Nostalgietrip für das nicht mehr ganz junge Publikum.

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Ai Weiwei und Joan Baez
Bild: picture-alliance/dpa

Auf der Bühne brennt eine riesige Kerze. In den Stuhlreihen, die sich langsam füllen unterhalten sich zwei ergraute Rebellinnen darüber, wie oft sie die Preisträgerin schon live gesehen haben. Seit zwölf Jahren ehrt Amnesty international mit dem Titel "Botschafter des Gewissens" Künstler, die sich für die Menschenrechte engagieren. In diesem Jahr ist es ein wenig so, als ob sich die Organisation den Preis selbst verliehen hätte. Preisträgerin ist die US-amerikanische Sängerin Joan Baez, die sich seit Anfang der siebziger Jahre für die Organisation engagiert und die amerikanische Sektion mitgegründet hat.

Und im Publikum sitzen nicht wenige, die mehr oder weniger die gesamte Laufbahn der Grande Dame des politischen Lieds schon mit verfolgt haben. Baez war Anfang der sechziger Jahre bekannt geworden, als sie auf Bürgerrechtsdemonstrationen an der Seite von Martin Luther King auftrat und danach neben Bob Dylan und Phil Ochs eine der bekanntesten Vertreterinnen des amerikanischen Protestsongs wurde.

Künstler für Menschenrechte

Die Sängerin teilt sich den Preis mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei, der nach wie vor nicht aus China ausreisen kann und die Auszeichnung deshalb nicht persönlich in Empfang nehmen konnte. "Künstler wissen am besten, wie es ist, wenn man sich nicht frei ausdrücken kann", sagt Selmin Caliskan, die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland.

Und um die beiden Künstler zu ehren fährt die Organisation viel Musik auf: Jazz, Blues und natürlich politische Liedermacher in der Tradition der Preisträgerin. International bekannte Menschenrechtsaktivisten haben Auftritte. Die Frau des saudischen Bloggers Raif Badawi erinnert an dessen Schicksal. Badawi wurde für seine Texte zu einer Haftstrafe und 1000 Stockhieben verurteilt.

Ai Weiwei, chinesischer Künstler und Regimekritiker (Archivfoto: AFP/GettyImages)
Ai Weiwei, chinesischer Künstler und RegimekritikerBild: Ed Jones/AFP/GettyImages

"Andere schlechter dran"

Dann wird zuerst Ai Weiwei geehrt. Chris Dercon, Leiter der Tate Modern Gallery in London und designierter Intendant der Berliner Volksbühne hält die Laudatio und nimmt den Preis stellvertretend entgegen. Ai lasse ausrichten, er nehme den Preis stellvertretend für alle entgegen, die ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel setzen. Es gebe so viele, die viel schlechter dran seien als er.

Dann bittet der Laudator Ai Weiweis Sohn auf die Bühne, der in Berlin lebt. Der Junge, der etwa sechs Jahre alt ist darf dann für die Fotografen den Preis halten. Sein Gesicht verschwindet hinter dem Gebilde aus Glas und Metall, das von Größe und Form an einen großen Blumenstrauß erinnert. Das Publikum applaudiert angemessen begeistert, auch einige Juhuu-Rufe sind zu hören. Trotzdem ist klar, dass die meisten nicht wegen Ai Weiwei hier sind. Doch bis ihr Star dran ist, müssen sie sich noch ein paar Musikeinlagen lang gedulden.

Jeanne d'Arc und dunkler Schmetterling

Als es dann endlich so weit ist und die amerikanische Sängerin Patti Smith die Laudatio auf Joan Baez hält, kommt nochmal Schwung ins Publikum. Smith schildert die Bedeutung, die Baez für sie als Teenagerin in den konservativen sechziger Jahren hatte."Sie war unsere Königin", sagt sie. "Und ich betrachte mich als ihre Untertanin". Patti Smith hat keine Angst vor Pathos und trägt noch ein paar dicke Schichten Lob auf. Sie nennt Baez "unseren dunklen Schmetterling" und scheut keinen historischen Vergleich: "Das 16. Jahrhundert hatte Jeanne d'Arc (englisch: Joan of Arc), wir haben Joan Baez." Das Publikum johlt und klatscht.

Publikum aus dem Häuschen

Dann kommt Baez auf die Bühne. Mit ihren kurzen grauen Haaren, einem schwarzen Blazer und beigefarbenen Rock sieht sie wie eine gepflegt alternde amerikanische Großmutter aus. Sie nimmt den Preis entgegen, sagt ähnlich wie Ai Weiwei, dass andere ihn viel eher verdient hätten uns singt ein paar Zeilen. Das Publikum erhebt sich klatschend. Wer den Text kennt, singt mit. Dann kommen die anderen Musiker, die den Abend bestritten haben auf die Bühne und gemeinsam singen sie die Lieder, mit denen sie berühmt geworden ist. Für das Publikum gibt es jetzt kein Halten mehr, jubelnd stehen sie im Saal und erleben für einen Moment nochmal die Begeisterung ihrer Jugend.