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Sinn für Pragmatik

Matthias von Hein29. Januar 2005

Zum ersten Mal seit 55 Jahren gibt es zwischen Taiwan und China direkte Flüge. Hat die Politik der "Drei Neins" ein Ende? Es ist ein erstaunlich pragmatischer Schritt, meint Matthias von Hein.

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Als am Samstag (29.1.2005) um 9.30 Uhr Ortszeit der Jet der China Southern Airlines den Flughafen von Taipeh ansteuerte, war das ein Grund zum Feiern. Nicht nur, weil erstmals seit 55 Jahren ein Flugzeug aus der Volksrepublik China auf Taiwan landete - von Flugzeugentführungen einmal abgesehen. Sondern auch weil es ein Sieg der Vernunft ist über die Ideologie; weil Pragmatik einen Weg herausgefunden hat aus dem Dickicht politisch aufgeladener Begriffe.

Denn die Menschen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße sind längst weiter, als eine martialische Rhetorik glauben machen will: Rund eine Million von insgesamt 23 Millionen Taiwanesen lebt dauerhaft auf dem chinesischen Festland. Die meisten von ihnen sind Geschäftsleute, die mittlerweile zehn Mal so viel in der Volksrepublik investiert haben wie Deutschland: nämlich geschätzte 100 Milliarden Dollar. Dass man es nicht genauer weiß hängt damit zusammen, dass taiwanesische Geschäftsleute gezwungen sind, ihre Geschäfte über Drittstaaten abzuwickeln - genauso wie bisher alle Reisen.

Die Doktrin der "Drei Neins"

Denn seit Tschiang Kai-Shek 1949 vor der sicheren Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg mit einer Million Menschen und dem Staatsschatz vor der Volksbefreiungsarmee nach Taiwan floh, gibt es die Politik der "Drei Neins": keinen Post-, keinen Schiffs- und keinen Flugverkehr mit dem Festland.

Seit 1949 aber ist eine Menge Zeit vergangen und die bilateralen Wirtschaftskontakte sind mehr als eng: Rund ein Viertel der taiwanesischen Exporte geht in die Volksrepublik. Auch kulturell sind die Verbindungen eng, wenngleich der taiwanesische Präsident Chen Shui-Bian eine bizarr anmutende Debatte über eine eigenständige taiwanesische Identität angezettelt hat. Ihre größten Erfolge feiern taiwanesische Popstars in der Volksrepublik. Brücken der Verständigung knüpften zudem die knapp vier Millionen Touristen, die das Festland im letzten Jahr besuchten.

Umweg über Hongkong nicht ganz passé

Da Taiwan sich in politischer Hinsicht ebenso atemberaubend entwickelt hat wie die Volksrepublik wirtschaftlich, muss die Regierung sich regelmäßig dem Votum der Wähler stellen. Und die wollen nun mal lieber in 75 Minuten direkt nach Shanghai fliegen, und nicht erst in Hongkong zwischenlanden müssen. Deshalb hat man auch schon wiederholt über Direktflüge diskutiert.

Gescheitert sind sie bisher an einem zentralen Punkt: Peking möchte sie als nationale Flüge behandeln, Taipeh als internationale. Diese Klippe wurde jetzt auf sehr pragmatische Weise umschifft: Die Flugzeuge müssen den Luftraum von Hongkong überfliegen - was zwar ein Umweg ist, aber sie müssen dort wenigstens nicht mehr landen. Das spart immerhin gut zwei Stunden Zeit.

Kein Interesse an Versöhnung

Leider endet diese Phase bereits nach drei Wochen - am 20. Februar. Und bislang spricht nichts dafür, dass die Direktflüge der Auftakt wären für eine Annäherung auf politischer Ebene. Erste versöhnliche Signale des neuen taiwanesischen Premierministers Frank Hsieh wurden in Peking bislang keiner öffentlichen Kommentierung für würdig befunden. Stattdessen wird in Peking betont, die Direktflüge zum Frühlingsfest bedeuteten auf keinen Fall die Wiederaufnahme von Verhandlungen.

Im Prinzip können alle Seiten mit dem Status quo recht gut leben. Allerdings müssen sowohl Peking als auch Taipeh aufpassen, nicht Getriebene ihrer eigenen Wiedervereinigungs-Propaganda beziehungsweise Unabhängigkeits-Rhetorik zu werden. Die Direktflüge zeigen da einen beruhigenden Sinn für Pragmatik.