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Sinn: "Steuerbürger bezahlen Eurokrise"

Zhang Danhong16. Januar 2013

Der Ökonom Hans-Werner Sinn ist vor allem dafür bekannt, dass er gegen den Strom schwimmt und unangenehme Positionen vertritt. Im DW-Interview räumt er mit einigen allgemein akzeptierten Standpunkten auf.

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Prof. Hans-Werner Sinn, Leiter vom ifo Institut (Foto: ifo Institut)
Prof. Hans-Werner SinnBild: ifo Institut

DW: Bundeskanzlerin Angela Merkel begründet ihre Rettungspolitik oft mit dem Argument, dass Deutschland wie kaum ein anderes Land vom Euro profitiert habe. Sie halten das für eine leere Phrase. Warum?

Hans-Werner Sinn: Weil das objektiv nicht stimmt. Als der Euro eingeführt wurde, kamen wir erst einmal in eine lang anhaltende Wirtschaftsflaute. Wir hatten die niedrigste Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder. Wir hatten das niedrigste Wachstum aller europäischen Länder. Wir trugen die rote Laterne, hat man das schon vergessen? Wir hatten eine Massenarbeitslosigkeit, die die Regierung Schröder damals zu schmerzlichen Sozialreformen zwang. Bis zur Krise waren wir der große Verlierer des Euro. Das hat sich erst durch und nach der Krise geändert. Erstens hatten wir vorher aus der Flaute heraus die Löhne und Preise nur wenig erhöht, so dass sich die Wettbewerbsfähigkeit steigerte. Zweitens traute sich das deutsche Sparkapital nach der Krise nicht mehr aus Deutschland heraus, sondern blieb trotz der niedrigen Rendite in Deutschland. Wir haben dann einen Immobilienboom und einen Beschäftigungszuwachs bekommen. Der Boom Deutschlands nach der Lehman-Krise ist in erster Linie durch die Binnennachfrage bei den Investitionsgütern getragen. Das mag Frau Merkel meinen. Aber trotzdem: In der gesamten Zeitspanne, von der Ankündigung des Euro bis jetzt, hat Deutschland seine Position eingebüsst. Als auf dem Gipfel von Madrid 1995 der Euro angekündigt wurde, waren wir unter den jetzigen Euroländern auf dem zweiten Platz beim BIP pro Kopf, jetzt liegen wir  auf dem siebten Platz. Frau Merkel hat leider unrecht.

Die Kosten, die ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone verursachen würde, seien viel höher als die, um das Land zu retten, sagen viele Ökonomen. Sie haben eine andere Rechnung.

Erstmal ist es für die Griechen ein großer Nachteil, wenn sie im Euro bleiben, weil sie nicht wettbewerbsfähig sind und eine Massenarbeitslosigkeit haben. Aber auch für die Gläubigerländer - und da steht Frankreich an erster Stelle - ist es letztlich nicht sinnvoll, wenn Griechenland drin bleibt und nicht wettbewerbsfähig ist, weil Griechenland dann nie etwas zurückzahlen kann. Das Land braucht immer neue Kredite zur Finanzierung seiner Leistungsbilanzdefizite. Und diese Defizite können entweder durch eine reale Schrumpfung des Landes mit einer Massenarbeitslosigkeit abgebaut werden oder indem die Griechen billiger werden. Für die Bevölkerung ist letzteres besser, es lässt sich aber nur durch einen Austritt realisieren. Griechenland müsste nach Rechnung von Goldman Sachs 30 Prozent billiger werden. Wenn man die Türkei zum Vergleich nimmt, gar um 40 Prozent. Eine Sparpolitik, die dieses Ergebnis erzwingt, würde das Land zerbrechen lassen.

Die Lohnstückkosten in den Krisenländern seien gesunken. Also habe sich die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder erhöht, liest man oft dieser Tage. Stimmt das nicht?

Lohnstückkostensenkungen können eine solche Wirkung haben. Dann müssten sie aber die Preise dieser Länder senken. Und die sind noch nicht gefallen. Ich vermute, dass die Lohnstückkostensenkungen, die wir beobachten, einfach darauf zurückzuführen sind, dass die Firmen mit den höheren Lohnstückkosten pleite gegangen sind. Und dass diejenigen, die noch übrig sind, naturgemäß die niedrigeren Lohnstückkosten haben. Insofern ist das nur ein statistisches Artefakt.

Auch die Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer verringern sich, da vor allem die Exporte gestiegen seien, sagte gerade der Wirtschaftsweise Lars Feld.

Diese Aussage stimmt nicht. Es liegt vor allem daran, dass die Importe eingebrochen sind. Die Exporte sind zwar nach dem Einbruch des Jahres 2009 überall wieder angestiegen, aber sie liegen noch hinter dem Vorkrisentrend. Dass die Importe zurückgefallen sind, liegt daran, dass diese Länder in die Rezession kamen. Was wir brauchen, ist nicht ein Einkommenseffekt auf die Importe, sondern einen sogenannten Substitutionseffekt über die Änderung der relativen Preise. Diese Länder müssen billiger werden, so dass die ausländischen Käufer die Güter dieser Länder kaufen und die inländischen Käufer nicht mehr die Importeware, sondern die heimische Ware kaufen.

Durch den gestörten Kapitalstrom im Eurosystem sind der Bundesbank Forderungen von rund 700 Milliarden Euro entstanden. Viele sehen in den Target-Salden ein Krisenphänomen, das von alleine verschwindet, wenn sich die Krise entschärft, so wie in den letzten zwei Monaten in kleinem Ausmaß geschehen ist. Für Sie ist das eine Target-Falle, so heißt auch Ihr letztes Buch, aus der Deutschland nicht mehr herauskommt. Warum?

Die Target-Salden gehen in dem Maße zurück, wie die Finanzmärkte beruhigt werden und sich wieder trauen, Geld in die südlichen Länder zu überweisen. Das ist wohl wahr. Aber das passiert ja nicht von sich heraus, sondern weil die EZB den Anlegern und Käufern der Anleihen der südlichen Länder gesagt hat, dass sie an ihrer Stelle zurückzahlen wird, bevor die Länder pleite gehen. Und es geschieht auch dadurch, dass der ESM gegründet wurde. Das heißt, dass die Staatengemeinschaft bereit steht, ebenfalls die Staatspapiere der südlichen Länder zu kaufen oder Anschlusskredite zu geben. Seit dem Sommer hat die Vergmeinschaftung der Haftung in der Eurozone eine neue Dimension angenommen. All das beruhigt die Kapitalmärkte und führt dazu, dass die Target-Salden zurückgehen. Das aber ist genau die Falle, in der die anderen Länder sind. Sie müssen immer weiter helfen, denn wenn sie nicht helfen, bricht etwas zusammen und sie verlieren ihre Target-Forderungen. Europa betreibt ein Ponzi-Spiel, bei dem man immer wieder neue Spielteilnehmer aktiviert, um die alten auszahlen und damit beruhigen zu können.

Die geplante Bankenunion wird als ein Instrument gesehen, um die Währungsunion in Zukunft krisensicherer zu machen. Sie sagen, bei der Bankenunion geht es um die Vergangenheit und nicht um die Zukunft. Warum?

Die Bankenunion als solche, wenn man eine gemeinsame Aufsicht im Euroraum meint, ist sinnvoll. Es kann nicht sein, dass die einzelnen Staaten selber die Regeln festlegen, unter denen die Banken agieren. Problematisch ist die Bankenunion, wenn es darum geht, letztlich die Abschreibungsverluste auf die Forderungen der Banken Südeuropas zu vergemeinschaften, indem der ESM die Banken rekapitalisiert, wie es jetzt angedacht ist. Denn die Aufgabe, solche Lasten zu tragen, liegt bei den Gläubigern der Banken. Sie haben die Investitionsentscheidung getroffen, sie haben den Banken Geld geliehen. Und wenn die Banken nicht zurechtkommen, dann müssen sie auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.

Viele Ökonomen sind der Meinung, dass die von der Politik eingeschlagene Richtung richtig sei. Sogar die Ratingagentur Standard & Poor's sieht eine Wende in der Eurokrise. Warum sehen Sie Europa auf dem Irrweg?

Ich sehe auch eine Wende in der Eurokrise. Man hat die Kapitalmärkte beruhigt mit dem Zugriff auf das Portemonnaie der Steuerbürger der noch soliden Länder Europas. Klar, dass die Anleger sich freuen und Standard & Poors eine Wende in der Eurokrise sieht. Gerade deshalb erwägt aber die Agentur Moody's, Deutschlands Rating herabzusetzen. Was die Märkte beruhigt, ist eine Umschichtung der Verantwortlichkeit zu Lasten von Menschen, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.

Das Interview führte Zhang Danhong am Rande einer Veranstaltung des IWP (Institut für Wirtschaftspolitik) an der Universität Köln.

Prof. Hans-Werner Sinn ist einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands und Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Im vergangenen Herbst erschien sein neuestes Buch "Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder".