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PolitikSlowakei

Slowakei: Aufbegehren gegen autoritäre Kulturpolitik

Kay Zeisberg (aus Bratislava)
Veröffentlicht 15. August 2024Zuletzt aktualisiert 16. August 2024

In der Slowakei protestieren Tausende gegen die rechtsnationalistische Kulturpolitik der Regierung unter Premier Robert Fico. Der betreibt einen Staatsumbau und Machtsicherung nach dem Modell seines Freundes Orban.

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Eine Menschenmenge mit Transparenten und Fahnen
Protest gegen die Kulturpolitik der Regierung in der slowakischen Hauptstadt Bratislava am 13.08.2024Bild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Der Platz des Nationalaufstands in der slowakischen Hauptstadt Bratislava ist in diesen Tagen ein Ort des Aufbegehrens. Seit Wochenanfang demonstrierten hier mehrfach Tausende Menschen, weitere Kundgebungen sollen folgen. Die Protestierenden setzen damit den Widerstand der Zivilgesellschaft fort, der sich in der Slowakei bereits nach der Parlamentswahl vom Herbst 2023 formiert hatte - gegen die neue linkspopulistisch-rechtsnationale Regierung, für die Liberalismus erklärtermaßen ein Pfui-Wort ist.

Damals standen die nachlassende Korruptionsbekämpfung durch die Justiz, die russlandfreundliche Außenpolitik und die politischen Eingriffe in die Medienfreiheit im Vordergrund. Diesmal brachten Maßnahmen des Kulturministeriums das Fass zum Überlaufen. Lautstark wird deshalb die Abberufung der autoritär agierenden Kulturministerin Martina Simkovicova und weiterer Regierungspolitiker gefordert.

Porträt einer blonden Frau (Martina Simkovicova)
Die slowakische Kulturministerin Martina SimkovicovaBild: Martin Baumann/TASR/dpa/picture alliance

Simkovicova entließ vergangene Woche den Generaldirektor des Nationaltheaters, Matej Drlicka, und die Leiterin der Nationalgalerie, Alexandra Kusa. Zuvor hatte sie bereits andere wichtige Kulturmanager gefeuert. Im Frühsommer wurde auf Initiative ihres Ministeriums der öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender RTVS (Radio und Fernsehen der Slowakei) aufgelöst und in eine umbenannte Institution namens STVR (Slowakisches Fernsehen und Radio) überführt, auf die die Regierung nun viel direkter politischen Druck ausüben kann als vorher.

Staatsumbau

Die Maßnahmen sind Teil eines rasanten und massiven Staatsumbaus unter dem Premier Robert Fico. Seine nominell sozialdemokratische, faktisch aber großenteils rechtsnationalistische Partei Smer-SD (Richtung Sozialdemokratie) ist seit Oktober 2023 an der Macht, in einer Koalition mit der sozialdemokratischen Partei Hlas-SD und der rechtsnationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS).

Porträt eines Mannes in Anzug (Robert Fico)
Der slowakische Premier Robert FicoBild: Geert Vanden Wijngaert/AP Photo/picture alliance

Fico selbst ist zum vierten Mal Premier. 2018 hatte er im Zuge des Mordes an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova zurücktreten müssen, weil ihm Korruption und Verstrickung in die organisierte Kriminalität vorgeworfen worden waren. Nun scheint es, als betreibe Fico Machtsicherung nach dem Modell seines Amtskollegen Viktor Orban im Nachbarland Ungarn. Fico und Orban sind eng befreundet.

"Weiße Rasse" in Gefahr?

Im Kultur- und Medienbereich wird die Arbeit dabei vom Koalitionspartner SNS erledigt. Einer ihrer Frontleute ist der Generalsekretär des Kulturministeriums, Lukas Machala. Er begründete den Umbau des öffentlichen Rundfunks unter anderem damit, dass dort auch Menschen zu Wort kommen müssten, für die die Welt keine Kugel, sondern eine Scheibe sei. Der rechtsextreme Politiker vertritt antisemitische und andere Verschwörungstheorien wie die von Chemtrails und sieht im russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Retter des christlichen Europas. Inzwischen hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Nachbarland Tschechien aus journalistischer Sorge die bisher enge Kooperation mit dem Partnersender in Bratislava offiziell aufgekündigt.

Eine Menschenmenge mit Plakaten und Fahnen
Protest gegen die Auflösung des öffentlichen Rundfunks RTVS in der Slowakei im Mai 2024 in BratislavaBild: Jaroslav Novák/dpa/TASR/picture alliance

Auch Machalas Vorgesetzte, die Kulturministerin Simkovicova, äußert sich ähnlich. In einem Interview für das Portal topky.sk sagte sie über die angebliche "LGBTQ-Ideologie": "Europa stirbt aus. Neue Kinder werden nicht geboren, da es hier einen LGBTQ-Überdruck gibt, seltsamerweise ausgerechnet bei der weißen Rasse."

"Methoden der Staatssicherheit"

Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky fasste gegenüber dem Privatsender TA3 die Situation so zusammen: "Das Ministerium entfernt systematisch unsere besten Kulturmanager aus leitenden Funktionen und ersetzt sie durch ihm nahestehendes Personal mit persönlichen Bindungen zur Ministerin und ihren Parteileuten, durch Menschen, die die gleiche Ideologie des rechten Randes vertreten."

Porträt eines Mannes (Michal Hvorecky)
Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky Bild: Stephan Ozsváth/DW

Nachdem schon im März trotz Protests der Mitarbeitenden die transparent gewählte Leiterin des Internationalen Hauses der Kunst für Kinder (Bibiana), Zuzana Liptakova, und die Direktorin der Slowakischen Nationalbibliothek, Katarina Kristofova, entlassen wurden, legte die Kulturministerin nun, mitten im Sommerloch, die Axt an die Vorzeigeinstitutionen der slowakischen Kultur. Quasi über Nacht entließ sie den Chef des Nationaltheaters, Matej Drlicka. Seine Abberufung wurde ihm vergangene Woche (06.08.2024) frühmorgens ausgehändigt, als er noch im Bademantel war - von einer Ministeriumsbeamtin, die in Begleitung zweier kräftiger Männer kam. Drlicka verglich daraufhin die Vorgehensweise mit Methoden der Gestapo oder der Staatssicherheit.

Zensurtendenzen

Nur einen Tag später war die Generaldirektorin der Nationalgalerie an der Reihe. Alexandra Kusa wurde ohne Anhörung durch einen sogenannten Krisenmanager ersetzt, der als eine seiner ersten Amtshandlungen wissen wollte, wie viele Kunstwerke pro Quadratmeter ausgestellt seien. Dass es in der Institution keine Krise gibt und die Nationalgalerie erst vor einem Jahr nach langwieriger Generalsanierung glanzvoll wiedereröffnet wurde sowie beachtliche Besucherzahlen vorweisen kann, spielte keine Rolle mehr. Zudem hat die Kulturministerin auch drei ihr unbequeme Mitglieder aus dem Rat des Fonds zur Kunstförderung abberufen.

Tendenzen zur Zensur sind in der Slowakei inzwischen ebenfalls schon zu spüren. So durfte im nunmehr staats- und parteipolitisch angebundenen Sender STVR ein Live-Interview mit dem geschassten Theaterchef Drlicka nicht ausgestrahlt werden, sondern nur ein Gespräch mit dem Kultursekretär Machala.

Die Regierungsparteien Smer-SD, Hlas-SD und SNS bezeichnen die Proteste in einer aktuellen Erklärung als "die Unfähigkeit liberaler Medien, politischer NGOs und der Opposition, die Ergebnisse der Parlamentswahl zu akzeptieren" und drohen mit Konsequenzen, sollte es zu einem "weiteren Angriff auf Vertreter der Regierungskoalition" kommen. Eine kaum verhüllte Anspielung auf einen Mordanschlag gegen den Ministerpräsidenten Fico im Mai.

Sanitäter ziehen eine Krankenliege, auf der ein Mensch (Robert Fico) liegt
Der slowakische Premier Robert Fico wird nach einem Mordanschlag am 15.05.2024 auf einer Liege in ein Krankenhaus in Banska Bystrica transportiertBild: Jan Kroslak/TASR via AP/picture alliance

Das Attentat, das Fico nur knapp überlebte, hatte zwar ein 71-jähriger Einzeltäter mit äußerst wirren politischen Ansichten begangen, wie inzwischen bekannt ist. Doch die Tat wird politisch instrumentalisiert, um demokratischen Protest zu diffamieren: Fico selbst hatte einige Wochen nach dem Anschlag erklärt, der Täter sei von der "in unvorstellbarem Maße frustrierten" Opposition und "regierungsfeindlichen Medien" in der Slowakei aufgehetzt worden. Hinter diesen stünden wiederum ausländische Mächte wie der US-Börsenmilliardär George Soros.

Auch diese Theorie hat Fico sich von seinem Freund Orban abgeschaut: Ungarns Premier stilisiert Soros, der ungarisch-jüdischer Abstammung ist, seit vielen Jahren zum Kopf einer angeblichen "Welt-Hintergrundmacht", die sich zum Ziel gesetzt habe, "die ungarische Nation abzuschaffen".

Porträtfoto eines Mannes mit Brille
Kay Zeisberg DW-Autor, Korrespondent und Reporter