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Smital: "Atomkraft wird zum Nischenprodukt"

Thomas Latschan11. März 2016

Trotz Fukushima wollen China und Indien massiv in Atomkraft investieren. Atomexperte Heinz Smital von Greenpeace sieht darin aber keinen globalen Trend. Für ihn befindet sich die Kernenergie weltweit im Niedergang.

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Japan Fukushima Daiichi , damaged reactors
Bild: Getty Images/C. Furlong

DW: Herr Smital, fünf Jahre nach Fukushima wollen China und Indien dutzende Atomkraftwerke bauen. Ist Atomkraft also weltweit wieder salonfähig geworden?

Heinz Smital: Keineswegs. China und Indien sind zwar zwei Paradebeispiele, was den Ausbau von Atomkraftwerken angeht. Aber wenn man sich den Energiemix insgesamt anschaut, hat in China derzeit gerade einmal einen Anteil von etwas über zwei Prozent Atomkraft an der gesamten Stromerzeugung. Das heißt: Selbst wenn sich dieser Anteil in Zukunft erhöht, bleibt er in einem Bereich, den man normalerweise unter "Sonstiges" subsummieren würde. Man muss auch sagen, dass in erneuerbare Energien ein Vielfaches investiert wird. 2014 lagen die Investitionen in China in Atomkraft etwa bei 9 Milliarden US-Dollar, in erneuerbare Energien aber bei rund 83 Milliarden US-Dollar.

DW: Trotzdem planen insbesondere die Chinesen massenhaft neue Reaktoren. Viele Konzerne aus führenden Industriestaaten haben Verträge zum Bau von Atomkraftwerken in Indien abgeschlossen. Trotzdem: Ist die zivile Atomkraft nicht immer noch ein milliardenschweres internationales Geschäft?

Es ist auch so, dass tatsächlich noch neue Atomkraftwerke entstehen werden. Das wird man kaum abstreiten können. Aber die Erde insgesamt erlebt eine Energiewende. So tut sich etwa die Industrie in England sehr schwer, ein neues Atomkraftwerk zu finanzieren, weil es sich einfach nicht mehr rechnet. Das sind globale Entwicklungen. Die erneuerbaren Energien sind jetzt schon günstiger als die Atomkraft, und das wird die Atomindustrie in zehn, zwanzig Jahren noch massiver zu spüren bekommen. Neue Atomkraftwerke sind weltweit von großen Kostenüberschreitungen und Verzögerungen geplagt. Diese Welle von China wird - denke ich - zum Erliegen kommen und letztlich ein kleines Nischenprodukt in dem Staat bleiben.

Großbritannien Protest gegen den Bau von neuem Atommeiler bei Bradwell-on-Sea (Foto:DW/Nik Martin)
In freien Gesellschaften wie hier in Großbritannien ist der Neubau von Atommeilern beinahe unmöglich gewordenBild: DW/N. Martin

Das heißt, Sie glauben, außerhalb von China und Indien wird es gar nicht zu einem massiven Ausbau kommen, zumal ja auch Staaten wie Vietnam, Malaysia oder die Philippinen Pläne für neue Reaktoren in der Schublade haben?

Ja, Vietnam ist bereits mit Russland in Gesprächen, aber auch hier gibt es Verzögerungen. Und die fünf Jahre, um die sich ein Atomprojekt verzögert, wird die Erneuerbaren noch ein ganz schönes Stück günstiger machen. Hier wird es sehr schwer werden, tatsächlich Investoren zu finden, die bereit sind, Milliarden zu investieren, auch mit der Unsicherheit, ob es nicht doch irgendwo auf der Welt zu einem weiteren Unfall kommt. Die Kostenschraube kann bei der Atomkraft nur nach oben gehen, während sie bei den Erneuerbaren nach unten geht. Deswegen lassen sich auf dem freien Markt Atomkraftwerke kaum noch finanzieren. Es gibt sicherlich Staaten, die gerne über die Atomtechnologie verfügen wollen. Aber das hat weniger mit einer zukünftigen tragfähigen Energieversorgung zu tun, sondern zielt mehr auf den Status der Staaten.

Sie haben das Thema Sicherheit schon angesprochen. In Deutschland wird gerade viel über die Sicherheit vor allem belgischer Meiler diskutiert. Aber wie sicher sind denn die Atomkraftwerke in Ländern wie China, Indien oder Pakistan?

Da fehlt es vor allem an Transparenz. Man weiß sehr wenig über die Detailprobleme chinesischer oder indischer Reaktorbauten. In Deutschland kann man ja entsprechende Informationen auch einklagen. Diese Möglichkeit gibt es in China nicht. Experten kritisieren offen, dass auch der schnelle Zuwachs an Atomkraftwerken in China ein Problem ist. Die Sicherheitsbehörde hat gar nicht die Kapazitäten, die Bauten richtig zu prüfen. Man wird sie eher durchwinken, alles abnicken und sich mit den staatlichen Baukonsortien nicht anlegen. Da ist ein großes Sicherheitsrisiko enthalten.

Kontrollzentrum im indischen Atomkraftwerk Kalpakkam (Foto:ap)
Kontrollzentrum im indischen Atomkraftwerk KalpakkamBild: AP

Zumal ja einige der neuen Reaktoren auch in Gebieten entstehen sollen, die von Naturkatastrophen bedroht sind - etwa durch Erdbeben oder Tsunamis.

Das kommt noch hinzu, auch dass man im Laufe der Jahre und Jahrzehnte dazulernen musste, dass man die Gefahr von Naturkatastrophen in der Vergangenheit zu sehr unterschätzt hat.

Bis heute gibt es weltweit kein einziges Atomendlager. Wenn jetzt vor allem in China und Indien massiv ausgebaut wird, was passiert dann mit dem atomaren Müll?

Das ist auch noch eine offene Frage und es ist auch keine leichte Aufgabe. Diesen hochgefährlichen Stoff muss man für eine Million Jahre sicher lagern. Hier sind sicherlich auch Konflikte vorprogrammiert, wenn ein Staat zentral Regionen für ein derartiges Endlager bestimmt. Für die Leute dort ist das ein Riesenproblem.

Tschernobyl ist jetzt 30 Jahre her, Fukushima fünf. Wie groß ist die Gefahr, dass ein weiterer Super-GAU passieren wird? Und wie wahrscheinlich ist es, dass dieser in Asien stattfindet?

Die Auswertungen von bestehenden Unfällen und Kernschmelzen zeigen, dass diese deutlich häufiger sind als öffentliche Risikoanalysen, die sehr viel ausklammern. Menschliche Fehler lassen sich etwa in solchen Modellen schlecht modellieren. Insofern muss man davon ausgehen, dass statistisch ungefähr alle 25 Jahre ein Unfall in der Größenordnung von Tschernobyl oder Fukushima eintritt. Wo der jetzt eintritt, ist natürlich schwer zu sagen. Das kann durchaus in Europa passieren, wo die Laufzeiten alternder Reaktoren immer wieder verlängert werden, aber auch in China, wo neue Reaktoren mit sehr großer Geschwindigkeit ausgebaut werden, vielleicht noch nicht ausgereift sind, aber unter dem Druck stehen, Fertigstellungstermine annähernd einzuhalten. Da sind sicherlich viele versteckte Fehler drin, die man heute noch gar nicht kennt. Auch dort besteht also ein großes Gefahrenrisiko.

Kernphysiker und Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital (Foto:Greenpeace)
Greenpeace-Atomexperte Heinz SmitalBild: Axel Kirchhof/Greenpeace