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Somalia: Schule selbstgemacht

Bettina Rühl, Mogadischu17. Juli 2013

Nach Jahrzehnten ohne Regierung gibt es in Somalia kein staatliches Bildungssystem. Trotzdem gehen nach UN-Angaben immerhin 40 Prozent der Kinder in Schulen, die meist von Elterninitiativen betrieben werden.

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Renovierungsarbeiten in der Schule „Umulhura“ in Mogadischu/ Somalia (Foto: Bettina Rühl)
Renovierungsarbeiten in der Schule "Umulhura" in MogadischuBild: Bettina Rühl

Auf den Stufen, die zu den Klassenzimmern führen, liegt eine dicke Schicht trockenen Laubs. Die Blätter hat schon lange niemand mehr weggefegt, seit die Schule in der somalischen Hauptstadt Mogadischu im Bürgerkrieg schwer beschädigt wurde. Seit 2011 hat in diesen Räumen niemand mehr unterrichtet, nur in einigen Zimmern im benachbarten Gebäude fand noch Unterricht statt.

Aber im Moment sind in Somalia Ferien. "Wir renovieren gerade fünf der Klassenräume", erklärt Direktor Hassan Adawe Ahmed. "Im letzten Jahr haben wir auch schon sieben in Stand gesetzt."

Das Geld kommt von der somalischen Hilfsorganisation DBG ("Hilfe für alle"), die ihrerseits von der deutschen Caritas, der Diakonie Katastrophenhilfe und der deutschen Regierung Mittel für ihre Projekte erhält. Während des mehr als zwanzigjährigen Bürgerkrieges wurde die Schule, die Ahmed leitet, schon drei Mal schwer beschädigt, zuletzt im Jahr 2011. Islamistische Al-Shabab-Milizen hatten sich in der Schule verschanzt und wurden von Truppen der Afrikanischen Union attackiert.

"Nach dem letzten Angriff waren alle Dächer kaputt, die Fensterläden und Türen geklaut." Jetzt sind einige der Klassenräume neu eingerichtet, die Schulbänke und Pulte frisch gestrichen. In den anderen kommen die Arbeiten gut voran. "Bald können hier auch wieder Schüler unterrichtet werden", stellt Ahmed zufrieden fest.

Direktor Hassan Adawe Ahmed Direktor der Schule „Umulhura“ in Mogadischu/ Somalia (Foto: Bettina Rühl)
Direktor Hassan Adawe Ahmed renoviert zerstörte Klassenräume seiner SchuleBild: Bettina Rühl

Eltern ergreifen die Initiative

In der Schule, die den somalischen Frauennamen "Umulhura" trägt, wurden in den besten Zeiten 3000 Kinder unterrichtet, aktuell sind es nur noch 600. Dass es weniger wurden, hat mit dem Bürgerkrieg zu tun. Je heftiger die Kämpfe, desto mehr Menschen mussten fliehen. Seit rund einem Jahr hat sich die Lage etwas stabilisiert. Nach mehr als 20 Jahren hat Somalia erstmals wieder eine legitime Regierung unter Präsident Hassan Sheikh Mohamud. Die Schule, durch die Direktor Ahmed führt, ist viel älter als die junge Regierung. Seit 18 Jahren wird hier unterrichtet.

Maryam Saleban Abokor war eine von denen, die damals die Initiative ergriffen. "Ich kam auf die Idee, weil ich die Kinder um mich herum beobachtete: Sie streunten durch die Straßen, weil mit dem Sturz der Regierung alle Schulen geschlossen worden waren", erzählt die inzwischen 50-jährige Mutter von fünf Kindern. "Ich hatte Angst, dass die Kinder kriminell werden, wenn sie nicht beschäftigt werden und nichts lernen." Sie wandte sich an die anderen Eltern in der Nachbarschaft und schlug vor, dass sie die Schule im Viertel renovieren und dann mit dem Unterricht beginnen.

Maryam Saleban Abokor, Mutter und Mitglied im Leitungskomitee der Schule „Umulhura“ in Mogadischu/ Somalia (Foto: Bettina Rühl)
Maryam Saleban Abokor, Mutter und Mitglied im Leitungskomitee der SchuleBild: Bettina Rühl

Lernen trotz Anarchie und Bürgerkrieg

Die anderen Eltern waren schnell überzeugt, und so gründeten sie vor 18 Jahren die Schule. Jeder beteiligte sich auf seine Weise. Die einen gaben Geld, die anderen halfen beim Renovieren - oder sie machten nach dem Ende der Arbeiten sauber.

In Mogadischu und dem Rest Somalias entstanden viele Schulen auf diese Weise: Eltern, religiöse Vereinigungen, zivilgesellschaftliche Gruppen oder lokale Hilfsorganisationen wurden aktiv, damit die Kinder trotz Anarchie und Bürgerkrieg etwas lernen.

Obwohl es nun seit einem Jahr eine Regierung gibt, hat sich an der Trägerschaft der Schulen noch nichts geändert. Die Eltern entscheiden weiterhin über die Höhe des Schulgeldes und bezahlen die Lehrer. Die Gebühren sind mit sieben bis zwölf Dollar pro Kind und Monat für somalische Verhältnisse hoch. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind 40 Prozent aller Somalier auf Unterstützung durch ihre im Ausland lebenden Verwandten angewiesen. An der Schule "Umulhura" verdienen die Lehrer 140 Dollar im Monat, der Direktor erhält zehn Dollar mehr. "Das reicht vorne und hinten nicht", sagt Ahmed. Aber da auch fünf seiner acht Kinder in diese Schule gehen, macht er trotzdem weiter.

Somalischer Soldat vor einem zerstörten Hotelgebäude (Foto: EPA/DAI KUROKAWA)
Gezeichnet vom Bürgerkrieg - die Hauptstadt MogadischuBild: picture alliance/dpa

Kein einheitlicher Lehrplan

"Wir orientieren uns an den Lehrplänen verschiedener Länder", erklärt Direktor Ahmed. "Wir haben Elemente des Lehrplans der Vereinigten Arabischen Emirate übernommen, ebenso Teile des kenianischen und des saudischen Curriculums." Über den Lehrplan entscheidet ein Komitee von derzeit 40 Eltern. Deshalb unterrichten alle Schulen im Land etwas anderes. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gehen allerdings nur 40 Prozent der somalischen Kinder überhaupt zur Schule.

Immerhin haben die Träger der Schulen in Somalia zwei Dachverbände gegründet, die nach der Abschlussprüfung die Zeugnisse vergeben, so dass die Ergebnisse wenigstens innerhalb Somalias annähernd vergleichbar sind. Trotzdem warten der Schuldirektor und die Eltern ungeduldig darauf, dass die neue Regierung ihre Verantwortung für den Bildungssektor wieder übernimmt.