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Politik

Ein Nachmittag im Dresdener Plattenbau

Nina Haase | Sumi Somaskanda
16. Juni 2017

Bei Rechtsextremismus und Rassismus macht Sachsen oft Schlagzeilen - besonders die Landeshauptstadt Dresden. Wie ausländerfeindlich sind die Dresdner? Nina Haase und Sumi Somaskanda waren auf der DW-Sommerreise dort.

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Station vor Dresdner Kulisse: Nina Haase und Sumi SomaskandaBild: DW

Vieles an Dresden ist konservativ. Die prachtvollen barocken Bauten der historischen Altstadt, einige davon wiederaufgebaute Kriegsruinen, prägen das Stadtbild und das Image. 

Den Ruf der Region hat auch der Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren geprägt. Seit 2015 ist die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte massiv gestiegen. In Freital, 20 Minuten entfernt von Dresden, steht eine Gruppe von acht Personen vor Gericht. Die Klage lautet auf Bildung einer Terrorzelle und fünf Anschläge auf Asylbewerberheime. Und auch die Anti-Islam-Bewegung Pegida ist weiterhin stark, die im Rest Deutschlands schon wieder an Bedeutung verloren hat. 

Am ersten Tag unserer Sommerreise gehen wir zum sogenannten Pegida-Spaziergang auf dem Dresdener Neumarkt. Die meisten Teilnehmer wollen nicht mit uns sprechen. Diejenigen aber, die uns nicht sofort als "Lügenpresse" abstempeln, betonen, dass sie dieses Jahr erst recht auf die Straße gehen - schließlich ist Wahljahr.

Dresden ist auch eine Stadt der Paradoxe. Es gibt hier auch eine starke linke Szene, die Initiativen gegen Rechts sind aktiv und gut vernetzt. Es sei wichtig, sich gegenseitig Mut zuzusprechen, sagen viele Mitstreiter. Diese Engagierten wollen das Image der Rechtspopulismus-Hochburg loswerden und für eine offene, multikulturelle Gesellschaft werben. Dafür organisieren sie zum Beispiel bei "Dresden isst bunt" gemeinsame Essen mit 5000 Menschen aus verschiedenen Kulturen. 

#DeutschlandWählt: Die Dresdener

Nah und doch fern der Villen

Nur acht Minuten Autofahrt trennen eine Villensiedlung von der Koitschgraben-Siedlung in Dresden-Strehlen. Sechs- bis siebengeschossige Plattenbauten wurden hier zu DDR-Zeiten errichtet. Damals, in den 1970er und 1980er Jahren, galten die Gebäude als schick, die mehr als 3000 Wohnungen waren modern ausgestattet. Heute blättert der Putz von den Wänden und die Koitschgraben-Siedlung gilt als belastetes Umfeld. Immer mehr Menschen hier haben keine Arbeit, gelten als sozial benachteiligt.

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Disziplin bei der Bundeswehr gelernt: der 26-jährige Michael HonauerBild: DW

Wir treffen Michel Honauer, als er gerade Bekannten hilft, neben dem zentralen Spielplatz eine neue Eisdiele einzurichten. Der 26-Jährige hatte hier im Koitschgraben das, was man eine schwierige Jugend nennt. So sagt er das selbst. Seine Mutter, eine Epileptikerin, fand keine ständige Anstellung. Sie brachte sich und ihre Familie eben so durch. Michel selbst brach immer wieder Schule und Ausbildung ab. Er schloss sich der Jugendgang in seinem Viertel an. Gewalt habe er aber nie angewendet, sagt er.

Mit 19 trat Michel Honauer in die Bundeswehr ein. Dort lernte er Disziplin. Zum ersten Mal hatte er keine Probleme mit Autorität, erzählt er. Später arbeitete er in der Gebäudesicherheit - zum Schluss auch in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Dort sei oft die Stimmung gekippt, es habe "Geplärre" gegeben. Er und seine Kollegen hätten öfter "eingreifen" müssen, "indem wir uns eine Stufe über die stellen mussten".

Mehr Migranten als Ur-Einwohner

Dass jetzt Migranten die Mehrheit der Bewohner in seiner alten Siedlung ausmachen, ärgert ihn sehr, sagt Honauer. Seine Überzeugungen sind klar rechts. "Bei denen spielt die Beschaffungskriminalität wahrscheinlich ganz oben mit. Das heißt, andere Leute zu beklauen, andere Leute zu verprügeln," behauptet er. Gerade in den vergangenen zwei Jahren hat die Stadt viele Flüchtlinge in leeren Wohnungen untergebracht. Er sei schon dafür, die Neuankömmlinge ordentlich zu behandeln, aber das gehe nur, wenn sie sich auch wie Gäste verhielten, findet er. "Die Mentalität von denen ist auch ganz anders."

Mit Politik beschäftigt sich Michel Honauer nach eigenen Angaben nicht viel. Er weiß nicht einmal, ob er im September überhaupt wählen gehen soll.Die rechtspopulistische AfD? Die habe zwar einige richtige Positionen, aber letzten Endes würden Politiker ohnehin alle Versprechen brechen.

Im Koitschgraben ziehen Flüchtlinge angeblich in frisch renovierte Wohnungen, während die alten Wohnungen vor sich hingammeln - und das ärgert hier in der Siedlung viele, fasst Carmen, 40, die Stimmung einiger Nachbarn zusammen. Sie lebt hier mit ihren Kindern und ihrem Mann. "Die Wohnungssituation ist ein ganz großes Thema. Da gibt’s viele Deutsche, die Unmut hegen gegen Ausländer. Wir wohnen in alten Wohnungen, die noch den Standard von DDR-Zeiten haben - also 30 bis 60 Jahre. Und dann sieht man, aha, nebenan zieht jemand ein und kriegt alles neu gemacht." 

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Für eine Vier-Zimmer-Wohnung bezahlt Carmens Nachbarin bisher unter 600 Euro. Zöge sie aus, sagt sie, käme gleich der Eigentümer aus dem Westen, ließe die Wohnung renovieren und erhöhte die Miete um 150 Euro, schimpft sie.

Gammelige Wohnungen, kleine Renten

Im gleichen Haus wie Carmen leben Siegfried Bürgel und seine Frau. Der Rentner zeigt uns die morsche Balkondecke. Wenn es regnet, läuft das Wasser in Bächen herunter und sammelt sich auf dem Balkon, sagt er. "Ich hab mich schon beschwert. Aber es kommt keiner." 

Dafür ist in Dresden nicht mehr die Stadt zuständig. Die hat vor über zehn Jahren den gesamten kommunalen Wohnungsbestand an die jetzige Vonovia, Deutschlands größten privaten und somit profitorientierten Vermieter verkauft. Den Mietern ist das egal - auch die Wohnungstür müsse dringend repariert werden, schimpft Bürgel. Der Wind pfeife manchmal bis ins Wohnzimmer. Früher habe es im Viertel wenigstens ein Hausmeisterbüro gegeben. Aber das habe dichtgemacht. 

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Schätzt Migranten als Bereicherung: Carmen mit ihrer zweijährigen TochterBild: DW

Seine Frau und er leben von etwa 1800 Euro Rente im Monat. Man wolle sich ja auch mal etwas Kleines leisten können, sagt Bürgel, das gehöre doch zum Leben. Um sich selbst mache er sich keine Sorgen, sagt der ehemalige Maurer. Aber sein erwachsener Enkel Patrick lebt bei ihm. "Aber was soll aus der Jugend werden? Die sitzt herum und hat keine Perspektiven." In der DDR habe es eine Arbeitspflicht gegeben. Durch die Sozialhilfe verlören viele heute die Lust am Arbeiten.

Manche mögen Multikulti

Auf dem Spielplatz klettert Carmens zweijährige Tochter Victoria auf die Rutsche. Carmen lebt gerne in der Koitschgraben-Siedlung, sagt sie. Das Viertel hat vor kurzem neue Spielplätze bekommen. Die Mutter gehört zu denen, die die Veränderungen schätzt und die es für wichtig hält, sich für eine offene Gesellschaft einzusetzen: "Es wird bunter hier. Man sieht das auch an den Kindern, die hier spielen. Es ist eine Bereicherung, finde ich - aber manche finden das eben nicht." 

BTW Sommerreise Bürgerstimmen Dresden Abdulqadeer Ahadi
"Deutschland ist ein hilfsbereites Land": Abdulqadeer Ahadi aus AfghanistanBild: DW

Bei den Müttern auf dem Koitschgraben-Spielplatz steht auch Abdulqadeer Ahadi. Seine vier Töchter fahren im Kreis auf dem Fahrrad und spielen Klatschspiele. Abdul hat in Masar-i-Scharif in Nord-Afghanistan als Übersetzer für die Bundeswehr gearbeitet. Er hat ein Visum für Deutschland bekommen und lebt seit 2014 in Dresden. 

Er arbeitet hart, um seine Familie in Schule und Alltag zu integrieren - und um anderen Neuankömmlingen zu helfen. Wenn afghanische Familien als Asylbewerber in die Gegend kommen, setzt er sich für sie ein - auch wenn die Anträge oft abgelehnt werden. Afghanistan sei einfach kein sicheres Land, sagt Abdul. "Was ich mir von der deutschen - und besonders der sächsischen Regierung - erhoffe, ist, dass sie diesen Menschen helfen." Von allen Ländern der Welt sei Deutschland im Moment das hilfsbereiteste.