Fall Jalloh: Sonderberater kritisieren Polizei
28. August 2020Der Tod von Oury Jalloh beschäftigt seit 15 Jahren deutsche Gerichte und Ermittlungsbehörden: Am siebten Januar 2005 wurde der Asylbewerber aus Sierra Leone tot in einer Polizeizelle gefunden. Die Zelle hatte gebrannt, Jalloh wies starke Verbrennungen auf, an Händen und Füßen war er gefesselt. Passiert ist das Ganze in Dessau im östlichen Bundesland Sachsen-Anhalt. Darüber, was vor, während und nach Jallohs Tod geschah, wird seither erbittert gestritten. Der Abschlussbericht der Sonderberater des Landtages von Sachsen-Anhalt ist da nur das vorerst letzte Kapitel.
Doch der Reihe nach: Es hat bereits mehrere Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegeben. Sogar der Bundesgerichtshof hat sich schon mit dem Fall befasst. Seither steht zumindest offiziell fest: Jalloh hat sich vermutlich selbst angezündet. Ein Tatverdacht gegen Dritte – also die anwesenden Polizisten an dem Tag in Dessau – liege nicht vor. Zuletzt wies im November 2018 die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde von Hinterbliebenen Jallohs gegen die Einstellung des Verfahrens zurück.
Zweifel an offizieller Darstellung
Doch bereits kurz nach Jallohs Tod regten sich Zweifel an der offiziellen Version des Tathergangs. Angehörige, Menschenrechtsgruppen, Journalisten, Sachverständige und Juristen haben immer wieder immer auf Unklarheiten und Versäumnisse hingewiesen. Die Journalistin Margot Overath hat jahrelang zu dem Fall recherchiert und ein mehrteiliges Radio-Feature dazu veröffentlicht. In einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sagt sie, sie gehe nach ihren Recherchen davon aus, dass Jalloh "sehr wahrscheinlich misshandelt und in der Folge bewusstlos wurde".
Außerdem müsse allen Erkenntnissen nach Brandbeschleuniger im Einsatz gewesen sein, weswegen sie nicht davon ausgeht, dass sich Jalloh selbst in Brand gesetzt habe. Eine Jalloh-Gedenkinitiative hat immer wieder den Vorwurf geäußert, die zuständigen Beamten im Dienst an dem Abend hätten Jalloh angezündet, um vorherige Misshandlungen zu vertuschen. Dabei habe auch Rassismus eine Rolle gespielt.
Sonderberater zu Rate gezogen
Vor zwei Jahren brachte der Landtag Sachsen-Anhalts erneut Bewegung in den Fall. Im Juni 2018 wurden zwei Sonderberater vom Rechtsausschuss des Landtags eingesetzt: Rechtsanwalt Jerzy Montag und der ehemalige Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel. Sie erhielten Zugang zu den Akten, sprachen mit Beteiligten, laut Berichten des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" auch mit Polizeibeamten des Reviers Dessau. Nach mehreren Monaten haben die Sonderberater nun ihren Abschlussbericht vorgelegt – und bestätigen, dass sie keinen Einlass sähen, neue Ermittlungen wegen Mordes aufzunehmen.
Allerdings bescheinigen die Sonderberater den Ermittlern von damals schwere Fehler. Vor allem die Festnahme und somit auch der Polizeigewahrsam an sich sei rechtswidrig gewesen. Die Polizisten hatten angegeben, dass Jalloh an dem Abend Frauen belästigt habe – das stellte sich allerdings als falsch heraus. Bei der Vorstellung des mehr als 300 Seiten starken Berichts sagte Sonderberater Montag: "Wären diese Fehler unterblieben, dann wäre Oury Jalloh mit aller größter Wahrscheinlichkeit noch am Leben".
Die Frage der verschwundenen Beweismittel
In anderen Punkten widerspricht der Bericht der Sonderberater Kritikpunkten am Fall Jalloh. Journalistin Overath beispielsweise berichtet in ihrem Radio-Feature von einer lückenhaften Tatortarbeit und einem verschwundenen Beweismittel. Im Bericht der Sonderberater heißt es aber laut "Spiegel", die Asservate seien sachgerecht gelagert gewesen: "Es haben sich aus den Akten keine Hinweise ergeben, dass Asservate verschwunden oder manipuliert sind".
Auch ein weiterer Punkt hat zu erheblicher Kritik geführt in der Vergangenheit. Im Jahr 2017 wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle übertragen und kurz darauf eingestellt. Bevor die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dessau entzogen worden waren, hatte dessen Oberstaatsanwalt Folker Bittmann laut Medienberichten in einem Aktenvermerk festgehalten, dass er eine Vertuschungstat für möglich halte. Bittmann verwies auf zwei frühere Todesfälle im Umfeld der Dessauer Polizei und, dass die Beamten womöglich neuerliche Ermittlungen verhindern wollten. Sonderberater Montag und Nötzel hielten nun aber in ihrem Bericht fest, die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Halle im Oktober 2017 sei "nachvollziehbar und angesichts der Beweislage sachlich und rechtlich richtig" gewesen, zitiert der "Spiegel" aus dem Bericht.
Letztes Wort noch nicht gesprochen
Eigentlich sollten die Sonderberater auch mit an den Verfahren beteiligten Richtern und Staatsanwälten sprechen, was das Justizministerium allerdings ablehnte. Das sorgte bei den Parteien SPD und Grüne für Kritik. Im Landtag Sachsen-Anhalt wird schon seit längerem ein Untersuchungsausschuss zum Fall Jalloh gefordert, vor allem von der Partei "Die Linke". Jüngst kündigte auch die SPD an, in der kommenden Legislaturperiode, nach der Landtagswahl 2021, einen solchen Ausschuss beantragen zu wollen.