Deutschland privatisiert Visaverfahren
24. Oktober 2017Immer mehr Visumsbearbeitungen übernehmen statt der bisher zuständigen Konsularabteilungen der deutschen Botschaften im Ausland private Firmen, die dementsprechend Zugang zu sensiblen Daten erhalten. Dies bestätigte das Außenministerium, nachdem die Tageszeitung taz zuerst darüber berichtet hatte. Eine Ministeriumssprecherin sagte gegenüber der DW, dass das Ministerium Lizenzen an VFS Global vergeben habe. Die indische Firma sammelt im Auftrag Deutschlands Pässe und biometrische Daten von Menschen aus neun verschiedenen Ländern, die Visa für den Schengen-Raum beantragt haben. Insgesamt arbeite das deutsche Außenministerium in 18 Ländern mit fünf externen Dienstleistern zusammen, so die Sprecherin. Zudem seien Aufträge für 14 weitere Länder ausgeschrieben.
Der Aufstieg von kommerziellen Visa-Serviceleistern ist Teil eines weltweiten Trends. Viele Länder versuchen, durch Outsourcing Kosten zu reduzieren und dem Anstieg der Visumsbewerbungen gerecht zu werden.
Bewerber müssen ihre Unterlagen in Visabewerbungs-Centern abgeben, die von den Unternehmen dann an Konsulate und Botschaften weitergeleitet werden. Unter den abgegebenen Materialien: Pässe und personenbezogene Daten, oft auch Fingerabdrücke und andere biometrische Daten. Neben der Konsulatsgebühr müssen Bewerber eine zusätzliche Servicegebühr an den Dienstleister zahlen.
Die 2001 gegründete VFS Global ist Marktführer in dem Geschäft. Sie zählt laut ihrer Webseite 56 Regierungen zu ihren Kunden und betreibt 2377 Service-Center in 129 Ländern. Vor kurzem feierte das Unternehmen 154 Millionen Visabewerbungen.
Es sei "billiger für Regierungen und ihre Steuerzahler, den administrativen Teil des Visa-Prozesses auszulagern", so Peter Brun, Sprecher von VFS Global, gegenüber DW. "Sie müssen keine Infrastruktur in ihren Botschaften haben, keine langen Schlangen oder dutzende Schalter."
Kontrollverlust für den Staat?
Einige Politiker zeigen sich jedoch beunruhigt über diese Entwicklung. "Mit der Auslagerung entledigt sich der Staat komplett der Kontrolle über einen Bereich, der für Bestechungen zutiefst anfällig ist", so der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour gegenüber der taz.
Peter Brun von VFS Global hält Korruption in seinem Unternehmen für "unmöglich".
"Wie könnte uns jemand bestechen? Wir treffen keine Entscheidungen. Wir kontrollieren nur, ob die Bewerber alle Formulare ausgefüllt haben und ob die nötigen Dokumente da sind", so Brun. "Wir haben auch keinen Einfluss darauf, ob eine Bewerbung schneller bearbeitet wird."
Andere Kritiker sorgen sich um die Sicherheit der Daten, wenn personenbezogene Daten von einer privaten Firma aufgenommen werden. Im Jahr 2007 waren 50.000 Visabewerbungen, die von VFS Global und der britischen Botschaft bearbeitet wurden, aus Versehen online öffentlich zugänglich.
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) betrachtet einen rein staatlich geführten Visavergabe-Prozess als "alternativlos". Nur so könne "Willkür ausgeschlossen und Sicherheit gewährleistet werden," so Dagdelen gegenüber der DW. "Bei der Visavergabe geht es um die Gewährleistung eines verlässlichen staatlichen Handelns im Rahmen des geltenden Rechts. Hier darf es keine Abstriche zur Einsparung von Kosten oder zur Profitmaximierung Dritter geben."
Zudem wies die Abgeordnete darauf hin, dass gemäß EU-Gesetzgebung Termine zur Visabeantragung innerhalb von zwei Wochen kostenfrei und ohne private Dienstleister anzubieten seien. Der Einsatz von Privatunternehmen sei "nur als Ausnahme" zulässig.
Das Außenministerium wies derartige Bedenken zurück. "Die inhaltliche Prüfung und die Entscheidung über die Anträge, der Zugang zum Schengen-Informationssystem sowie der Zugang zu Visumetiketten bleibt Mitarbeitern der deutschen Auslandsvertretungen vorbehalten," so eine Sprecherin.
Daten nur auf europäischen Servern
Unternehmenssprecher Brun betonte gegenüber der DW, dass VFS nur Verwaltungsaufgaben übernehme. "Die auftraggebende Regierung gibt immer ganz genau den Prozess vor", so Brun. "Wir bekommen die Daten nur, um sie zu verarbeiten und sie an die Botschaft oder das Konsulat weiterzugeben. Nachdem das Visum genehmigt oder abgelehnt worden ist, löschen wir die Daten. Wir behalten oder analysieren die Daten nicht. "
Ähnlich äußerte sich das Außenministerium. "Der Dienstleister nimmt an einem räumlich getrennten Ort nach den Vorgaben der Auslandsvertretungen Visumanträge an", so eine Sprecherin. "Er hat keinen Zugang zur Visastelle, abgesehen von einem bestimmten Raum, wenn die Antragsunterlagen und Pässe übergeben werden. Die Auslandsvertretung ihrerseits überprüft den Dienstleister jedoch regelmäßig und unangekündigt."
Laut Ministerium verpflichten die Verträge die Dienstleister, deutsche Datenschutzgesetze einzuhalten, unabhängig vom Firmenstandort und personenbezogene Daten ausschließlich auf Servern im Europäischen Wirtschaftsraum - sprich: in der Europäischen Union, Island, Liechtenstein oder Norwegen - zu speichern. "Das indisch geprägte Unternehmen VFS Global hat auf Bitten des Auswärtigen Amtes sogar eine Serverstruktur aufgebaut, die ausschließlich in Deutschland liegt", so die Ministeriumssprecherin. "Hinzu kommt, dass externe Dienstleister keine Antragsdaten für Visa, also z.B. Fingerabdrücke, auf eigenen Systemen speichern dürfen und können, sondern ausschließlich Daten, die für die Terminvereinbarung benötigt werden."