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Joe Biden: Sorge um US-Präsident überschattet NATO-Gipfel

12. Juli 2024

Der Nato-Gipfel sollte eigentlich eine Feier zum 75-jährigen Bestehen des Bündnisses werden. Doch Sorgen um Joe Bidens Gesundheit trübten die Stimmung - auch wenn keiner der Anwesenden öffentlich darüber sprach.

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Joe Biden und Jens Stoltenberg inmitten anderer Staats- und Regierungschefs
Joe Biden hieß die NATO-Mitgliedsstaaten zu einem feierlichen Jubiläumsgipfel willkommenBild: Susan Walsh/AP Photo/picture alliance

Die USA waren in turbulenten Zeiten Gastgeber des NATO-Gipfels zum 75. Jahrestag. Doch nicht allein die anhaltenden Angriffe Russlands auf die Ukraine halten das Militärbündnis weiter in höchster Alarmbereitschaft, auch der Präsident des Gastgeberlandes befindet sich gegenwärtig in einer misslichen Lage.

Das erste TV-Duell mit Donald Trump, der bei der Wahl im November für die Republikaner antreten will, verlief für den demokratischen Amtsinhaber Joe Biden katastrophal. Seitdem werden in seiner Partei immer mehr Stimmen laut, die ihn auffordern, seine Kandidatur für eine weitere Amtszeit zurückzuziehen.

Biden selbst beharrt darauf, bei den US-Präsidentschaftswahlen im November anzutreten. Doch auf dem Gipfel in Washington war Beobachtern zufolge unter den NATO-Mitgliedern die Verunsicherung in Bezug auf die US-Führung spürbar. Schließlich wird auch Trump nicht gerade als Quelle der Stabilität für die NATO gesehen.

NATO-Gipfel in Washington

"Der eine Präsidentschaftskandidat äußert Zweifel über den Wert des Bündnisses für die Vereinigten Staaten. Und beim anderen gibt es innerhalb der eigenen Partei Zweifel darüber, wie brauchbar er als Kandidat ist", meint Richard Fontaine, Geschäftsführer des Center for a New American Security (CNAS), einer unabhängigen Denkfabrik mit den Schwerpunkten nationale Sicherheit und Verteidigungspolitik. "Die Verbündeten kommen nicht nur nach Washington, um ihren Einsatz für die Ukraine zu bekräftigen, sie machen sich auch Sorgen über die politischen Entwicklungen beim wichtigsten Partner der Allianz."

Eine "unglückselige Debatte"

Öffentlich äußerte keiner der Gipfelteilnehmer Zweifel an Bidens Fähigkeit, seinen Aufgaben gerecht zu werden und im November wieder zur Wahl anzutreten. Er mache sich keine Sorgen um den Gesundheitszustand Bidens, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz vor seiner Abreise nach Washington, "Aus den vielen Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten weiß ich, dass er diesen Gipfel sehr gut und sehr präzise mit uns zusammen vorbereitet hat", sagte Scholz auf einer Pressekonferenz am Dienstag.

Christoph Heusgen ist ein deutscher Spitzendiplomat, der seit 2022 den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz innehat. Gegenüber der DW in Washington bezeichnete er, die Fragen, die um Bidens Eignung für das Amt kreisen, als "unglückselige Debatte". "Die Welt blickt auf die USA und so eine Debatte zu diesem Zeitpunkt ist nicht hilfreich. Wir brauchen eine führungsstarke USA", mahnt er. "Ich hoffe nur, dass diese Debatte bald beendet wird."

Biden und Scholz schütteln beim NATO-Jubiläumsgipfel die Hände
Bundeskanzler Olaf Scholz möchte nicht über den Gesundheitszustand von Joe Biden spekulierenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte sich Reportern gegenüber nicht über den Gesundheitszustand des US-Präsidenten äußern. "Die NATO ist auch deshalb so erfolgreich, weil wir uns bei innenpolitischen Themen immer herausgehalten haben", betonte er vor dem Gipfel auf einer Pressekonferenz in Brüssel.

Das Vertrauen der Verbündeten schwindet

Doch es ist davon auszugehen, dass man sich hinter den Kulissen durchaus Sorgen macht. Insgeheim werden sich die Staats- und Regierungschefs Gedanken über Bidens Gesundheitszustand machen, ist Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantik-Expertin bei der Bertelsmann Stiftung, im Gespräch mit der DW überzeugt. Die NATO-Mitgliedsstaaten verließen sich nicht einfach auf ihre Hoffnung und ihren Optimismus, dass Biden den Aufgaben gewachsen sei und die Wahl gegen Trump gewinnen werde. Sie wollten vorbereitet sein, egal wer im Januar im Weißen Haus sitzt.

So nutzten verschiedene NATO-Delegationen ihren Aufenthalt in der Stadt, um sich mit ehemaligen Beamten der Trump-Administration sowie Trump nahestehenden Republikanern zu treffen.

In einem Artikel der US-amerikanischen Tageszeitung Politico wurden mehrere Diplomaten und Teilnehmer des NATO-Gipfels zitiert, die sich um Bidens Gesundheitszustand sorgen.

Sie äußerten auch ihre Frustration darüber, dass die anhaltende Diskussion über den US-Präsidenten das eigentlich feierliche Ereignis, den Jubiläums-Gipfel der Allianzmitglieder, überschatte. Mit diesen Bedenken namentlich genannt werden wollte jedoch kaum jemand.

Überzeugende Eröffnungsrede

Vor diesem Hintergrund wurde die Eröffnungsrede Bidens am Dienstag genauestens verfolgt. Die Reaktionen fielen überwiegend positiv aus. Politico nannte die Rede "kraftvoll", die BBC sprach von "knappen aber eindringlichen Worten".

75 Jahre NATO-Verteidigungsbündnis

Auch Clüver Ashbrook meint, der US-Präsident habe sich bei der Eröffnung des Gipfels im Mellon Auditorium, wo der Nordatlantikvertrag 1949 unterzeichnet wurde, gut geschlagen. "Biden hat sich auf internationaler Bühne schon immer gut gemacht", sagt sie zur DW. "Er schien etwas von seinem Schwung zurückgewonnen zu haben. Natürlich las er von einem Teleprompter ab, aber es gelang ihm, seine zentralen Aussagen klar zu vermitteln."

Gegensätzliche Positionen zur NATO

Vielleicht half es Biden, dass er NATO-Pläne, mehr Luftverteidigungssysteme in die Ukraine zu senden, verkünden konnte. Der US-Präsident hat die Ukraine bislang entschieden unterstützt und sich auch dann für Hilfspakete eingesetzt, wenn der Kongress zögerte. Er zweifelt weder an der Bedeutung der NATO noch stellt er die Mitgliedschaft der USA in Frage.

Donald Trump an einem Rednerpult
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump steht der NATO kritisch gegenüberBild: Chris Szagola/AP/picture alliance

"Eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner versteht, dass die NATO uns alle sicherer macht", betonte er und bezeichnete die Unterstützung für die NATO als "heilige Pflicht".

Trump dagegen warnte bereits in der Vergangenheit, unter ihm als Präsidenten würden die Vereinigten Staaten NATO-Verbündete, die nicht die vereinbarten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgäben, nicht vor russischen Angriffen schützen.

Seitdem hat er diese Aussage ein wenig relativiert, doch was eine weitere Trump-Präsidentschaft für die NATO-Verbündeten bedeuten würde, ist unklar. "Eine Sache ist während der Amtszeit von Trump deutlich geworden: Man kann nicht vorhersagen, was er tun wird", sagt Heusgen. "Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker