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PolitikSpanien

Spanien führt EU, aber mit welchem Premier?

Veröffentlicht 30. Juni 2023Zuletzt aktualisiert 1. Juli 2023

Politikmarathon in Spanien: Am 1. Juli übernimmt das Land die EU-Ratspräsidentschaft, Ende Juli stehen Wahlen an. Die Regierung könnte von links nach rechts wechseln. Welche Folgen hat das für Brüssel?

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Bildmaterial zum DPA Beitrag "Gas aus Spanien: Schlecht für Putin, gut fürs Klima"
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Spaniens Premier Pedro Sanchez. Ob er nach den Neuwahlen Ende Juli im Amt bleibt, ist nicht abzusehen Bild: Ricardo Rubio/EUROPA PRESS/picture alliance/dpa

Alles neu in Spanien: Nur drei Wochen nach der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli stehen in Spanien vorgezogene Wahlen an. Ob der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sanchez die Wahl gewinnen und Regierungschef bleiben wird, ist ungewiss.

In Umfragen liegt die konservative Volkspartei vorne. Sie könnte mit den Rechtspopulisten koalieren und hätte dann wahrscheinlich mehr Sitze im Parlament als ein linkes Bündnis unter Sanchez, der diese Neuwahl mitten in den spanischen Sommerferien selbst ausgerufen hatte.

Pedro Sanchez spielt den Einfluss der Wahlen auf die spanische Führungsrolle in der EU herunter. "Demokratie ist niemals ein Problem. Es ist nicht das erste Mal in Europa, dass Wahlen während einer Präsidentschaft stattfinden. Es gab auch schon Regierungswechsel", sagte der Regierungschef in Madrid Anfang Juni.

Ukraine | Spaniens Premierminister Pedro sanchez in Irpin
Topthema Ukraine: Spaniens Premier Sanchez bei einem Besuch im Februar in der Stadt IrpinBild: Adri Salido/AA/picture alliance

Ungewöhnlicher Start

Sanchez' Aussage ist korrekt, allerdings mit Einschränkungen. So war 2022 Emmanuel Macron Ratspräsident der EU und kandidierte zeitgleich zur Wiederwahl als Präsident in Frankreich. Und in Tschechien stürzte 2009 die Regierung, während sie eigentlich die EU führen sollte.

Eine Wahl und ein möglicher Regierungswechsel gleich zu Beginn der sechs Monate dauernden Ratspräsidentschaft sind aber die absolute Ausnahme. Wahlkämpfer Pedro Sanchez hat deshalb auch seinen Auftritt im Europäischen Parlament verschoben.

Er hätte noch vor den Wahlen in Straßburg sein Programm für die Ratspräsidentschaft präsentieren und diskutieren sollen. Das soll jetzt erst nach der Sommerpause im September geschehen, mit welchem Regierungschef auch immer.  

Spanien Alhambra Palast
Alhambra Palast in Grenada: Hier soll sich die EU zum Sondergipfel im Oktober treffen. Wer wird dann Spaniens Regierungschef sein?Bild: picture-alliance/blickwinkel/K. Thomas

Spanische EU-Diplomaten versichern in Brüssel, dass die Sacharbeit der Präsidentschaft wie geplant und routiniert ablaufen werde, Wahlen hin oder her. Schließlich seien die Themen der Präsidentschaft seit Monaten, wenn nicht Jahren vorbereitet worden und mit den Partnerländern Belgien und Ungarn, die im kommenden Jahr präsidieren werden, eng abgestimmt.

Ein möglicher Regierungswechsel in Madrid hin zu einem konservativ-rechtspopulistischen Lager würde an dem traditionell EU-freundlichen Kurs Spaniens nicht viel ändern, meinen Analysten und Journalisten in Spanien.

"Während des nächsten Halbjahres muss die spanische Regierung die Herausforderungen meistern, die sich Europa unmittelbar stellen, und das sind viele. (…) Spanien hat seine Ratspräsidentschaften in der Vergangenheit zufriedenstellend ausgeübt, und das wird auch jetzt erwartet", schrieb die Zeitung "La Vanguardia" aus Barcelona zum Auftakt der mittlerweile fünften spanischen Ratspräsidentschaft nach dem EU-Beitritt 1986.

Kanarische Inseln gerettete Flüchtlinge in Arguineguin
Gerettet: Spanien ist für viele Flüchtlinge und Migranten aus Afrika die erste Anlaufstelle in Europa. Die EU will Asylverfahren straffenBild: Borja Suarez/REUTERS

Wichtigste Aufgabe: Ukraine und Erweiterung

Die wichtigste Aufgabe bleibt die Unterstützung für die Ukraine und die Abwehr des russischen Aggressors, meint spanische die Politik-Expertin Carme Colomina bei einer Tagung von Denkfabriken zur Vorbereitung der Präsidentschaft in Madrid. "Die Ukraine ist in jeder Diskussion und bei jeder Entscheidung der EU präsent."

Entscheiden muss die EU darüber, ob die Ukraine und in ihrem Fahrwasser auch Moldau, noch in diesem Jahr Beitrittsverhandlungen mit Brüssel aufnehmen können. Auch bei den übrigen sechs beitrittswilligen Staaten auf dem Westbalkan sieht Carme Colomina Bewegung.

"Es gibt ein starkes Momentum für die Erweiterung. Wir wissen nur noch nicht, wie wir das nutzen können, um etwas zu erreichen. Das hängt nicht nur von den Beitrittskandidaten, sondern auch von uns ab", sagte die Politikexpertin und spielt damit auf dringend notwendige Reformen in der EU an, damit sie auch mit noch mehr Mitgliedern handlungsfähig blieben kann.

Spanien will die Diskussion über die Aufnahmefähigkeit der EU vorantreiben, verspricht der spanische Außenminister Jose Manuel Albares Bueno. "Wir müssen über Reformen nachdenken, die zur nächsten Stufe der Integration führen. Ein Beispiel dafür wären mehr Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip in der Außen- oder in der Fiskalpolitik. Dabei dürfen wir die europäischen Perspektiven der Beitrittsländer nicht vernachlässigen", sagte der Außenminister in Madrid.

Spanien Madrid | Treffen MP Sanchez und Präsident Lula Brasilien
Brasiliens Präsident Lula (li.) und Spaniens Premier Sanchez wollen beim EU- Lateinamerika-Gipfel mit einem Mercosur-Freihandelsabkommen nach Jahren des Stillstands punkten. Bild: THOMAS COEX/AFP

Von Schulden bis Strommarkt

Bis zum Jahresende will die spanische Regierung, eine ganze Reihe von wichtigen EU-Gesetzgebungsvorhaben abräumen. Dazu gehört eine Reform der Verschuldungsregeln für die Eurozone steht auf der Tagesordnung. 

Weitere wichtige Themen sind die Straffung der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, die mit dem EU-Parlament ausgehandelt werden sollen, sowie eine Reform des Strommarktes einigen. Die EU solle unabhängiger von China werden und mehr Schlüsselindustrien in Europa ansiedeln oder zumindest hier halten, kündigte Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez während einer Pressekonferenz an.

Außenpolitisch setzt Sanchez seinen Akzent auf die Wiederbelebung der Beziehungen zu Staaten in Lateinamerika und der Karibik. Handelsabkommen mit dem Mercosur-Block und mit Chile und Mexiko sollen abgeschlossen werden. Dazu wird es bereits am 17. und 18. Juli in Brüssel ein EU-Lateinamerika-Gipfeltreffen geben, also noch vor den Wahlen in Spanien.

Spanien Fächer
Spanien ist bunt. Das will die Regierung während der Ratspräsidentschaft zeigen. Auch Klischees wie Fächer und Flamenco spielen im Werbekonzept eine Rolle. Bild: Arto/Zoonar/picture alliance

Prunk für Präsidentschaft 

Anders als das sparsame Schweden, das bis Ende Juni die Ratspräsidentschaft innehatte, setzt die spanische Regierung darauf, das Land einer europäischen Öffentlichkeit zu präsentieren. Die üblichen informellen Ratssitzungen der EU und ein Sondergipfel werden an 22 unterschiedlichen Ort über ganz Spanien verteilt stattfinden, inklusive der Urlaubsinseln Mallorca und Gran Canaria.

Schweden begnügte sich bis auf wenige Ausnahmen mit Sitzungen in einer unwirtlichen Messehalle nahe des Stockholmer Flughafens. Ob Spanien so glänzen und seine Tagesordnung, seine Agenda, durchsetzen kann, sei schwer zu beurteilen, meinen Diplomaten in Brüssel.

"Die Präsidentschaft will die Agenda bestimmen, aber am Ende bestimmt die Agenda, also die aktuellen Ereignisse, die Präsidentschaft", lautet ein Lehrsatz des europäischen Hochschuldozenten Alexander Stubb. Der ehemalige finnische Regierungschef hat 2006 als Europaabgeordneter die Ratspräsidentschaft Finnlands miterlebt.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union