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Korruption im Fokus

Stefanie Müller4. Februar 2013

Lange Zeit wurde in Spanien über Korruption geschwiegen. Jetzt machen die Medien immer mehr Fälle bekannt. Auch Premier Rajoy und seine Partei sind unter Verdacht geraten - offenbar nur die Spitze des Eisbergs.

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Symbolbild: Ein 500-Euro-Schein wird übergeben. (Foto: Peter Steffen dpa)
Symbolbild Schmiergeld KorruptionBild: picture-alliance/dpa

Rodrigo Rato dürfte derzeit Sorge und Freude zugleich empfinden. Einerseits muss sich der ehemalige spanische Wirtschaftsminister und IWF-Chef wegen seines Missmanagements bei der zweitgrößten spanischen Sparkasse Caja Madrid derzeit vor Gericht verantworten. Andererseits aber dürfte er glücklich über seinen neuen Job als Berater von Telefónica sein. Das spanische Telekommunikationsunternehmen, das über seine Tochter O2 auch am deutschen Markt vertreten ist, beschäftigte lange Zeit auch den unter Korruptionsverdacht stehenden Schwiegersohn des spanischen Königs Juan Carlos, Iñaki Urdangarin. Lange stand auch Eduardo Zaplana, der ehemalige Regierungschef von Valencia, unter Vertrag. Er gilt vielen Spaniern als einer der Hauptverantwortlichen für die brisante Finanzlage der Region, die bereits auf staatliche Finanzhilfen angewiesen war. Doch die Verwicklung von Telefónica mit der Politik reicht noch weiter: Kurz nachdem die konservative Volkspartei Partido Popular im Jahr 2011 die Regierung übernahm, stellte das Unternehmen den Ehemann von Soraya Saenz de Santamaría ein. Diese ist Vize-Chefin der neuen Regierung.

Verzagte Reaktionen in der Bevölkerung

Die spanischen Medien diskutieren das Thema Korruption intensiv. Nachdem sie über Jahre zu den Vorfällen geschwiegen hatten, berichten sie nun nahezu täglich über sie. In den vergangenen Wochen wurden einige Korruptionskandale bekannt, darunter etwa ein Schwarzgeldkonto eines ehemaligen Schatzmeisters von "Partido Popular". Auch der amtierende Premiereminister Mariano Rajoy ist unter Verdacht geraten, Zahlungen aus den schwarzen Kassen seiner Partei erhalten zu haben. "Dennoch bleiben die Spanier relativ ruhig", erklärt die spanische Juristin Esther Martín. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von knapp 26 Prozent dürften viele Bürger um ihre Anstellung fürchten - und es darum vorziehen, über Unregelmäßigkeiten im Geschäftsverhalten ihrer Arbeitgeber zu schweigen.

Die Juristin Esther Martín (Foto: Stefanie Müller)
Kritisiert die Korruption: Die Juristin Esther MartínBild: DW/S. Mueller

"In der Bevölkerung entsteht der gerechtfertigte Eindruck, dass hier etwas unter den Teppich gekehrt wird", sagt Martín. Der Steuerberater Carlos Alaiz kritisiert die gerade vollzogene straffreie Steuer-Amnestie für solche Spanier, die ihr Vermögen aus dem Ausland wieder ins Land holen: "Das ist ein Hohn angesichts der Tatsache, dass jeder andere Steuersünder sich nicht nur verantworten muss, sondern auch den vollen Satz bezahlen muss - und nicht nur 10 Prozent, wie es bei der Amnestie der Fall ist."

Dabei sind heimischen Medienberichten zufolge derzeit rund 730 spanische Politiker in Korruptionsverfahren verwickelt. Während des Baubooms waren Kommissionszahlungen bei vielen Lokalregierungen an der Tagesordnung. "Spanien ist immer noch bevorzugtes Ziel von Geldwäschern. Russen, Chinesen und Italiener betreiben diese hier seit Jahren", sagt die in Madrid lebende italienische Journalistin Paola del Vecchio, die seit Jahren über das organisierte Verbrechen schreibt.

Forderung nach umfassenderen Transparenz-Gesetzen

Die Korruptionsskandale fallen in eine Zeit, in der Spanien die schlimmste Wirtschaftskrise seit Ende der Diktatur erlebt. Doch in die Ankündigung der Regierung, die Korruption bekämpfen zu wollen, setzen viele Spanier wenig Vertrauen. "Auf die Frage, was die Regierung gegen Schattenwirtschaft, Veruntreuung von öffentlichen Geldern und Korruption tut, erhalten wir seit Monaten keine Antwort", sagt Victoria Anderica von Access Info Europe, einer Organisation, die innerhalb von Europa für mehr Transparenz kämpft. Sie fordert deswegen, dass das geplante neue spanische Transparenz-Gesetz, das eine stärkere öffentliche Kontrolle über die Wirtschafts- und Bürokratieprozesse schaffen soll, auch die Frage der Parteienfinanzen regelt. Nach jetzigem Stand soll es nur die Geldbewegungen bei einzelnen Politikern erfassen.

Demonstration in Madrid im September 2012 (Foto: Ruth Martinez)
Gegen Missstände auf die Straße: Demonstration in Madrid.Bild: Ruth Martinez

Klagen über kreative Buchführung

Der deutsche Finanzexperte Frank Abegg, der seit Jahrzehnten in der spanischen Bankenwirtschaft arbeitet, glaubt, dass das Problem der wachsenden spanischen Korruption auch auf das geringe Arbeitstempo der Justiz zurückgeht: "Die Verwaltung ist so langsam, dass die Angeklagten genug Zeit haben, die Spuren zu verwischen, bevor es zum gerichtlichen Verfahren kommt." Ein Fall wie in Deutschland, wo die Polizei die Zentrale der Deutschen Bank wegen Betrugsverdacht ohne Ankündigung stürmte, sei in Spanien undenkbar.

Immer wieder kritisieren die spanischen Medien in diesem Zusammenhang die geringe Unabhängigkeit der Justiz. Sie werfen ihr vor, zum Spielball der Politik geworden zu sein. Auch die Zurückhaltung demokratischer Institutionen wie etwa des Rechnungshofes wird derzeit stark debattiert. "Wir brauchen eindeutig mehr Transparenz in allen Bereichen des Öffentlichen Lebens", erklärt Miguel Cordoba. Der Wirtschaftswissenschaftler, der an einer Madrider Privatuniversität lehrt und selbst die Finanzen eines Unternehmens führt, glaubt, dass viele Unternehmen ihre Buchhaltung ausgesprochen kreativ praktizierten. Auch große Firmen würden die Vorgaben der Gesetze sehr großzügig auslegen - oft bis an die Grenzen der Legalität.

Auf der Suche nach politischen Initiativen

Noch weiter geht der spanische Autor Leon Arsenal. Er glaubt, dass die Justiz keine Urteile vollstrecken könne, da sie von den Verflechtungen der Unternehmen mit dem Staat beeinflusst werde. "So kommt es zu Begnadigungen von Bankenchefs und vielen Einstellungen von Verfahren." Arsenal glaubt, dass selbst die Gewerkschaften in seinem Land gekauft seien. Darum will er eine neue politische Links-Bewegung gründen, welche eine Alternative zu den zwei großen Parteien PSOE und PP bietet, die seit Ende der Diktatur das Land regieren: "Wir müssen alles abreißen, um es wieder richtig aufzubauen." Spanien hat große Umbauarbeiten vor sich.

Gebäude des spanischen Rechnungshofs. (Foto: Stefanie Claudia Müller)
Zielscheibe der Kritik: der spanische RechnungshofBild: DW/S. Müller