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Politik

"Es gab kein Unabhängigkeitsreferendum"

1. Oktober 2017

Die Gräben zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung sind tiefer geworden. Die einen feiern ihr "erfolgreiches" Unabhängigkeitsreferendum. Die anderen bestreiten, dass es überhaupt eines gegeben hat.

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Spanien Katalonien Unabhängigkeits-Referendum - Fernsehansprache von Rajoy
Bild: Getty Images/AFP/J. Soriano

"Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben", sagte der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in seiner Region. Die Separatisten hätten am Wahltag nicht "nicht nur ein Referendum, sondern viele Referenden gewonnen". Millionen von Menschen seien ungeachtet der Polizeigewalt in der ganzen Autonomen Gemeinschaft auf die Straßen und zu den Urnen gegangen, betonte er am späten Sonntagabend in Barcelona.

"Heute hat es kein Referendum für eine Selbstbestimmung in Katalonien gegeben", widersprach der spanische Regierungschef in einer Fernsehansprache. Mariano Rajoy bezeichnete den gewaltsamen Polizeieinsatz in Katalonien als erfolgreich. "Der Rechtsstaat bleibt mit all seiner Stärke in Kraft." Die katalanische Regionalregierung rief er dazu auf, nicht länger einem Pfad zu folgen, der nirgends hinführe.

Spanien Katalonien Unabhängigkeits-Referendum Poilzei schreitet ein
Die Polizei geht entschlossen gegen Demonstranten in Barcelona vorBild: picture-alliance/AP Photo/M. Fernandez

Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen, sagte Rajoy. Er werde ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. So schnell wie möglich müssten harmonische Verhältnisse wieder hergestellt werden.

Auf Anweisung der spanischen Zentralregierung hatten Polizisten in Kampfmontur katalanische Wahllokale abgeriegelt und teilweise mit Gewalt versucht, Wähler an der Stimmabgabe beim Unabhängigkeitsreferendum zu hindern. In Barcelona setzten die Beamten sogar Gummigeschosse gegen Wähler ein. Bei den Zusammenstößen wurden zahlreiche Menschen verletzt. Die Regionalregierung bezifferte sie zuletzt mit 844. Nach Angaben des katalanischen Gesundheitsdienstes befinden sich zwei von ihnen in kritischem Zustand. Angesichts des Gewalteinsatzes der Polizei forderte die linksgerichtete Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zum Rücktritt auf. 

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Ein Polizist feuert mit Gummigeschossen in BarcelonaBild: picture-alliance/AP Photo/E. Morenatti

Das Innenministerium in Madrid teilte mit, bei den Auseinandersetzungen seien elf spanische Polizisten leicht verletzt worden. Sie wurden demnach von Demonstranten mit Steinen beworfen. Nach Angaben des Ministeriums wurden mehrere Menschen festgenommen. Die spanische Vize-Regierungschefin Soraya Saenz de Santamaria sprach von einem angemessenen und professionellen Verhalten der Sicherheitskräfte.

Offiziell sollten die Wahllokale um 20 Uhr MESZ schließen. Ein Sprecher der Regionalregierung sagte jedoch, dass alle, die noch vor den Wahllokalen anstünden, ihre Stimme abgeben könnten. Er rechne damit, dass in der Nacht Millionen Stimmzettel ausgezählt würden.

In Girona vertrieben Polizisten Menschen gewaltsam aus dem Wahllokal. Katalanische Feuerwehrleute stellten sich schützend zwischen die Menschen und die Polizeikräfte. Ebenfalls in Girona brachen spanische Polizisten die Türen eines Wahllokals auf, Minuten bevor der Chef der katalanischen Regierung, Carles Puigdemont, seine Stimme abgeben wollte. Anwesende Wähler sangen die katalanische Hymne. Puigdemont gab später seine Stimme an einem anderen Ort ab.

"Besatzungsmacht raus"

Vor einem Wahllokal in Barcelona kam es zu Rangeleien zwischen spanischen Polizisten und Hunderten Wählern. Diese skandierten: "Wir sind Menschen des Friedens." Aus einem weiteren Wahllokal schleppten Polizisten Wahlurnen. Anwesende riefen: "Besatzungsmacht raus". In Videoaufnahmen war zu sehen, wie Polizisten auf Befürworter des Referendums eintraten und diese an den Haaren zogen.

Puigdemont warf der spanischen Polizei einen unangemessen harten Einsatz vor. Dieser habe die Katalanen jedoch nicht von der Stimmabgabe abgehalten. Nach Angaben des spanischen Innenministers Juan Ignacio Zoido gab es Polizeieinsätze in rund 70 Wahllokalen. Ziel seien nicht die Wähler gewesen, vielmehr habe man Wahlunterlagen beschlagnahmen wollen.

Selbst ausgedruckte Stimmzettel

Die Zentralregierung hatte Tausende Beamte in die Region geschickt. Diese beschlagnahmten bereits im Vorfeld Stimmzettel, nahmen Befürworter der Abstimmung fest, sperrten viele der insgesamt gut 2300 Wahllokale und besetzten das IT- und Kommunikationszentrum der Regionalregierung. Die katalanische Regierung erklärte, Wähler könnten zu jedem offenen Wahllokal gehen, wenn das eigentlich vorgesehene abgeriegelt sei. Zudem würden auch solche Stimmzettel akzeptiert, die sich die Wähler zuhause ausgedruckt hätten.

Spanien Referendum Katalonien Carles Puigdemont
Der katalanische Präsident Carles Puigdemont kritisiert, dass er bei der Stimmabgabe behindert wurdeBild: Getty Images/D. Ramos

Mehr als 5,3 Millionen Menschen waren in Katalonien aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Bei einem Sieg des "Ja"-Lagers will Barcelona schon in den Tagen nach der Abstimmung die Loslösung von Spanien ausrufen, obwohl die Volksabstimmung nicht bindend ist und vom spanischen Verfassungsgericht für illegal erklärt worden war. Die Richter berufen sich auf die gesetzlich verankerte Unteilbarkeit des spanischen Staates.

"Wir werden nicht auf unsere Rechte verzichten", sagte Regionalpräsident Carles Puigdemont der Nachrichtenagentur AFP. 

jv/kle/uh (dpa, afp, rtr, ap)