Spiel mit der Angst
26. September 2004Die Demokraten hofften, dass die Empörung über den Irak-Krieg ihnen den Sieg bringen würde. Doch was ist bisher aus dieser Hoffnung geworden?
Man kann kaum behaupten, dass sich die Situation im Irak verbessert hätte – nicht seitdem der amerikanische Blutzoll auf über 1000 Gefallene gestiegen ist. Aber in der Bevölkerung hat die Betroffenheit über die Vorgänge im Zweistromland trotzdem nachgelassen. Seit Mitte Juli ist der Prozentsatz derjenigen Amerikaner, die bei Meinungsumfragen den Irak als wichtigstes Thema für ihre Wahlentscheidung nennen, von 27 auf 20 Prozent gefallen. Das Thema Irak wird inzwischen von der Angst vor dem Terrorismus überschattet.
Dabei handelt es sich um zwei sehr unterschiedliche Probleme. Wähler, deren Hauptinteresse dem Irak gilt, favorisieren John Kerry (56 zu 40 Prozent). Die Bürger, welche den Terrorismus als wichtigstes Thema einstufen, unterstützen dagegen mit überwältigender Mehrheit Amtsinhaber George W. Bush (86 zu 13 Prozent). Bushs Thema (Terrorismus) hat Kerrys Thema (Krieg im Irak) beiseite gedrängt. Die Übergabe der Regierungsgewalt Ende Juli in Bagdad erzielte offensichtlich genau den Effekt, den das Weiße Haus beabsichtigt hatte: Sie ließ den Irak weniger als amerikanisches Problem erscheinen.
"Kampf gegen den Terror" als Legitimation
Die Republikaner argumentierten auf ihrem Parteitag, das Vorgehen im Irak sei Teil des Krieges gegen den Terror. Niemand erwähnte dabei Massenvernichtungswaffen. Aber mehrere Sprecher zogen eine Verbindung zwischen dem Irak und den Anschlägen vom 11. September 2001. "Vergesse ich die Lehren des 11. September und vertraue dem Wort eines Wahnsinnigen", fragte Bush, "oder ergreife ich Maßnahmen, um unser Land zu verteidigen?"
Vizepräsident Cheney verurteilte Kerrys Kritik am Präventivkrieg gegen den Irak und sagte, "er erklärte auf dem Parteitag der Demokraten, dass er Amerika mit Nachdruck verteidigen werde, wenn wir angegriffen würden. Meine lieben Amerikaner, wir sind bereits angegriffen worden." Aber nicht vom Irak, antworten Kritiker.
Vor dem republikanischen Parteitag zeigte sich die Öffentlichkeit bei Meinungsumfragen gespalten in der Frage, ob der Krieg im Irak ein Fehler war. Seit der Parteiversammlung erklärt die Mehrheit der Bürger in jeder Umfrage (Gallup, CBS News, Washington Post/ABC News,Time), dass der Feldzug richtig war.
Schlagabtausch zwischen Kerry und Bush
Kerry selbst hat seinen Teil dazu beigetragen, den Vorteil seiner Partei beim Thema Irak zu verspielen. Vorigen Monat verärgerte er viele seiner Anhänger, als er auf eine Herausforderung des Präsidenten reagierte. Bush hatte Kerry die Frage gestellt, ob er auch mit seinem heutigen Kenntnisstand für den Krieg im Irak gestimmt hätte. Ja, er würde dafür stimmen, äußerte dieser gegenüber einem Reporter am 9. August. Seither hat Kerry viel Zeit darauf verwandt, seine Position zu erklären und hat sich dabei, wie einige Beobachter sagen, in noch größere Schwierigkeiten gebracht. "George Bush hat sich heute wieder über den Irak getäuscht. Er behauptet, ich vertrete dieselbe Position wie er", erklärte Kerry am 6. September. "Beim Thema Irak hätte ich nicht nur eine Sache anders gemacht. Ich hätte alles anders gemacht als dieser Präsident."
Bushs Antwort kam schnell. "Nachdem er gesagt hat, er hätte sogar mit allen Kenntnissen, die wir heute haben, für den Krieg gestimmt, ist mein Gegner heute morgen mit neuen Wahlkampfberatern und mit einer neuen Meinung aufgewacht. Auf einmal ist er dagegen", sagte Bush. Ein paar Tage später verschärfte er den Angriff. "Eine Sache über Senator Kerrys Standpunkt ist klar", erklärte der Präsident am 10. September. "Wenn es nach ihm ginge, wäre Saddam Hussein noch immer an der Macht und wäre noch immer eine Bedrohung für die Sicherheit Amerikas und der Welt."
Bush hat letztendlich einen Weg gefunden, um Kerry zu dem Gegner zu machen, den er immer wollte: Howard Dean.
Angst als Wahlfaktor
Die Präsidentschaftswahl ist durch die Wahl zwischen zwei Ängsten bestimmt: Die Angst vor dem Unbekannten und die Angst vor dem Bekannten. Kerry setzt, wie alle Herausforderer, auf die Angst vor dem Bekannten. "Dieser Präsident ist in den Krieg gestürmt, ohne einen Plan, den Frieden zu gewinnen", klagte Kerry, "und er hat Sie alle 200 Milliarden Dollar gekostet", die man für Schulen , Gesundheitsfürsorge, Arzneimittel oder soziale Sicherheit hätte verwenden können.
Die Antwort der Republikaner? Fürchte das Unbekannte. "Wenn wir die falsche Entscheidung treffen", warnte Cheney, "dann besteht die Gefahr, dass wir erneut getroffen werden und dass wir in einer Weise getroffen werden, die verheerend sein wird." In anderen Worten, wählt Kerry, und ihr könntet getötet werden.
Die Demokraten zeigten sich empört. "Dick Cheneys Panikmache ist zu weit gegangen", beklagte John Edwards. "Das ist unamerikanisch." Vielleicht, aber sie ist nichts Neues. Das Schüren von Ängsten ist oft wirksam gegen einen weitgehend unbekannten Herausforderer. 1964 zum Beispiel wurde der republikanische Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater in Präsident Johnsons berühmter "daisy"-Zeitungsannonce angegriffen. Die Botschaft: Wählt Goldwater, und Ihr könntet eine nukleare Katastrophe erleben.
Keine neue Strategie
Präsident Carter wandte 1980 die gleiche Taktik gegen Ronald Reagan an. Carter beklagte, dass Reagans "radikaler und unverantwortlicher Kurs unsere Sicherheit bedrohen würde und die ganze Welt in Gefahr bringen könnte." 1984 richtete Reagan dieses Argument in der Kampagne für seine Wiederwahl in seiner "Bär im Wald"-Anzeige gegen die Demokraten: "Ist es nicht klug, so stark wie ein Bär zu sein?"
Die Ängste haben sich verlagert, von republikanischem Draufgängertum zu demokratischer Schwäche. 1988 nutzten die Republikaner erneut die Angst vor Schwäche, indem sie eine Zeitungsanzeige des Demokraten Michael Dukakis entwarfen, der in einem Panzer sitzt: "Nun will er unser oberster Befehlshaber sein. Amerika kann sich dieses Risiko nicht leisten."
Panikmache wirkt, wenn sie auf realen Bedenken gegenüber einem Kandidaten aufbaut: Goldwater als schießwütig, Dukakis als Weichling. Gibt es solche Sorgen im Bezug auf Kerry?
In einer Umfrage der Zeitschrift Newsweek sagten 38 Prozent der Befragten, die Vereinigten Staaten seien Angriffen gegenüber verwundbarer, wenn Kerry gewählt würde. 20 Prozent fürchteten, das Land sei unter Bush in größerer Gefahr, während 35 Prozent keinen Unterschied feststellen konnten. Eine andere Umfrage (Washington Post/ABC News) wollte ermitteln, welcher Kandidat nach Meinung der Bürger dem Land mehr Sicherheit verschaffen würde. Hier bevorzugten die Befragten Bush mit nahezu 20 Prozentpunkten vor Kerry (54 zu 35 Prozent).
William Schneider hat seinen Ph. D. an der Harvard Universität erworben. Er ist Mitarbeiter des American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI). Seine Fachgebiete sind Politik, Präsidentschaft und öffentliche Meinung. Er ist zudem leitender politischer Analytiker bei CNN und Co-Herausgeber bei Atlantic Monthly, The Los Angeles Times und dem National Journal, wo dieser Artikel zuerst erschien. (Übersetzung: Martin Boosen).