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Spike Lees Anklage für New Orleans

30. August 2006

Ein Jahr nach dem Hurrikan "Katrina" klagt Regisseur Spike Lee an. Oder besser: Er lässt anklagen, vor allem durch die schwarze Bevölkerung. In einer bildmächtigen Dokumentation wird die Tragödie noch einmal aufgerollt.

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Regisseur Spike LeeBild: AP

"Ich hoffe, dass ein paar Leute in den Knast gehen", verkündete Spike Lee kürzlich in einem Interview. Die Richtung für seinen neuen Dokumentarfilm, den der Kabelsender HBO zum Jahrestag von "Katrina" in Auftrag gab, war damit klar: "When the Levees Broke" ("Als die Dämme brachen") ist ein vierstündiges Klagelied über die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten. "Die Zerstörung ist nicht nur von Mutter Natur gebracht worden", sagte der afroamerikanische Regisseur auf einer Pressekonferenz in New Orleans. Es seien vor allem auch Menschen in verantwortlichen Positionen gewesen, die ihre Arbeit nicht getan und so zur Tragödie beigetragen hätten, lautet seine Anklage.

Brutalität der Bilder

Aber Lee führt die Anklage nicht selbst, er lässt anklagen. Neben bekannten Nachrichtensequenzen reiht der Filmemacher Augenzeugenberichte chronologisch aneinander. Rückkehrer werden von der Kamera begleitet. Die Bilder erzählen bewegende Geschichten. Die Rückkehrer sind wütend und Spike Lee lässt dieser Wut freien Lauf. Eine Stimme aus dem Off ist dazu nicht von Nöten.

Besonders ergreifend ist die Geschichte von Herbert Freeman. Tagelang wartete er im Convention Center auf die rettenden Busse. Neben ihm seine Mutter im Rollstuhl, die umsonst wartete. Freeman erzählt wie ihre Stimme immer leiser wurde und wie er schließlich seine tote Mutter zurücklassen musste.

Spike Lee war nach der Katastrophe neun Mal vor Ort, führte über 100 Interviews. Zu Wort kommen lässt der 49-Jährige alle: Politiker wie New Orleans' Bürgermeister Ray Nagin und Louisianas Gouverneurin Kathleen Blanco, Verantwortliche von Polizei und Armee, Prominente wie Harry Belafonte und eben viele einfache, betroffene Menschen. Spike Lee hat den Mann gefunden, der Vizepräsident Cheney während eines CNN-Live-Interviews in seiner Wut über die Tatenlosigkeit der Verantwortlichen die Worte "Go fuck yourself, Mr. Cheney" zugerufen hatte. Hip-Hop-Musiker Kanye West erzählt, warum er in einer laufenden TV-Sendung vom Text abwich und George W. Bush vorwarf, er würde sich nicht um die schwarze Bevölkerung scheren.

Bildgalerie 2 Hurrikan Katrina New Orleans
Warten im Convention CenterBild: AP

Der Rassismusvorwurf, der in den Tagen nach der Katastrophe immer wieder in den US-Medien aufkam, spiegelt sich auch im Filmtitel wider. Er ist die Reminiszenz an einen Bluessong, der die große Mississippi-Flut von 1927 beschreibt. Damals wurde ein Damm mit Dynamit gesprengt, um das Zentrum von New Orleans vor eine Überflutung zu bewahren. Stattdessen wurde ein überwiegend von armen Afroamerikanern bewohnter Vorort geopfert. Auch während des Hurrikans "Betsy" 1965 soll es angeblich zu einer ähnlichen Sprengung gekommen sein.

Verschwörungstheorien

Das Gerücht, es sei auch bei "Katrina" die schwarze Bevölkerung geopfert worden, hält sich hartnäckig und findet auch in Spike Lees Dokumentation Gehör. Augenzeugen, die eine entsprechende Explosion gehört haben wollen, kommen zu Wort. Experten allerdings bezweifeln die technische Möglichkeit einer solchen Sprengung. Lee lässt die Augenzeugenberichte ohne Wertung stehen und liefert keine weiteren Beweise für die Theorie.

Dass der Filmemacher Spike Lee, als Ankläger und Stimme der afroamerikanischen Bevölkerung provoziert, ist nichts Neues. Er porträtierte bereits den radikalen Bürgerrechtler Malcolm X und thematisierte urbane Rassenunruhen im Film "Do the Right Thing", den er selbst einen "Apartheidsfilm" nennt. Beide Filme wurden für einen Oscar nominiert.

Der Vorwurf, Lee sei auch in seinem neuesten Werk zu sehr auf die schwarze Bevölkerung fokussiert, ließ auch nicht lange auf sich warten. Der Regisseur kommentierte den Vorwurf, er würde Verschwörungstheorien eine breite Plattform bieten, in einem Interview mit der "Los Angeles Times" mit den Worten: "Als Afroamerikaner traue ich der Regierung alles zu." (mit)