Spirituelles Wandern
3. Juni 2012"Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle." Weiter kommt Pfarrer Arnold Jörres nicht. Das Brummen eines Motorflugzeugs am Himmel zwingt den Geistlichen, seine Einführung zu unterbrechen. Die Anwesenden halten zwangsläufig inne, heben den Blick zum Himmel, warten, bis der Flieger zwischen den Wolken verschwunden ist. Es soll nicht die einzige Himmelsbotschaft an diesem Tag bleiben. Jörres fährt fort, erzählt, dass er als Seelsorger arbeitet und beim katholischen Sozialverband Kolpingwerk angestellt ist.
"Christen glauben, dass Gott der Schöpfer ist", erklärt der katholische Geistliche weiter ohne Umschweife. Hier in der Natur erfahre der Mensch, dass die Natur ein Geschenk Gottes sei und der Mensch Teil der Natur. Daher heißt der Pfad, den die Wanderer beschreiten, auch nicht schlicht Naturpfad, sondern Schöpfungspfad. Er führt von Erkensruhr-Hirschrott durch ein beschauliches Tal und durch die Wildnis des Nationalparks hinauf zur Dreiborner Höhe. Auf zehn Hinweistafeln mit Zitaten aus der hebräischen Bibel erhält der Wanderer Denkanstöße zu unterschiedlichen Themen des Lebens.
Kein Gottesdienst-Ersatz, sondern niederschwelliges Angebot der Kirchen
Jörres will keine Predigt halten, sondern alle einladen, auf dem Weg mit dem Schöpfer in Kontakt zu treten. Dies sei ein niederschwelliges Angebot der Kirchen für alle Suchenden und Gläubigen.
Seine Begleiter fragt er zunächst nach ihren Motiven für die Teilnahme an der bevorstehenden Tour. Es sind Naturliebhaber dabei, Ruhesuchende und Menschen, die schlicht Freude an der Bewegung haben. Leise, kaum hörbar fordert Arnold Jörres seine Mitwanderer auf, einmal in sich reinzuhorchen, sich zu fragen: "Was nehme ich wahr? Kann ich meinem Leben auf die Spur kommen?"
Die Natur ist Teil der göttlichen Schöpfung
Und dann animiert Jörres jeden Einzelnen, sich nachfolgend in Achtsamkeit zu üben, jeden Atemzug, den Untergrund, jeden Schritt darauf bewusst wahrzunehmen und sich am eigenen Tempo zu orientieren. So geht es schweigend auf dem weichen Waldboden den steilen und schrägen Stieg einige hundert Meter hinauf bis zur ersten Hinweistafel: "Achtsamkeit" steht darauf. Darunter die Botschaft: "Du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Bäume und Steine werden Dich lehren, was kein Lehrmeister Dir zu hören gibt."
Zur Bewahrung der Natur sei es notwendig, dass der Mensch sich und sein Umfeld behutsam wahrnehme, erklärt Pfarrer Jörres. Religiosität sei Spiritualität und das bedeute, im Alltag achtsamer, also nachdenklicher zu sein und mit Überlegung zu handeln. Ein Wanderer hat die Hinweistafel umgedreht, ein anderer liest den Bibelvers Jesaja 40, 21f. darauf vor: "Habt ihr es nicht immer wieder erfahren? Kennt ihr der Erde Gründung nicht? Gott ist es." Jesaja war ein Prophet, der 500 vor Christus in Israel gelebt hat, sagt Arnold Jörres, ehe er auf die Gegenwart zu sprechen kommt: "Unsere Welt ist schnell geworden. Autos, das Internet, Fastfood, Termine haben unser Leben verdichtet." Er fordert die Gruppe auf, die Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen, ehe sich jeder wortlos hinter einem anderen weiter hinauf durch die Waldlandschaft aus Fichten bewegt bis zum nächsten Haltepunkt, auf dem das Thema Monokultur aufgegriffen wird.
Was es mit der Monokultur auf sich hat
Fichten wurden hier einst von Menschenhand gepflanzt, weil sie schnell wachsen, Holz zum Heizen und zur weiteren Verarbeitung liefern und relativ schnell Gewinn bringen. Andererseits haben heftige Stürme in den letzten Jahren gezeigt, wie anfällig diese Nadelbaumart mit ihren schlanken Stämmen und flachen Wurzeln ist, und dass ganze Wälder abbrechen und nachfolgend Berghänge abrutschen können. Monokulturen sind auch anfällig für schädlichen Insektenbefall. Aber auch der Mensch sei oft allein, meint Wanderführer Jörres. Andererseits sei es manchmal ganz hilfreich, alleine zu sein. Ein Wanderer gibt zu bedenken, dass auch die Gesellschaft Einzelne ins Abseits stelle. Ein Zweiter liest das Zitat auf der Stationstafel von Johannes, dem Täufer vor, das die Fülle des Lebens anspricht. Johannes wird nicht nur von Christen, sondern auch von Muslimen und Juden verehrt.
Nicht nur für Christen
"Der Schöpfungspfad steht allen Religionen offen", stellt Pfarrer Jörres klar - ein Grund, weshalb die Kirchen darauf verzichteten, Kreuze und Heiligenbilder aufzustellen. Er soll weder Pilgerpfad noch Prozessionsweg sein.
Der Pfad führt nun über einen Bachlauf, der über Kaskaden ins Tal fließt. Und es ist wohl kein Zufall, dass gerade an dieser Stelle des Pfades auf die Vielfalt eingegangen wird. Ein aufmerksamer Wanderer bemerkt, dass man von der düsteren Fichtenbewaldung in einem Buchenmischwald gewechselt sei. Auch der Singsang der Vögel erscheint mit einem Mal vielstimmiger. "13 Millionen Arten gibt es auf der Erde, viele Pflanzen- und Tierarten sind allerdings vom Aussterben bedroht. Weil aber das Erbgut seltener Pflanzen die Grundlage für wichtige Medikamente darstellt, ist deren Erhaltung immens wichtig", klärt Jörres auf.
Auch der Tod gehört zum Leben
Ein Stück weiter liegen frisch gefällte Bäume sowie zerfallene und vertrocknete Baumstämme. "Totholz bietet Leben für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren" erklärt Jörres. Auf der Tafel zum Thema "Werden und Vergehen" heißt es: "Nur wer Totes loslässt, hat die Hände frei, um Neues zu empfangen."
Auch wir Menschen seien das Produkt vorangegangener Generationen, sagt Pfarrer Jörres. Und im Tod feierten die Christen die Auferstehung, das sei die eigentliche Osterbotschaft. Ein Mitwanderer erzählt an dieser Stelle, dass sein Dorf für den Braunkohletagebau geräumt wurde und alle Bewohner an anderer Stelle einen Neuanfang machen mussten. Zwei Baumstämme liegen quer über dem Weg, die überwunden werden müssen. Kein Waldarbeiter wird sie wegräumen, weil die Philosophie im Nationalpark Eifel heißt: Die Natur bleibt sich selbst überlassen.
Von Hindernissen, Licht und Dunkelheit
"Hindernisse sind dazu da, überwunden zu werden", sagt Arnold Jörres. Der Weg führt vorbei an Felsen und dem Eingang zu einer Höhle. "Hindernis und Schutz" sind hier das Thema.
In diesem Moment verkündet ein Donnergeräusch das nahende Gewitter: Die Natur braucht den Regen, die Höhle würde Schutz bieten. Doch noch ist es nicht so weit. Ein Stück weiter ragt eine einzelne Buche ausladend gen Himmel. Das Licht durchdringt die lindgrünen Blätter. "Lass meine Füße in die Erde wurzeln und meine Arme in den Himmel ragen", steht dazu auf der Tafel. "Wir sind auch ausgerichtet zwischen Erde und Himmel", meint der Pfarrer, "wichtig ist es, gut geerdet zu sein, und sich immer wieder zu fragen: Wo bin ich verwurzelt?" "Dunkelheit und Licht" werden bei der nächsten Station thematisiert, kurz bevor der Wald in die lichtdurchflutete Freifläche auf der Dreiborner Höhe mündet. Beim Austausch sind sich alle einig, das Licht dem Düsteren vorzuziehen, obwohl die Dunkelheit wichtig ist zur Erholung während der Nacht. "Wende Dein Gesicht der Sonne zu, und Du lässt die Schatten hinter Dir", ist auf der Tafel zu lesen.
Der Wert der Ruhe und die Botschaft des Himmels
Durch sattgrüne Wiesen und vorbei an leuchtend gelben Ginsterbüschen laufen die Wanderer auf eine lange Bank zu, die zur Rast einlädt. "Ruhezeit" steht hier auf der Tafel. "Christentum, Judentum und Islam haben einen Tag für Unterbrechungen des Alltags, um Atem zu holen, Gott zu danken und die Schönheit des Lebens zu genießen", erklärt der Wanderführer. Nur an diesen Tag bleibt keine Zeit, denn Donnergrollen und helle Blitze am Himmel künden das nahende Gewitter an.
Abwärts führt der Weg an einem Labyrinth aus Steinen vorbei. Hier können die Wanderer zu sich selbst und zur eigenen Mitte finden. Bei der zehnten und letzten Station steht die "Verantwortung" im Zentrum. "Wir tragen die Verantwortung für die Schöpfung, das Leben", weist Arnold Jörres und wird sich seiner eigenen Verantwortung bewusst, schneller als geplant, den Rückweg anzutreten. Trotzdem müssen die Wanderer sich dem schweren Gewitter stellen, und kommen völlig durchnässt, aber doch heil am Ausgangspunkt an.
Dadurch bleibt keine Gelegenheit zu klären, ob manch einer die Botschaft von oben nun, nach der spirituellen Einweisung auf dem Schöpfungspfad, anders wahrgenommen hat als vor der gemeinsamen Wanderung.