Spottgesänge zum Wasserfest
12. April 2016Die Halsschlagader des Vorsängers pocht, während er seine Verse mit Inbrunst ins Mikrofon schmettert. Die anderen stampfen zum Rhythmus der Trommel mit den Füßen auf. Auf einem Klostergelände in einem Außenbezirk von Rangun und im Schatten eines Wellblechdachs proben rund zwanzig junge Burmesen mit Textheften in der Hand zu lautem Sprechgesang. Die Geräuschkulisse erinenrt an eine Demonstration.
Die jungen Leute proben für Tangyat. Dabei handelt es sich um einen Brauch, für den die Generation ihrer Eltern noch zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt werden konnte. Fünf Tage lang werden sie zum anstehenden Wasserfest (11. bis 18.04.2016) durch Myanmars ehemalige Hauptstadt Rangun ziehen und mit ihrem Gesang Missstände anprangern.
Buddhistisches Neujahr
1988 wurde die Tradition nach den gewaltsam niedergeschlagenen Studentenprotesten gegen das Militärregime verbannt. Seit der demokratischen Öffnung Myanmars vor fünf Jahren trauen sich immer mehr Burmesen wieder mit ihren ironisch-satirischen Auftritten auf die Straße.
Zum Wasserfest, dem buddhistischen Neujahr, steht in Myanmar das öffentliche Leben still. Im ganzen Land werden kleine und große Bühnen errichtet. Die Menschen spritzen einander mit allem, was ihnen in die Finger kommt nass: egal ob mächtiger Feuerwehrschlauch, mickrige Wasserpistole oder Eimer. Dem Glauben nach spült das Wasser die Sünden weg. Das Singen, das an deutsche Karnevalslieder erinnert, ist Teil des Unterhaltungsprogramms.
Gradmesser der Freiheit
"Auf einer Bühne konnte man schon immer ein bisschen mehr sagen als sonst", sagt Aung Din. 1988 war er einer der Studenten, die gegen die Militärdiktatur auf die Straße gingen. Vier Jahre lang saß er dafür im Gefängnis. Der 53-Jährige ist zur Probe gekommen, um die neue Generation der Wasserfest-Singer zu unterstützen.
Tangyat ist für den Burmesen ein guter Gradmesser für die Meinungsfreiheit in Myanmar. "Wir sind zwar noch nicht vollkommen frei", sagt der Alt-Revolutionär, der eine Organisation zur Unterstützung der Regional-Parlamente in Myanmar gegründet hat, "aber wir sind sehr glücklich über das, was wir bisher erreicht haben."
Eingeschränkte Spielräume
Noch immer werden in Myanmar Aktivisten eingesperrt, weil sie etwa die Farbe der Militäruniformen mit der von Aung San Suu Kyis Rock vergleichen. Vor einem Jahr sorgten Bilder von Polizisten, die ohne Hemmung auf demonstrierende Studenten einprügelten, international für Entsetzen. Opferverbände in Myanmar sprechen von rund 100 politischen Gefangenen und 400 Aktivisten, die noch auf ihr Urteil warten.
Seit April ist mit der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und damit die erste zivile Regierung seit 54 Jahren an der Macht. Dem Einfluss des Militärs kann das nur teilweise einschränken. Die Generäle haben sich mit ihrer vor der Demokratisierung entworfenen Verfassung von 2008 eine robuste Machtfülle gesichert. Sie verfügen über ein Viertel aller Sitze in allen Parlamenten (national und regional) und stellen unter anderen den Verteidigungsminister.
Wiedergeborene Tradition
"Ein bisschen spannender war Tangyat im vergangenen Jahr natürlich schon", gibt Hlawn Paing zu. Damals konnte der 20-jährige beim Wasserfest-Singen noch so richtig über die militärgestützte Regierung herziehen. Zumindest unter dem Deckmantel von Ironie und Witz. Denn beißend und direkt wird Kritik in Myanmar nur selten. "Die Angst leitet uns unbewusst immer noch", glaubt der BWL-Student.
Er weiß von etwa einem Dutzend Gruppen, die in diesem Jahr zum Wasserfest durch Yangon ziehen werden und etwa über chinesische Staudämme, das miserable Bildungssystem und die Macht des Militärs und seiner Günstlinge klagen wollen. In diesem Jahr müssen sie ihre Texte nicht mehr von der Zensurbehörde autorisieren lassen und dürfen sogar vor dem Rathaus auftreten.
Die Tradition ist lebendiger denn je: Musiker, die nicht mehr von der Zensurbehörde gesagt bekommen, dass sie keinen westlichen Beat unter burmesische Musik legen dürfen, kreieren moderne Wasserfest-Melodien. TV-Shows präsentieren die jüngste Generation der Tangyat-Singer.
Glücklich macht das Altrevolutionär Aung Din. Zu seiner Zeit hatten die Tangyat-Singer weder ein E-Piano noch eine Soundanlage. Aber der Geist der Revolte sei damals wie heute noch derselbe. "Den haben wir Burmesen eben im Blut", sagt er und grinst verschmitzt.