"Turniere kann man nicht simulieren"
5. April 2020Sie ist hochmotiviert und würde lieber heute als morgen wieder bei einem Reitturnier in den Sattel steigen, doch wegen des Coronavirus muss sich Simone Blum gedulden. Auf die Baby-Pause der Springreit-Weltmeisterin von 2018 folgt nun eine Zwangspause. Zwar trainiert die 31-Jährige wieder mit ihrer Stute Alice, jedoch weiß niemand, wie es weitergeht und wann das Paar wieder auf einem Turnierplatz zu sehen sein wird.
DW: Frau Blum, bis auf weiteres ruht der Turniersport. Sie wollten eigentlich in diesem Monat wieder einsteigen, werden jetzt aber ausgebremst. Wie sieht bei Ihnen die sportliche Situation aus?
Simone Blum: Ich reite seit ungefähr drei Wochen wieder und steigere das Training mit Alice langsam. Wir tasten uns heran. Wir haben auch schon die ersten Sprünge gemacht - nicht unbedingt für das Pferd, sondern eher für mein Gefühl. Wir müssen nach der Pause ein bisschen wieder zusammenfinden. Alice ist während meiner Pause ganz normal im Training geblieben und fit gehalten worden. Sie ist daher in Top-Form. Es war alles genau darauf abgestimmt, dass es jetzt nach der Geburt wieder losgeht, wenn ich wieder fit bin. Von daher ist es bitter. Die aktuelle Situation macht mich schon traurig.
Wie ist bei Ihnen der Fitness-Zustand, sechs Wochen nach der Geburt Ihrer Tochter?
Ich merke, dass ich ein halbes Jahr lang wenig geritten bin. Aber ich habe mich bis zur Geburt noch viel bewegt, und ich glaube, das kommt mir jetzt zugute. Ich spüre die Pause natürlich schon - gerade, wenn ich an einem Tag drei oder vier Pferde geritten habe. Auch bei meinen ersten Liegestützen habe ich gemerkt, dass die Bauch- und Armmuskulatur nicht mehr so ist, wie es sein sollte, aber ich taste mich langsam heran. Ich mache Pilates, gehe Laufen und tue das, was mir gut tut.
Wie hätte ihr Fahrplan mit Alice für die Olympia-Vorbereitung ausgesehen?
Wir hätten eigentlich jetzt mit Turnieren in Italien angefangen und wären dort mit einigen kleineren Runden gestartet, um uns wieder hineinzufühlen. Dann wäre Mannheim das erste größere Turnier für Alice gewesen, anschließend La Baule, um den ersten Nationenpreis-Einsatz zu reiten. Danach wäre München gekommen und dann der CHIO in Aachen.
Sie hätten im Grunde nicht sehr viel Zeit gehabt, um sich optimal auf Olympia vorzubereiten und in Top-Form zu kommen. Hat es am Ende vielleicht sogar etwas Gutes, dass die Spiele in Tokio jetzt ein Jahr später stattfinden?
Das frage ich mich auch öfter. Aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich fühle mich jetzt schon, sechs Wochen nach der Geburt, so fit, dass ich die ersten kleinen Runden hätte reiten können. Ich glaube, dass es gut geklappt hätte, auch weil Alice gut erholt ist. Vergangenes Jahr hatte ich eine Schulter-Operation und musste drei Monate lang pausieren. Danach waren wir als Team auch schnell wieder zurück und es hat gut funktioniert. Jetzt hängt man in der Luft und weiß gar nicht, wann es weitergeht. Niemand kann einem sagen, wann man wieder auf ein Turnier kommt, oder ob in diesem Jahr überhaupt noch Turniere stattfinden können. Ich glaube zwar, dass es ganz wichtig ist, den Pferden Pausen zu gönnen, und die geben wir unseren Tieren auch immer. Aber eine Turnierpause von eineinviertel oder sogar anderthalb Jahren würde jeden zurückwerfen.
Lassen sich die Belastungen eines Turniers im Training simulieren?
Nein, das funktioniert nicht wirklich. Natürlich kann man sich Parcours aufbauen, aber man hat nicht immer das Equipment wie auf den Turnieren und das Drumherum hat man natürlich nie - die Zuschauer, die Atmosphäre, das Gefühl. Das geht überhaupt nicht.
Für Sie ist das Coronavirus noch einmal auf ganz andere Art von Bedeutung, weil sie eine kleine Tochter haben? Gehen Sie deswegen vielleicht noch vorsichtiger mit der Situation um, als sie es sonst möglicherweise tun würden?
Wir sind von vorneherein vorsichtig damit umgegangen - nicht nur wegen meiner Tochter, auch wegen meiner Großeltern. Ich habe eine 91-jährige Oma. Ich finde, dass man die ältere Generation schützen muss. Deswegen haben wir uns relativ bald ein wenig zurückgezogen und große Menschenmassen gemieden. Natürlich macht man sich immer Gedanken, wenn man ein kleines Kind hat, aber ich glaube, dass man sich auch nicht verrückt machen darf. Meine Tochter ist bisher immer zu Hause geblieben, ich habe sie noch nie irgendwohin mitgenommen. Und wir passen auf, dass wir uns die Hände waschen, bevor wir sie anfassen. Ich finde aber auch, dass man nicht zu extrem sein sollte - man hat als Mutter ohnehin schon genug Ängste. Von daher haben wir, glaube ich, ein ganz gutes Mittelmaß gefunden.
Wie ist das Familienleben, jetzt, da Sie zu dritt sind?
Für uns war es ein ganz besonderer Moment, weil wir uns unheimlich darauf gefreut haben, dass sie endlich auf die Welt kommt. Leider hat das Glück zu dritt nur drei Wochen angehalten. Dann hat sich mein Mann bei einem Reitunfall den Fuß sehr schwer gebrochen und musste ins Krankenhaus.
Als frischgebackener Vater wollte er natürlich auch sein Kind sehen, aber wegen Corona wurden Besuche im Krankenhaus irgendwann komplett verboten. Das war sehr schwierig und hat uns sehr gefordert. Jetzt ist mein Mann wieder zu Hause, muss aber viel liegen und darf sein Bein noch für einige Zeit nicht belasten. Meine Mutter unterstützt uns daher gerade sehr viel, ohne sie würde es momentan nicht funktionieren. Am schlimmsten ist für mich aber, dass man nichts planen kann und nicht weiß, wie und wann es weitergeht. Ich finde, es ist gerade eine furchtbare Situation, und ich hoffe, dass es bald wieder bergauf geht.
Simone Blum, geboren 1989 in Freising bei München, reitet seit ihrer Kindheit. Mit ihrem Top-Pferd Alice schaffte sie 2017 den Durchbruch in die Weltspitze. 2018 gewann das Paar in Tryon (USA) die Weltmeisterschaft. Blum gehört zum festen Kern der deutschen Equipe und reitet regelmäßig bei Championaten und Nationenpreisen. Sie ist verheiratet mit dem Springreiter Hans Günther Blum (geborener Goskowitz). Im Februar 2020 kam die gemeinsame Tochter Hanna zur Welt.
Das Interview führte Andreas Sten-Ziemons.