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Staatsmann, Europäer, Deutscher

Mathias Bölinger1. April 2016

Politiker aus allen politischen Lagern reagieren bestürzt auf den Tod des ehemaligen Außenministers und FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher. Sein Platz in den Geschichtsbüchern sei gewiss, so Frank-Walter Steinmeier.

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Hans Dietrich Genscher im Publikum bei einer Preisverleihung (Bild: dpa)
Hans Dietrich Genscher im Jahr 2014Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Die erste Reaktion kam vom stellvertretenden Regierungssprecher Georg Streiter. Die Sprecher von Bundeskanzlerin und Ministerien saßen gerade gemeinsam in der Bundespresskonferenz, wo sie regelmäßig Fragen von Journalisten beantworten, als um 12.13 Uhr die Meldung vom Tod des ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher über die Agenturticker lief. "Ich fühle mich als kleiner stellvertretender Regierungssprecher fast ein bisschen zu klein, um diesen großen Staatsmann zu würdigen", sagte Streiter. "Er war einer, der wie ganz wenige die Geschicke Deutschlands mit beeinflusst hat."

Kurze Zeit später äußerte sich die Bundeskanzlerin persönlich zum Tod Genschers: "Mit ihm verliert Deutschland einen weltweit geachteten Staatsmann und ich persönlich einen hochgeschätzten Ratgeber", schreibt Angela Merkel in einer Pressemitteilung. Sie verneige sich "in Hochachtung vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers und bleibe persönlich für all die Gespräche und Begegnungen dankbar, bei denen ich bis in die letzten Jahre von seiner Welterfahrung und Lebensweisheit schöpfen durfte."

"Gesicht Deutschlands in der Welt"

Der ehemalige deutsche Außenminister war am Donnerstagabend (31.03.2016) an Herz-Kreislauf-Versagen verstorben. Bundespräsident Joachim Gauck teilte mit, er denke besonders an dessen "großen Beitrag zur Vereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden". Genscher habe "unserem Land in der Welt ein Gesicht gegeben und das Vertrauen bei unseren Partnern gestärkt." Bundestagspräsident Norbert Lammert erinnerte in einem Kondolenzschreiben an Genschers Witwe an dessen Zitat: "Den guten Lotsen erkennt man an der ruhigen Hand und nicht an der lautesten Stimme“. Den ehemaligen Außenminister würdigte er als "Mitgestalter einer historischen Epoche".

Innenminister Thomas de Maizière erinnerte auch an Genschers Zeit als Innenminister vor 1974. In diese Zeit fiel unter anderem das Attentat auf die Olympischen Spiele 1972. "Sein Leben steht wie bei kaum einem anderen für die Wunden der Teilung und das Wunder der Einheit Deutschlands“, sagte de Maiziere.

Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (Foto: picture alliance/S. Simon/B. Lauter)
Hans-Dietrich Genscher (links) mit Angela Merkel bei einer Preisverleihung im Jahr 2009Bild: picture alliance/S. Simon/B. Lauter

Genscher war von 1974 bis 1992 Außenminister der Bundesrepublik. Neben Helmut Kohl war er der wichtigste deutsche Politiker in der Endphase des Kalten Krieges und während der Verhandlungen zur Wiedervereinigung. "Sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm gewiss", würdigte Außenminister Frank-Walter Steinmeier seinen Amtsvorgänger am Freitag während eines Besuchs in Tadschikistan. "Ein großer Deutscher und ein großer Europäer ist heute von uns gegangen."

Christian Lindner, der Vorsitzende von Genschers Partei FDP nannte Genscher einen "väterlichen Freund, der uns bis zuletzt mit Rat und Tat zur Seite stand" und fügte hinzu: "Seine Verdienste bleiben."

Anerkennung durch alle Parteien

Ähnliche Worte fanden auch die Politiker anderer Parteien. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder brachte seine Dankbarkeit "für den Dienst, den er unserem Land erwiesen hat" zum Ausdruck. Der CDU-Vizevorsitzende Armin Laschet schrieb: "Er stand für das Beste der Bonner Republik". Gerda Hasselfeldt, CSU-Landesgruppenvorsitzende im Bundestag teilte mit, sie verneige sich "vor einem großen Sohn der Bundesrepublik". Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte, Deutschland verliere mit Genscher einen "ganz großen Liberalen, einen Anwalt der Verständigung und der steten Annäherung und eine einzigartige Persönlichkeit".

Die Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir und Simone Peter nannten ihn in einer Pressemitteilung einen "Diplomaten durch und durch" und einen "begnadeten Verhandler mit Herz und Humor". Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Vorsitzenden der Linkspartei, brachten "große Trauer über den Tod eines der international anerkanntesten und profiliertesten Politiker der Bundesrepublik Deutschland" zum Ausdruck und erinnerten an Genscher als Vertreter der Entspannungspolitik und "Befürworter einer eigenständigen europäischen Außenpolitik".

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnerte an die Rolle, die Genscher in der Annäherung zwischen Russland und Deutschland gespielt hat: "Der friedliche Ausgleich von Interessen mit den Mitteln der Diplomatie war seine Mission."

Beileidsbekundungen kamen auch aus dem europäischen Ausland. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault nannte Genscher einen "überzeugten Europäer, treibende Kraft hinter der deutsch-französischen Zusammenarbeit und Verteidiger der Wiedervereinigung Deutschlands".

Hashtag #Genscher

Unter dem Hashtag #Genscher werden auf Twitter auch Videos von Genschers berühmtester Rede gepostet. Am 30. September 1989 hatte er DDR-Bürgern, die sich in die Botschaft der Bundesrepublik in Prag geflüchtet hatten, die Ausreise in den Westen zugesagt. Seine Worte gingen im Jubel der Menge unter.

Der Grünen-Politiker Tobias Lindner, Jahrgang 1982, twitterte: "Wenn man Menschen meiner Generation nachts weckt und fragt, wie der Außenminister heißt, würden viele immer noch Genscher antworten."