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Interview: Griechen sind nicht deutschfeindlich

Bernd Riegert6. April 2014

Die Europawahl wird im Krisenland Griechenland ein Stimmungstest für die Sparpolitik der Regierung. Robert Stadler, Chef der "Griechenland-Zeitung", sieht die Aussichten im DW-Interview ganz vorsichtig positiv.

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Robert Stadler (Foto: Bernd Riegert DW)
Bild: DW/Bernd Riegert

Griechenland hat zurzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft in der EU inne. Die Finanzminister der EU trafen sich deshalb zu ihren informellen Tagungen in Athen. Das Parlament hatte passend dazu neue Sparmaßnahmen beschlossen. Die EU-Finanzminister haben eine weitere Tranche an Hilfskrediten freigegeben. Die Regierung in Griechenland spricht von einem Überschuss im Haushalt, wenn man die Kosten für die Staatsschulden herausrechnet. Der Herausgeber der "Griechenland-Zeitung", dem einzigen deutschsprachigen Blatt im Land, schätzt die wirkliche Lage in Griechenland vorsichtig optimistisch ein.

Herr Stadler, ist Griechenland an der Schwelle zum Wiederaufstieg? Ist es zu optimistisch, was die Regierung in Griechenland im Moment als Botschaft zu verkaufen versucht?

Robert Stadler: Es gibt in der Wirtschaft einige Indizien, wo man sagen kann, die Talsohle ist erreicht. Die Arbeitslosigkeit scheint sich, wenn auch auf einem sehr hohen Niveau, stabilisiert zu haben. Die Rezession wird geringer ausfallen, als man ursprünglich erwartet hat. Nur spüren die vielen, die unter der Krise gelitten haben, insbesondere die 1,5 Millionen Arbeitslosen, von einem Aufschwung noch nichts.

Das heißt, die Stimmung in der Bevölkerung ist immer noch abwartend, erduldend, leidend. Oder würden wie würden sie es beschreiben?

Die Stimmung ist immer noch depressiv, wenn man das mit psychologischen Begriffen umschreiben will. Die Menschen haben sich damit abgefunden. Die Proteste, die es noch vor zwei Jahren gab, haben wirklich deutlich nachgelassen. Man kann sagen, langsam löst man sich aus dem Schock und den Protesten, aber es herrscht immer noch Lethargie.

Wo sehen Sie Chancen für die griechische Wirtschaft? In Brüssel bei der EU heißt es immer, die griechische Wirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig. Stimmt das?

Ich glaube, das ist ein relativ langer Prozess, weil in Griechenland in den letzten Jahrzehnten die Wirtschaftskraft doch sehr wenig auf Exporten basierte. Im Vergleich zu anderen Ländern war der Anteil des Exports rund 50 Prozent geringer. Hier wird natürlich jetzt versucht, diesen Bereich besonders zu stärken. Es gab auch Zuwächse in den vergangenen Jahren, aber das hat sich in den letzten Monaten wieder etwas reduziert. Es kann ein Land, das keine große industrielle Basis hat, nicht von einem Jahr auf das andere zum Exportland werden. Griechenland hat sicher Chancen, was die Agrarprodukte betrifft, und natürlich beim Tourismus.

Schlagzeilen machen außerhalb Griechenlands vornehmlich die radikalen Parteien, sowohl die linke "Syriza" als auch die rechtsextreme "Morgenröte". Wie ist die politische Stimmung?

Unsere Redaktion befindet sich genau im Zentrum von Athen. Wir haben oft erlebt, dass auf der einen Straße die radikalen Rechten zum Omonia-Platz marschiert sind - und in einer Straße auf der anderen Seite hat die radikale Linke, die größte Oppositionspartei im Land, demonstriert. Wir haben hier die Entlassungen im Öffentlichen Dienst miterlebt, die mit der Troika (EU, IWF und Europäische Zentralbank) vereinbart wurden. Genau gegenüber war nämlich die Stadtpolizei von Athen, die aufgelöst wurde. Das war schon sehr laut hier im letzten Jahr. In den vergangenen sechs Monaten ist es aber relativ ruhig geworden.

Im Mai kommen die Wahlen zum Europäischen Parlament. Spielt die Europawahl bei den Griechen eine Rolle oder ist ihnen das ziemlich egal?

Die Europawahl spielt nur insoweit eine Rolle, als man versucht, die innenpolitische Kräfteverteilung zu testen und herauszulesen. Die oppositionelle radikale Linke will die Europawahl sozusagen zu einem Referendum umfunktionieren. Möglicherweise, wenn das Ergebnis für die Linke positiv ausfällt, wird sie den Druck hin zu vorgezogenen Neuwahlen verstärken. Von Regierungsseite wird versucht, das ganz anders zu interpretieren. Die sagen: Europawahlen sind Europawahlen und keine Wahlen zum nationalen Parlament. Es wird sicher zu einer verbalen Radikalisierung kommen bis zu den Europawahlen. Im Moment sieht es so aus, als ob zwei politische Pole bestehen: die konservative "Nea Demokratia" und die radikale Linke. Bis Ende Mai könnte sich noch eine neue Formation in der linken Mitte gründen.

Wie ist die Einstellung der Griechen zu den europäischen Institutionen? Man hört ja immer die Vorwürfe, die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank sei an allem Schuld. Europa habe Griechenland besetzt, lautet der Vorwurf. Hört man das immer noch oder gibt es Menschen, die sagen, das ist vielleicht nicht die ganze Wahrheit?

Ich glaube, da gibt es schon differenzierte Meinungen. Leider wird aber allzu oft ein Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet in den Medien und in der öffentlichen Diskussion. In Griechenland haben wir das in den letzten Jahrzehnten oft miterlebt. Man war entweder für die Konservativen oder für die Sozialdemokraten. Jetzt gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, der für die Vereinbarung mit der EU ist, also die Sparmaßnahmen und die Reformpolitik. Und es gibt einen genauso großen Teil, der dagegen ist. Es wird oft vergessen, dass Griechenland trotz großer Sparbemühungen und Erfolgen bei der Haushaltssanierung, die kein anderes europäisches Land vorweisen kann, immer noch von Krediten lebt, die von allen europäischen Bürgern getragen werden müssen. Das geht manchmal in der Diskussion in Griechenland unter.

Wie hat sich in den letzten Jahren die Haltung der Griechen gegenüber Deutschland und den Deutschen verändert? In den Medien sah man oft Bilder von Nazi-Uniformen und Protesten gegen Bundeskanzlerin Merkel. Zeigt das die wirkliche Stimmung?

Es wurden bei den Demonstrationen im letzten und vorletzten Jahr fürs Fernsehen wunderbare Bilder gemacht, wenn da ein oder zwei Personen von 10.000 mit einer Nazi-Fahne rumlaufen oder ein Bild der Bundeskanzlerin mit Hitler-Schnurrbart zeigen. Das kommt natürlich rüber, aber wir in unserem Alltag spüren das nicht so sehr. Vor zwei, drei Jahren gab es bei den Demonstrationen sicher auch eine anti-deutsche Stimmung, aber in den letzten Monaten konnte die politische Situation doch etwa geglättet werden, so dass man auf keinen Fall, vor allem auch außerhalb Athens, von einer anti-deutschen Stimmung sprechen kann.

Der Österreicher Robert Stadler ist seit zwanzig Jahren als Journalist in Athen tätig und gibt seit 2005 die "Griechenland-Zeitung" heraus, die einzige deutschsprachige Zeitung in Griechenland. Das Wochenblatt ging aus der "Athener Zeitung" hervor.